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Pflege-Bachelors direkt ans Krankenbett – zwischen Wunsch und Wirklichkeit

In einem heute veröffentlichten Positionspapier fordert der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Arbeitgeber in Gesundheitswesen dazu auf, hochschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen in der direkten Klientenversorgung einzusetzen. Dies sei ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Versorgungsqualität, erhöhe die Attraktivität des Berufes und könne neue Zielgruppen für die Pflegeausbildung ansprechen.

 

Bereits seit 2004 wird in Deutschland in derzeit bereits mehr als 40 überaus heterogenen „Modellstudiengängen“ für den Pflegeberuf ausgebildet. Damit hat Deutschland begonnen, sich allmählich dem internationalen Standard anzugleichen. Unsere Nachbarn in der Schweiz haben vor wenigen Jahren die gesamte Pflege(grund)ausbildung an die Hochschule verlagert, in Österreich wird dies in Kürze mit der gesetzlichen Ausbildungsreform (GUKG-Novelle 2016) erfolgen. Mit dem geplanten Pflegeberufsgesetz soll die hochschulische Erstausbildung nun auch in Deutschland regelhaft als zweiter (generalistischer) Zugang zum Pflegeberuf etabliert werden.

 

Erfreulicherweise nimmt die Zahl der Absolvent/-innen zu, die zugleich mit ihrem Berufsabschluss einen Bachelorgrad in Pflege erwerben. Leider werden aber noch zu wenige dieser Hochschulabgänger/-innen in der direkten Versorgung eingesetzt. Das liegt sowohl an fehlendem Stellenangebot wie an den gebotenen Rahmenbedingungen.

 

Angesichts des zunehmenden Pflegepersonalmangels braucht es dringend eine Attraktivitätssteigerung der Arbeitsbedingungen. Dazu gehört Personalentwicklung als wichtiges Instrument der Personalgewinnung und -bindung. Zudem sei nach Meinung des Berufsverbandes aber auch in allen Versorgungssektoren ein strategischer Plan zum Einsatz von hochschulisch qualifizierten Pflegefachpersonen erforderlich. Aus vielen internationalen Studien ist längst bekannt, dass besser ausgebildetes (und mehr) Pflegefachpersonal zu besseren Ergebnissen bei Patient/-innen und Bewohner/innen führt.

DBfK

Das Positionspapier ist unter www.dbfk.de/de/veroeffentlichungen/Positionspapiere.php  abzurufen.

 

Kommentar:

Zweifellos gibt es viele gute Gründe für eine basale Akademisierung der Pflegeberufe im gesamten deutschsprachigen D-A-CH Raum. Dennoch gibt es wohl auch viele realistische Hindernisse dafür, warum die „Modellstudiengänge Pflege“ bereits seit mehr als einem Jahrzehnt modellhaft geblieben sind und deren Absolvent*innen vom Gesundheitsmarkt kaum bzw. sehr zögerlich und in geringer Anzahl tatsächlich angenommen werden. Die wichtigsten Motive für eine zurückhaltende Implementierung von Pflege-Bachelors könnten aus meiner Sicht sein:

smiley+fragezeichen

  • Sind die derzeit – zumeist von PflegewissenschaftlerInnen oder ausgewiesenen, spezialisierten PflegeexpertInnen(teams) verfassten und von akademisch qualifizierten PflegepädagogInnen inhaltlich vermittelten Lehrbücher in der Pflegegrundausbildung denn nicht „wissensbasiert“ ? Und wenn doch – warum wird mit derartig befremdlicher Vehemenz mehr evidenzbasierte Pflege (EBN) eingefordert – ist dies nachvollziehbar und glaubwürdig..?
  • Stehen den Pflegefachkräften derzeit im Berufsalltag nicht vielfältige Möglichkeiten offen – vom regelmäßigen internen „Journal Club“ (Diskussion neuer Fachliteratur) über hausinterne und -externe ExpertInnenvorträge, Kongressbesuche u.v.m. -, um sich laufend  „state of the art“ fachlich fortzubilden und den Erfahrungsaustausch auf der Basis von „Beispielen guter Praxis“ aktiv zu pflegen? Wenn doch – wozu der EBN-„Lärm um nichts“?
  • Eine zunehmende „Verkopfung“ des Pflegeberufs mag aus der Sicht der BefürworterInnen einer allgemeinen Akademisierung „attraktiv“ erscheinen – sie birgt jedoch die real greifbare Gefahr, dass die bewährte Triangel der professionellen  „Pflege mit Herz, Hand und Hirn“ aus dem systemischen Gleichgewicht gerät.
  • Die erwünschte „Sogwirkung“ an neue jugendliche Zielgruppen könnte folglich auch die Falschen ansprechen und somit nach hinten losgehen, weil das Schwergewicht zunehmend auf intellektuellen Lernleistungen liegen wird, die unverzichtbaren sozialen Kompetenzen jedoch in den Hintergrund treten würden – obwohl gerade letztere in der heutigen Zeit immer wichtiger werden. Einfacher gesagt: Wer nur noch Literatur analysiert, die „Qualität“ sichert und sich vor allem auf seine weitere akademische Master-Karriere in Forschung, Pädagogik oder Pflegemanagement konzentriert, ist für die direkte Patientenversorgung eigentlich unbrauchbar und muss die patientennahe Praxis den herkömmlich examinierten Pflegefachkräften sowie (zunehmend) den Pflegehilfsberufen überlassen.
  • Schon bisher studiert nahezu die Hälfte(!) der BSN direkt in Richtung Masterabschluss weiter – dies könnte schon bald zu einem akademisch qualifizierten Überangebot führen nach dem Motto: „Immer mehr Häuptlinge, weniger Indianer“.
  • Nicht zuletzt jedoch ist es auch eine „Tarif-Frage“ ob der Einsatz von Pflege-Bachelors in der direkten Patientenversorgung auf gleicher Basis entlohnt werden soll wie für herkömmlich fachschulisch examinierte Fachkräfte – oder ob eine unterschiedliche Entlohnung als gefährlicher „Spaltpilz“ in den Teams wirksam werden könnte. Letzteres wäre auch durch gute Führungskräfte wohl kaum ausgleichbar.
  • Es entsteht der Eindruck, als habe die Pflege durch die seit 2004 angelaufenen mehr als 40 Modellstudiengänge bislang BSN-Absolvent*innen „am Markt vorbei“ produziert und Hoffnungen geweckt, die jedoch die Arbeitgeber – entgegen der erhofften „normativen Kraft des Faktischen“ – bislang nicht einlösen wollen oder können. Jetzt Appelle an diese zu richten nützt vermutlich wenig und erinnert eher an Goethe´s „Zauberlehrling“ der die Geister, die er rief nicht mehr bändigen kann.
  • Mein persönliches Fazit: Dieses aktuelle Positionspapier des DBfK – sowie viele weitere Veröffentlichungen der letzten Zeit – sind offenbar auf einem Auge blind verfasst – denn sie benennen zwar viele gute Gründe für eine allgemeine Akademisierung der Pflege, ohne jedoch mit gleicher Intensität die enormen Schattenseiten und potenziellen Risiken zu reflektieren.

Erich M. Hofer