Österreich: Parlament beschließt 200 Mio. Euro für Primärversorgungszentren

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Das Gesundheitsreformpaket der Bundesregierung wurde Mitte Dezember mehrheitlich im Nationalrat beschlossen. Im Mittelpunkt steht dabei der Ausbau der Primärversorgung, durch die neue Modelle im niedergelassenen Bereich gefördert und die Spitalsambulanzen entlastet werden sollen.

Rechtliche Basis dafür sind vor allem zwei 15a-Vereinbarungen, durch die einerseits insgesamt 200 Mio. € von Seiten der Länder und der Sozialversicherung für eine wohnortnahe und multiprofessionelle Patientenversorgung bereitgestellt werden und andererseits ein Kostendämpfungspfad eingeleitet wird.

Unter Bezugnahme auf die aktuelle Streik- und Protestaktion der Ärztekammer appellierte Gesundheitsministerin Dr.med. Sabine Oberhauser an die StandesvertreterInnen, zum Verhandlungstisch zurückzukehren. Sie versicherte abermals, dass die HausärztInnen auch im Rahmen des neuen Systems eine zentrale Rolle einnehmen werden. Das Primärversorgungskonzept bringe eine Reihe von Vorteilen, wie etwa längere Öffnungszeiten, eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen und familienfreundlichere Arbeitsbedingungen. Zudem würden die finanziellen Mittel für den Bereich Gesundheit nicht gekürzt, sondern die staatlichen Ausgaben auch in den kommenden Jahren weiter steigen.

 

Umfassendes Gesetzespaket zur Finanzierung der Gesundheitsreform

Um die langfristige Finanzierbarkeit der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, haben sich der Bund und die Länder unter Einbeziehung der Sozialversicherung als gleichberechtigten Partner darauf verständigt, den bereits während der ersten Periode der Zielsteuerung-Gesundheit eingeschlagenen Kostendämpfungspfad fortzusetzen und die Zuwachsraten an den mittelfristig prognostizierten Anstieg des nominellen BIP (von derzeit 3,2 %) anzunähern. Bis 2021 ergeben sich somit für die öffentlichen Gesundheitsausgaben (ohne Langzeitpflege) folgende Ausgabenobergrenzen: 3,6% (2017), 3,5% (2018), 3,4% (2019), 3,3% (2020) und 3,2% (2021). (Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG Zielsteuerung-Gesundheit. Weitere Schwerpunkte der 15a-Vereinbarung sind die Fortführung des partnerschaftlichen Zielsteuerungssystems sowie die Wahrnehmung einer gemeinsamen Finanzverantwortung für das österreichische Gesundheitswesen, eine verbesserte Abstimmung zwischen den verschiedenen Sektoren sowie die Weiterentwicklung von Organisation und Steuerungsmechanismen auf Bundes- und Landesebene nach dem Prinzip der Wirkungsorientierung.

 

Der Abschluss der neuen 15a-B-VG-Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung dient primär der Umsetzung des Finanzausgleichs für die Jahre 2017 bis 2021. Im Mittelpunkt steht dabei die Zweckwidmung von insgesamt 200 Mio. € von Seiten der Länder und der Sozialversicherung zum Aufbau der Primärversorgung. Bis zum Ende der Laufzeit (2020) sollten zumindest 75 Primärversorgungseinheiten an einem Standort (Gruppenpraxis oder selbständiges Ambulatorium) oder als Netzwerk eingerichtet werden, lautet das Ziel. Überdies haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, die bei Spitalsaufenthalten anfallenden Selbstbehalte für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr zu streichen. Auch eine gemeinsame Förderung der Lehrpraxen ist vorgesehen; von Seiten des Bundes soll eine Mio. € bereit gestellt werden. Weiter ausgebaut werden soll der Bereich e-Health (z.B. ELGA, e-Card, Telegesundheitsdienste), außerdem sind Mittel zur Förderung des Transplantationswesens und zur Finanzierung wesentlicher Gesundheitsförderungs- und Vorsorgeprogramme budgetiert. Um diese beiden Vereinbarungen auf Bundesebene umsetzen zu können, hat die Regierung ein Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz vorgelegt, das zudem eine Reihe von Anpassungen in anderen Gesundheitsmaterien vornimmt ( Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2017).

 

SPÖ: Zusätzliches Angebot durch Primärversorgungszentren im Sinne der PatientInnen und ÄrztInnen

Angesichts der Tatsache, dass bis 2030 drei Viertel der AllgemeinmedizinerInnen in Pension gehen, war es höchst an der Zeit, sich neue Versorgungsmodelle zu überlegen, erklärte SPÖ-Vertreter Erwin Spindelberger. Ausgebaut werden nunmehr die Kooperationsmöglichkeiten zwischen den ÄrztInnen und den anderen Gesundheitsberufen, wobei verschiede Modelle gewählt werden können. Aber auch innerhalb der neuen Strukturen werden die HausärztInnen eine ganz wichtige Rolle einnehmen, unterstrich der Redner. Leider würden von Seiten der Ärztekammer tagtäglich Falschmeldungen verbreitet, die zu einer massiven Verunsicherung der PatientInnen führten. Unrichtig sei etwa, dass das Gesundheitssystem zu Tode gespart werde. Das Gegenteil sei der Fall, betonte Spindelberger: Bis zum Jahr 2021 werden zusätzlich über 4,6 Mrd. € in das Gesundheitswesen fließen. „Wir stellen überall den Menschen in den Mittelpunkt“, bekräftigten Johann Hechtl und Walter Schopf (beide S). Generell meinten sie, dass die budgetierten Mittel 2017 zeigen würden, wie wichtig die Politik das Gesundheitswesen in Österreich nimmt. Gabriele Heinisch-Hosek (S) erwartete sich eine bessere Versorgung in den ländlichen Regionen, da das Primärversorgungskonzept u.a. die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert. Die Ängste der ÄrztInnen müssten ernst genommen werden, räumte Markus Vogl (S) ein, die vernetzte Gesundheitsversorgung stelle aber eine große Chance für die Zukunft dar.

Geht es nach Wolfgang Knes (S), beweist die zuständige Ministerin mit den Änderungen Mut. Für ihn gehen diese in die richtige Richtung.

Die SPÖ-Fraktion brachte noch zwei S-V-Abänderungsanträge zum Vereinbarungsumsetzungsgesetz ein, die u.a. die Einbindung von VertreterInnen des Krankenpflegeverbandes, des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie sowie des Dachverbandes der gehobenen medizinisch-technischen Dienste in die Bundesgesundheitskommission vorsieht.

 

ÖVP: Österreichisches Gesundheitssystem soll weiterhin Weltspitze bleiben

ÖVP-Abgeordneter Erwin Rasinger erinnerte eingangs daran, dass das österreichische Gesundheitssystem noch immer Weltklasse sei; und dies gelte es zu erhalten. Die vorliegende Reform ziele daher auf eine Entlastung der Spitäler, eine bessere Planung zwischen Ländern und Sozialversicherung sowie auf die Förderung von neuen Versorgungsmodellen. Die ÖVP wolle aber den freien Beruf des Arztes sowie die freie Arztwahl erhalten und keine „Zwangszentren“ wie in Schweden oder England einrichten. Um all dies zu gewährleisten, habe man im Vorfeld noch einige Punkte abgeändert bzw. außer Streit gestellt. Als Beispiele führte Rasinger an, dass nicht in bestehende Rechte eingegriffen wird, dass die Kosten für WahlärztInnen rückerstattet werden, dass es einen Gesamtvertrag geben soll, dass es Obergrenzen für die neuen Modelle gibt und dass nicht rein gewinnorientierte Investoren zum Zug kommen sollen. Da in den nächsten Jahren sehr viele MedizinerInnen in Pension gehen werden, müsse man weiter danach trachten, attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wieder mehr junge Menschen den Arztberuf ergreifen, mahnte auch seine Fraktionskollegin Martina Diesner-Wais (V) ein. Angela Fichtinger (V) sprach noch die Novellierung des Ärztegesetzes an, das u.a. die Berufsberechtigung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte neu regelt.

 

Wohnortnahe Versorgung, längere Öffnungszeiten und bessere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe

Die heute zur Debatte stehenden zwei 15a-B-VG-Vereinbarungen enthalten einerseits eine verbindliche Planungsgrundlage für die Regionen sowie eine Fortsetzung des bereits eingeschlagenen Ausgabendämpfungspfades, erläuterte Bundesministerin Sabine Oberhauser. Zur Diskussion stehe daher nicht die konkrete Ausgestaltung der Primärversorgung; darüber soll in den nächsten Monaten noch ausführlich mit allen beteiligten Gruppen und allen politischen Fraktionen verhandelt werden. Ihre Position sei jedenfalls, dass die HausärztInnen weiterhin eine zentrale Rolle spielen und dass auch keine anonymen Zentren eingerichtet werden sollen. Ihr liege nichts ferner, als Menschen zu zwingen, zu einem Arzt zu gehen, zu dem sie nicht hingehen wollen. Auch in den Primärversorgungszentren (PHC) werde gewährleistet sein, dass die PatientInnen genau wissen, wann welcher Arzt bzw. Ärztin anwesend ist. Außerdem glaube sie, dass in der Praxis neue innovative Formen der Versorgung entstehen werden, wo sich die MedizinerInnen miteinander vernetzen, ihre Öffnungszeiten koordinieren, die Patientendaten austauschen und mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten. All dies werde letztlich dazu dienen, eine gute wohnortnahe Betreuung in ganz Österreich zu gewährleisten, die nicht nur Vorteile für die Bevölkerung, sondern auch für die ÄrztInnen bringt.

 

Droht nun eine „Staatsmedizin“ , eine Privatisierung der Gesundheitsversorgung und das Ende des freien Arztberuf?

NEOS-Mandatar Gerald Loacker bedauerte, dass mit dem Primärversorgungskonzept eine große Chance vertan wurde. So verstehe er etwa nicht, warum man beim Betrieb solcher Zentren kein Gewinninteresse haben dürfe. Seine Partei halte es grundsätzlich nicht für unmoralisch, wenn jemand mit seinem Beruf Geld verdienen wolle. Dahinter stecke seiner Meinung nach die Absicht, dass letztlich die Krankenkassen die PHC einrichten sollen und damit schrittweise den freien Arztberuf verdrängen. Außerdem seien dadurch Ineffizienzen und Verschwendung von Steuergeldern vorprogrammiert, da die Kassen sich dann selbst kontrollieren müssen. Was leider wieder nicht kommt, sind vernünftige Formen der Zusammenarbeit und adäquate Rahmenbedingungen, um Gruppenpraxen attraktiver zu machen, bemängelte Loacker.

 

Der Rechnungshof weist seit vielen Jahren darauf hin, dass das heimische Gesundheitssystem kränkelt und dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, zeigte Ulrike Weigerstorfer vom Team Stronach auf. Die Probleme reichen von überfüllten Ambulanzen, Gangbetten, zu langen Arbeitszeiten, einer Medizinerflucht ins Ausland, einer überbordenden Bürokratie bis hin zu einem massiven Ärztemangel vor allem im ländlichen Raum. Sie zweifelte jedoch daran, dass mit dem vorliegenden Gesetzespaket der richtige Weg eingeschlagen wurde. Auch wenn mit dem Primärversorgungszentren einige Vorteile verbunden sind, überwiegen ihrer Meinung nach die Nachteile. So warnte sie u.a. davor, dass in Hinkunft große Konzerne oder Investoren die PHC betreiben könnten.

 

(Quelle: PK vom 14.12.2016)

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