Deutschland-weiter Bedarf: „Patientenlotsen“ sollen Versorgung chronisch Kranker verbessern

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Der Einsatz von Patientenlotsen für bestimmte Patientengruppen mit komplexem Versorgungsbedarf wäre aus Sicht von Experten immer dringlicher. Diese speziell geschulten – von Krankenkassen finanzierten und ärztlich verordneten – Coaches könnten hunderttausende chronisch und mehrfach erkrankte Menschen beim Management ihrer Erkrankung angesichts einer für Betroffene und deren Angehörige oft unübersichtlichen Versorgungslandschaft und fehlender Vernetzung von Leistungserbringern unterstützend begleiten.

Das geht aus einem Gutachten des IGES Instituts für den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten hervor. Es entstand gemeinsam mit dem Sozialrechtler Prof. Dr. Stefan Huster von der Ruhr-Universität Bochum. Darin analysieren IGES-Wissenschaftler bestehende nationale und internationale Erfahrungen mit Patientenlotsen, international Case-Manager genannt. Sie schlagen zudem vor, wie Patientenlotsen sozialrechtlich und organisatorisch bundesweit implementiert werden können. In Deutschland existieren zahlreiche Modellprojekte mit Patientenlosten. Nur wenige davon werden bisher dauerhaft fortgeführt. Sie laufen meist regional kleinräumig.

Danach deuten Studien darauf hin, dass rund fünf Prozent der chronisch Kranken auf Unterstützung beim Management ihrer medizinischen Versorgung angewiesen sind. Auf Deutschland hochgerechnet wären dies rund 720.000 Patienten, von denen Experten zufolge schätzungsweise rund zwei Drittel ein entsprechendes Hilfsangebot nutzen würden.

Kosten von schätzungsweise 600 Millionen Euro jährlich
Ausgehend von einem Beratungsbedarf von durchschnittlich 15 Stunden pro Jahr und Patient und auf Basis gängiger Vergütung vergleichbarer Berufsgruppen ist laut Gutachten mit Kosten von gut 600 Millionen Euro für den Einsatz von Patientenlotsen zu rechnen. Demgegenüber ständen Einsparungen durch verbesserte Compliance und Versorgungskontinuität, weil durch die fachkundige Betreuung und Anleitung etwa Krankenhausaufenthalte vermieden werden können.

Als Zielgruppe sehen die Gutachter schwer oder chronisch Kranke und multimorbide Patienten, die nicht adäquat am Behandlungsprozess mitwirken können. Dies gelingt ihnen nicht, weil sie eine geringe Gesundheitskompetenz haben oder körperlich oder geistig eingeschränkt sind. Auch können sie nicht auf Hilfe aus dem privaten Umfeld zurückgreifen. Erschwerend kommt hinzu, dass ihnen wie vielen anderen Menschen auch die Strukturen des deutschen Gesundheitswesens und der Zugang zu Versorgungsangeboten unklar sind. Therapeutische Maßnahmen bleiben in Folge aus oder finden nur teilweise oder verspätet statt.

Genau an dieser Problemlage sollen Patientenlotsen ansetzen. Ihre Aufgabe ist es, Patienten über ihre Krankheit zu informieren, die Versorgung zu organisieren und als kontinuierlicher Ansprechpartner bereitzustehen. Medizinische Fachangestellte, Pflegefachkräfte oder auch Soziotherapeuten mit ausgewählten Zusatzausbildungen wären den Gutachtern zufolge dafür geeignet.

Patientenlotsen als Leistung der GKV
Leistungen von Patientenlotsen sollten im SGB V als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verankert sein. Diese würden auch die Kosten tragen, eventuell mitfinanziert aus Mitteln der Pflegeversicherung. Niedergelassene Ärzte oder Krankenhausärzte könnten dem vorgeschlagenen Konzept zufolge eine Betreuung durch Patientenlotsen verordnen. Im stationären Bereich würde dies im Rahmen eines erweiterten Entlassmanagements erfolgen, um so Versorgungsbrüche nach Klinikaufenthalten zu verhindern. Patientenlotsen würden somit auch dazu beitragen, die starke Segmentierung im Gesundheitswesen zu überwinden. Basis sollte ein individuell erstellter Versorgungsplan für jeden Patienten sein, der in der Regel einen Zeitraum zwischen sechs und 12 Monaten umfasst.

>>  Zum Gutachten des IGES Instituts

>>  Zur Kurzversion des BMG

>> Das „Case & Care-Management“ z.B. in Österreich

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