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Neue Arbeitsteilung und Prozessgestaltung: Demenz-Management „Blauer Punkt“

Hände-Pflegeteam gemixt Pflegemagazin-RLP-2018_Foto_Andrey Popov

Das Alfried Krupp Krankenhaus in Essen entwickelte und etablierte über Jahre das Demenzmanagement-Konzept „Blauer Punkt“, welches die besondere Hilfsbedürftigkeit Demenzkranker in den Fokus rückt und Unterstützung für Angehörige bietet. Das Projekt hat sich unerwartet gut entwickelt und sogar zur Gründung des „Demenz Netzwerk Essen“ (Symbolbild) geführt, berichtet Pflegeexpertin Susanne Johannes, Teamleitung Demenzmanagement „Blauer Punkt“:

Projektanlass

Im Alfried Krupp Krankenhaus Rüttenscheid wurde schon vor 15 Jahren begonnen, Menschen mit Demenz besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Geschäftsführung erkannte schon damals, dass bei steigendem Anteil älterer Patienten deren Bedürfnisse häufig nicht optimal versorgt werden, da diese oft Demenz als Nebendiagnose mitbringen. So startete bereits vor 15 Jahren das interdisziplinäre Projekt „Blickwinkel Demenz“. Dies verfolgte das Ziel, über die Ausbildung von „Demenzschwestern“ und der langfristigen Etablierung von Demenzteams eine bessere Versorgung kognitiv beeinträchtigter Patienten zu erreichen.

Aus diesem Modellprojekt hat sich das heutige Konzept „Blauer Punkt“ entwickelt, das die besondere Hilfsbedürftigkeit Demenzkranker in den Fokus rückt. Das Demenzmanagement „Blauer Punkt“ wurde nach der früheren hausinternen Kennzeichnung für Demenzpatienten in der Pflegedokumentation benannt.

Projektumsetzung

Demenzpatienten sind im Krankenhaus durch Medikamentenumstellungen oder Narkosen in besonderem Maße gefährdet, in einen akuten Verwirrtheitszustand (Delir) zu geraten, der oft eine anhaltende Demenzverschlechterung zur Folge hat. Das Demenzmanagement-Team „Blauer Punkt“ berät daher gezielt bezüglich problematischer Medikamente und delirprophylaktischer Maßnahmen vor Operationen. Des Weiteren wird bei allen Patienten, die 75 Jahre oder älter sind, bei Aufnahme ein spezielles Screening mit dem von der Deutschen Gesellschafft für Geriatrie empfohlenen Instrument ISAR (Identification of Seniors at Risk) durchgeführt, um einen eventuell bestehenden geriatrischen Handlungsbedarf zu identifizieren.

Patientenindividuell werden von den drei weitergebildeten Demenzexperten angepasste Maßnahmen durchgeführt. Dazu gehören z.B. die Gestaltung einer demenzsensiblen Umgebung und die Vermeidung der Verlegung des Patienten innerhalb des Hauses (für alle Berufsgruppen verbindliche Verfahrensanweisung), Schaffung von Möglichkeiten zur sinnvollen Beschäftigung der Patienten durch die Einbindung und Schulung der Grünen Damen sowie einer Kreativtherapeutin, Biografiearbeit und sorgfältige Krankenbeobachtung. Des Weiteren treffen die Demenzexperten bei Bedarf Absprachen mit dem therapeutischen Personal wie beispielsweise den Physiotherapeuten oder Logopäden und sorgen bei Untersuchungen (z.B. Röntgen, CT etc.) für besondere Begleitung und kürzere Wartezeiten. Vor Operationen wird ebenfalls für besondere Begleitung und kurze Nüchternzeiten von Demenzpatienten gesorgt.

Um betroffene Angehörige beraten und unterstützen zu können, sind die Demenzexperten zusätzlich als Pflegetrainer ausgebildet. Für Angehörige von Demenzpatienten bieten die Pflegeexperten kostenlos und unabhängig von der Krankenkasse Beratungsgespräche, Familiengespräche mit nahestehenden Personen, individuelle Pflegetrainings im Krankenhaus und zu Hause, Gesprächskreise sowie zwei unterschiedliche Pflegekurse (Pflege von Angehörigen und Umgang mit Altersverwirrtheit und Demenz) an. Zur weiteren Unterstützung der betroffenen Familien wurden darüber hinaus am Krankenhaus Selbsthilfegruppen für Angehörige gegründet (Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige von Patienten mit hypoxischem Hirnschaden; Selbsthilfegruppe für Angehörige von Patienten mit Alzheimer-Demenz und frontotemporaler Demenz).

Zur Einführung und Umsetzung der Maßnahmen wurden im Alfried Krupp Krankenhaus Essen insgesamt drei Pflegefachkräfte komplett von ihrer bisherigen Tätigkeit freigestellt und zu Demenzexperten weitergebildet. Zusätzlich hat das Krankenhaus 80 Kurse für Mitarbeiter für Integrative Validation nach Richard® (IVA) „IVA-Teamer“ gesponsert. Die Pflegeexperten haben zur Unterstützung ihrer Kollegen „Kittelkarten“ entwickelt und ausgegeben mit „Tipps für den Umgang mit Demenzpatienten“, welche sich großer Beliebtheit erfreuen. Des Weiteren sind sie jederzeit bei Problemen und Unterstützungsbedarf ansprechbar. Bei Visiten in der Alterstraumatologie und Geriatrie nehmen die Demenzexperten routinemäßig beratend teil und führen mit den behandelnden Ärzten ethische Fallbesprechungen durch.

Die Pflegeexperten halten ferner Kontakt und führen Absprachen mit kooperierenden Pflegeheimen und Pflegediensten. Mitarbeiter der ambulanten Pflegedienste wurden von den Demenzexperten zum Umgang mit betroffenen Patienten und Angehörigen geschult. Zur weiteren Bekanntmachung der Problematik waren die Demenzexperten an der Gründung des Netzwerks Demenz Essen beteiligt, welches ein Zusammenschluss vieler Krankenhäuser, Pflegeheime sowie ambulanter Pflegedienste in der Region darstellt.

Projektbeurteilung

Das Gesamtprojekt hat mittlerweile Dimensionen erreicht, die ursprünglich weder geplant noch vorhersehbar waren. Die anfänglich gesetzten Ziele der Einführung eines Demenzmanagements, Schulung des Personals, Schaffung von klaren Strukturen, wie mit betroffenen Patienten umzugehen ist und der Ausweitung des Konzeptes auf den Standort Steele wurden erfüllt. Ebenso wurde nachweislich durch schnellere Entlassungen und Verhinderungen des Auftretens eines Delirs die Versorgung der Demenzpatienten verbessert.

Eine deutliche Hilfestellung sind die Demenzexperten für die Mitarbeiter der beiden Standorte, da jetzt kompetente Unterstützung bei Problemen zur Verfügung steht und der Umgang mit verwirrten Patienten nicht mehr so belastend empfunden wird. Die ausgeprägte Ausweitung des Projektes auf Unterstützungstätigkeiten für Angehörige und Kollegen der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen wurde im Laufe der Zeit vorgenommen, da dort große Bedarfe erkannt wurden.

Als größter Erfolg ihrer Arbeit wird von den beteiligten Pflegeexperten gesehen, dass sie einen Weg gefunden und etabliert haben, auf die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Patienten einzugehen – ohne zu stigmatisieren und den Demenzkranken dabei ihre Würde belassen. Ebenso wird die allgemeine Sensibilisierung der Mitarbeiter und des Ärztlichen Dienstes für das Thema Demenz und Delir sowie insbesondere die Schaffung eines neuen Bewusstseins für diese Erkrankung als Erfolg verbucht.

 

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