Interprofessionelle MKÖ-Jahrestagung 2019 im Rückblick: Staffelübergabe nach 29 Jahren

Mitte Oktober fand heuer zum 29. Mal die wissenschaftliche Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) in Linz statt. Sie widmete sich u.a. den Schwerpunkten der Digitalisierung im medizinischen Bereich und den Besonderheiten im Umgang mit Patient*innen aus anderen Kulturen. Zudem gab es einen Generationenwechsel im Vorstand der MKÖ.

Kongresspräsidenten_© Jürgen Hammerschmid

Rund 350 Ärzte, Pflegepersonen, Physiotherapeut*innen und Hebammen folgten der Einladung der beiden Kongressvorsitzenden DGKP Martina Signer, Kontinenz- und Stomaberaterin am Ordensklinikum Linz, und Univ.-Prof. Dr. Helmut Madersbacher, Univ.-Klinik für Neurologie, Innsbruck (re.). Für das Tagungspräsidium war es zugleich der Abschied aus den aktiven Funktionen in der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund appellierte Frau Signer: „Wir freuen uns, wenn Sie von der Idee, die hinter der MKÖ steht, etwas in Ihren Arbeitsalltag mitnehmen, sodass Sie im Idealfall ein Stück weit so für dieses wichtige Thema brennen, wie Helmut Madersbacher und ich in den letzten 25 bzw. 29 Jahren – für das Thema Kontinenz und für mehr Lebensqualität für die Betroffenen.“ Nach einem Jahr intensiver Vorbereitung präsentierten Signer und Madersbacher ein spannendes Programm mit Blick über den Tellerrand.

Digitalisierung: Ersetzen klimafreundliche Videokonferenzen schon bald die herkömmlichen Kongresse?

Einer der themenspezifischen Vorträge warf die visionäre Frage auf: Wird die Videokonferenz schon bald den Kongressbesuch ersetzen? Also auch den der MKÖ-Jahrestagung 2030? Die überraschende Antwort nach einem evolutionär gespannten Bogen, der ganz in Richtung „Nein“ ausgelegt war: „Ja“ – und zwar aus der Not heraus, Stichwort: Klimawandel.

Blasen-, Darm- und Sexualstörungen – Kulturell-religiöse Besonderheiten

Unreinheit und Reinheit sind einflussreiche kulturell-religiöse Kategorien. Eine Schlüsselrolle spielen vor allem die Körperöffnungen und alles, was durch diese nach außen tritt, wie Blut, Harn, Stuhl oder Sexualsekrete. Somit stehen etwa muslimische Patienten vor der Frage: Darf man trotz Inkontinenz seine religiösen Pflichten ausüben? Neue Folder der MKÖ beschreiben, unter welchen Voraussetzungen Musliminnen und Muslime trotz Inkontinenz dies tun können – Ratschläge, welche die MKÖ in Abstimmung mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) erarbeitet hat. Diese sind, genauso wie die Miktionsprotokolle, in den Sprachen Türkisch und Arabisch kostenlos erhältlich.

Zusätzlich zur Information für Patienten hat die MKÖ – ebenfalls in Abstimmung mit der IGGÖ – für Ärzte und Pflegefachkräfte einen Überblick über die wichtigsten Aspekte im Umgang mit muslimischen Menschen mit Harn- und/oder Stuhlinkontinenz erstellt. Das Merkblatt umfasst Themen wie die Kommunikation, Ausübung religiöser Pflichten, Intimsphäre, Scham etc. und soll dabei helfen, Barrieren ab- und ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Patienten aufzubauen.

Harnwegsinfekte: Alternativen zu Antibiotika?

Diskutiert wurde u.v.a. auch die Frage, ob Antibiotika die einzige Therapieoption bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen sind? Diese können z.B. auch durch eine dysfunktionelle Miktion – also durch langes Zurückhalten von Urin – ausgelöst werden („erwachsene Kneifkinder“). Tatsächlich gibt es mehrere Alternativen, die zum Erfolg führen können.

So zum Beispiel, wenn man den Sinn und Wert einer entspannten Miktion erklärt. Auch mit Entspannungsübungen für den Beckenboden, mit oder ohne Bio-Feedback, kann der gewünschte therapeutische Effekt erzielt werden, und manch‘ Odyssee mit wiederholter Antibiotikagabe nimmt ein Ende.

Zertifiziert, geehrt und richtige Kommunikation gelernt

Ein wesentlicher Meilenstein in der knapp 30-jährigen Geschichte der MKÖ ist die Zertifizierung von Kontinenz- und Beckenbodenzentren (KBBZ), in denen Fachexpertise aus den Bereichen Urologie, Gynäkologie, Chirurgie, der Fachpflege aus dem Bereich Kontinenz- und Stomaberatung, der Physiotherapie und weiteren Disziplinen gebündelt sind. Das MKÖ-Zertifikat hat zum Ziel, solche kompetenten Anlaufstellen zu fördern und österreichweit einheitliche Qualitätsstandards in der Diagnostik, Therapie und Versorgung zu sichern. Im Rahmen der Jahrestagung 2019 wurde das MKÖ-Zertifikat an das Tauernklinikum Zell am See, das Krankenhaus Dornbirn und an das Klinikum Wels-Grieskirchen verliehen.

Auditorium MKÖ-Jahrestagung_© Jürgen Hammerschmid

Einen feierlichen Höhepunkt der Tagung bildete die Ernennung von Univ.-Prof. Dr. Helmut Madersbacher, dem Gründer der MKÖ zum Ehrenpräsidenten der Gesellschaft. DGKP Dora Mair, Kontinenz- und Stomaberaterin der ersten Stunde, sowie DI Klaus Bernhardt, scheidender Vertreter der MKÖ-Förderkreisfirmen, wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt. Im Rahmen der Mitgliederversammlung wurde DGKP Adelheid Anzinger als Nachfolgerin von Martina Signer in den Vorstand gewählt sowie die Physiotherapeutin Katharina Meller, die Christine Stelzhammer nachfolgt.

Das Resümee von Signer und Madersbacher zur Jahrestagung 2019 und zu ihrem langjährigen Engagement in der MKÖ: „Wenn es uns gelungen ist, bei dieser Tagung mit der spannenden Vielfalt der Themenbereich rund um die Kontinenz neue beherzte Mitstreiter/innen auf dem Weg für eine bessere Lebensqualität der Betroffenen zu gewinnen, dann wird unser Lebenswerk weiter wachsen und gedeihen!“ (Fotos: Jürgen Hammerschmid).

Save the date: Die 30. Jahrestagung der MKÖ findet am 9. und 10. Oktober 2020 wieder im LFI Linz auf der Gugl statt.

>> Vorträge auf Youtube (ab Ende Nov. abrufbar)

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