Gestärkt aus der Coronakrise: An welchen Stellen Deutschland jetzt nachbessern muss

Die Ampelkoalition in Berlin startete angesichts ausser Kontrolle geratener Corona-Zahlen im Krisenmodus. Da hilft eine Bestands-aufnahme: Was ist bisher gut gelaufen, wo ist Verbesserungsbedarf?

Eine internationale Untersuchung der Bertelsmann Stiftung zur Krisenresilienz von 29 OECD- und EU-Staaten in den Bereichen Demokratie, Staat und Verwaltung, Wirtschaft und soziale Sicherungssysteme in der Corona-Pandemie zeigt: Deutschland ist im Vergleich durchaus gut aufgestellt. Allerdings ist ein Neustart bei Digitalisierung und Krisenvorsorge überfällig.

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Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland bei der Organisation seines politischen Krisenmanagements im ersten Jahr der Pandemie 2020 insgesamt gut ab. Die Bundesrepublik belegt den 5. Platz hinter Neuseeland, Südkorea, Schweden und Dänemark. Auch dank der vergleichsweise grossen Krisenfestigkeit seiner Wirtschaftspolitik (Rang 1) und seiner sozialen Sicherungssysteme (Rang 5) ist Deutschland fest in der Spitzengruppe der Industriestaaten etabliert.

Im Gegensatz zu Staaten, in denen bereits vor der Coronakrise demokratische Institutionen erheblich unter Druck geraten sind, hat sich die Demokratie in Deutschland auch in der Krise als vergleichsweise robust erwiesen. Bei dieser Frage belegt Deutschland zusammen mit Portugal den 6. Platz. Die Coronakrise hat gerade im öffentlichen Sektor aber auch erheblichen Nachbesserungsbedarf zutage gefördert: „Die Politik muss schnell die Weichen für eine verbesserte Krisenvorsorge und digitalen Aufbruch in Staat und Verwaltung stellen, um gestärkt aus dieser Krise hervor zu gehen“, sagt Christof Schiller, Studienautor und Governance-Experte der Bertelsmann Stiftung.

Das sind die Ergebnisse einer Sondererhebung der Sustainable Governance Indicators (SGI) zur Coronakrise. In der Studie wurden 29 OECD- und EU-Staaten in Bezug auf die Organisation ihres politisch-administrativen Krisenmanagements, die Funktion demokratischer Kontrollmechanismen sowie die Krisenanfälligkeit und -reaktion in der Wirtschafts- und Sozialpolitik bewertet.

Weitere Weichenstellungen für nachhaltige Krisenerholung wichtig

Dank zuletzt sehr positiver Beschäftigungsbilanz, gut ausgebauten Kurzarbeiterregelungen, soliden Staatsfinanzen und seines starken Gesundheitssystems startete Deutschland unter deutlich günstigeren Vorzeichen in die Pandemie als viele andere Staaten. Der Politikkoordination der Krisenmassnahmen in Deutschland selbst kam die vergleichsweise starke Kompromissfähigkeit aller zentralen demokratischen Akteure und die enge wissenschaftliche Begleitung zugute. Im weiteren Prozess fehlte es dann allerdings an einer koordinierten Vorgehensweise.

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Positiv ist, dass Deutschland wie Schweden bereits im ersten Pandemiejahr begonnen hat, die Hilfsprogramme auch an Umwelt- und Nachhaltigkeitszielen auszurichten. Sollen die Staaten gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, müssen allerdings noch deutlich ambitioniertere Schritte bei der Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise folgen.

„In der Bundesrepublik – wie in allen Staaten – wird es nun zudem darauf ankommen, die Krisenvorsorge-Architektur insgesamt zu stärken und mit klaren Verantwortlichkeiten und eingeübten Abstimmungswegen auszustatten“, folgert Christof Schiller. Länder wie Südkorea, die bereits über Vorerfahrungen mit der MERS-Pandemie verfügten, haben hier einen deutlichen Vorsprung. Es braucht zudem vorausschauende Politikansätze und eine verbesserte Datenkompetenz seitens der Regierung, um Zielkonflikte gemeinsam mit zentralen Stakeholdern aufzudecken und effektiv bearbeiten zu können.

Gerade in Neuseeland profitierte das Krisenmanagement von der schnellen Verfügbarkeit von Echtzeit-Modellierungen des Pandemiegeschehens, deren Bedeutung schnell für die Bürger übersetzt wurden. Neben Neuseeland verfügten auch die Niederlande, Dänemark und Südkorea über eine sehr gut ausgebaute Informations- und Dateninfrastruktur zum kontinuierlichen Monitoring der Folgen der Pandemie. Stark verbessert gegenüber dem Vorkrisenzeitraum zeigt sich Griechenland, das in der internationalen Vergleichsstudie gute Noten für seine nationale Politikkoordination und die Einbindung wissenschaftlicher Expertise in den Politikerarbeitungsprozess erhalten hat.

Schulsystem in Deutschland ist besonders krisenanfällig

Insgesamt hat die schleppende digitale Transformation in Deutschlands öffentlichem Sektor die Bewältigung der Krise deutlich erschwert. Mit Blick auf die Krisenanfälligkeit des Schulsystems belegt Deutschland beispielsweise lediglich den 15. Platz. „Im Bildungsbereich muss es jetzt darum gehen, den Schaden zu begrenzen, den die Schulschliessungen für die Chancen insbesondere von Kindern aus sozial benachteiligten Familien angerichtet haben“, so Thorsten Hellmann, Studienautor und Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung.

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Über die internationale Vergleichsstudie:

In der Corona-Sondererhebung der Sustainable Governance Indicators 2021 wurden 29 Staaten der OECD und EU anhand von 94 Indikatoren bewertet und verglichen. Die Beurteilung erfolgt durch mehr als 70 internationale Experten, die jeweils detaillierte Länderberichte erstellen. Auf diese Weise lassen sich Erfolgsbeispiele für ein nachhaltiges Corona-Krisenmanagement identifizieren. Das Instrument basiert auf drei Säulen: dem Resilience of Policies Index, der die Krisenanfälligkeit und -reaktion in der Wirtschafts- und Sozialpolitik misst, dem Resilience of Democracy Index zur Messung der Robustheit zentraler demokratischer Institutionen und dem Resilience of Governance Index, der die Krisenvorsorge, Krisenreaktion und Rechenschaftslegung der Exekutive beurteilt.

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