Vom Pflegeheim ins Krankenhaus: Jede dritte Einweisung wäre vermeidbar

Wenn alte und hochbetagte Patient*innen aus dem Pflegeheim – oft sogar mehrmals – ins Krankenhaus verlegt werden, besteht immer das erhebliche Risiko, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert – sei es durch die psychische Belastung, nosokomiale Infektionen oder zu lange Immobilisation. Jede dritte Einweisung wäre aber durch eine effektive und frühzeitige Akutversorgung vor Ort im Heim vermeidbar.

Einmal mehr bestätigt jetzt eine Studie jenen strukturellen Misssstand, den Pflegefachkräfte auf beiden Seiten schon lange kennen und tagtäglich aufs Neue erleben müssen. Das zeigen auch die Ergebnisse des Innovationsfonds-Projekts „Bedarfsgerechte Versorgung von Pflegeheim-Bewohner*innen durch Reduktion Pflegeheim-sensitiver Krankenhausfälle (kurz: PSK)“. Sie wurden am 09. Dezember 2021 bei einem Online-Symposium präsentiert. Projektpartner sind die Universität Witten/Herdecke, die OptiMedis AG, der Forschungs- & Innovationsverbund an der Evangelischen Hochschule Freiburg sowie Pflege e.V.

Katalog von Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfällen

Pflegeheim-sensitive Krankenhausfälle, kurz PSK, sind solche, die unter guten Bedingungen ohne Krankenhauseinweisung im Pflegeheim behandelt werden könnten. Zunächst wurde analysiert, mit welchen Diagnosen Pflegeheimbewohner*innen am häufigsten eingewiesen werden und welche Einweisungen davon vermeidbar wären. Auf Grundlage dieser Daten wurde unter Einbindung von über 100 Fachexpert*innen ein Katalog von 58 PSK mit dem jeweiligen Präventionspotenzial erarbeitet.

Bohnet-Joschko Prof.Dr. Sabine_UW-Herdecke_12-2021

Die Ergebnisse der Sekundärdatenanalyse von sechs Krankenkassen aus dem Jahr 2017 sind eindrücklich: Die 58 PSK machen über 40 Prozent (insgesamt 270.000) aller Krankenhausfälle bei Pflegeheimbewohner*innen aus. Dadurch entstehen Kosten in Höhe von fast einer Milliarde Euro (951,7 Millionen). „Würden strukturelle und Sektor­en-übergreifende Interventionen und Massnahmen eingeführt, die die Versorgung in Pflegeheimen optimieren, liessen sich dadurch 220.000 Krankenhauseinweisungen verhindern, die mit Ausgaben von mehr als 750 Mio. Euro verbunden sind“, betonte Prof. Sabine Bohnet-Joschko (re.), Projektleiterin und Inhaberin des Lehrstuhls für Management und Innovation im Gesundheitswesen an der Universität Witten/Herdecke, bei der Vorstellung der Ergebnisse. „Die notwendigen Investitionskosten für strukturelle Veränderungen würden durch Minderausgaben refinanziert“, so Maria Valk-Draad (u. li.), wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt.

Valk-Draad, MSc Maria_UW-Herdecke

Handlungsempfehlungen zeigen Interventionsmöglichkeiten auf

Welche strukturellen Massnahmen und Konzepte sich eignen, um PSK in Zukunft zu vermeiden, haben die Projektpartner in mehreren Fallbeispielen sowie Handlungsempfehlungen zusammengeführt. Diese zeigen auf, wie Pflegeheimbewohner*innen unnötige und belastende Krankenhausaufenthalte erspart werden könnten. Sie beziehen sich zum Beispiel auf Infrastruktur und interne Prozesse in Einrichtungen, Kooperations- und Kommunikationsstrukturen sowie rechtliche Rahmenbedingungen und Vergütungsstrukturen (Fotos: UW/H).

> zu Studie und PSK-Katalog geht es hier

> zur PSK-Projekt-Website mit Handlungsempfehlungen, Fallbeispielen usw. 

Kommentar

Drehtüreffekt-picto

Jede dritte Einweisung wäre durch eine frühzeitige Akutversorgung vor Ort im Pflegeheim – etwa durch ambulante „Akut-Gero-Teams“ der Spitäler, die es dort und da sogar schon gibt – jedenfalls vermeidbar. Der berüchtigte „Drehtür-Effekt“ ist schon viele Jahre bekannt – doch hat das starre System überhaupt ein Interesse an einer Sektoren-übergreifenden, strukturellen Änderung zum Wohl unserer Alten? Offenbar nicht – denn für eine engagierte Umsetzung fehlen die positiven Anreize – hier ist die Politik dringend gefordert …

Erich M. Hofer

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