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Oberösterreich: Bessere Arbeitsbedingungen für die Pflege durch konkreten Bürokratieabbau

Das Erfolgsmodell „Pflegedokumentation Neu“ wird nun auch auf die mobile Pflege ausgedehnt. Mit diesem und anderen Projekten will das Land Oberösterreich die Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich verbessern.

In den vergangenen Jahren sind durch gesetzliche Vorgaben, aber auch durch das eigene Berufsverständnis die Dokumentationsanforderungen an die Betreuung und Pflege massiv angestiegen. Daher wurde von der Arbeiterkammer Oberösterreich und dem Oö. Sozialressort das Pilotprojekt „Pflegedokumentation neu denken“ für die Alten- und Pflegeheime gestartet, um den Arbeitsdruck für Mitarbeiter*innen zu verringern. Das Projekt wurde von der „Soziales Netzwerk GmbH“ durchgeführt und mittlerweile sehr erfolgreich flächendeckend in Oberösterreich ausgerollt. 118 Alten- und Pflegeheime setzen die neuen Standards um, über 7.000 Mitarbeitende profitieren davon.

Mit dem Projekt kann eine Reduzierung der Dokumentationseinträge um biszur Hälfte erreicht werden. Der Fokus liegt darauf, den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit zu erfassen, die individuellen Bedürfnisse des Bewohners zu erkennen und daraus resultierende pflegerische Aspekte abzuleiten:

  • Nichtpflegerische Tätigkeiten und „Hotelleistungen“ werden nicht mehr dokumentiert. Dazu gehören etwa Aufzeichnungen, wenn Frühstück oder Abendessen serviert, Bewohnerkleidung im Schrank verstaut, Bettwäsche gewechselt, das Zimmer gelüftet oder der Rollstuhl geputzt wurde.
  • Auch nichtssagende Fülleinträge oder Standardeinträge fallen weg, wie zum Beispiel „dem Bewohner geht es gut“.
  • Pflegerische Unterstützungstätigkeiten, zum Beispiel beim Toilettengang, beim Aufstehen und Anziehen, müssen nicht mehr einzeln dokumentiert werden. Die Dokumentation wird zusammengefasst.

Deregulierung: Weniger Dokumentation auch in der Mobilen Pflege

Hattmannsdorfer_Sozial-LR-OÖ_Fachkräftestrategie_05-2022

Das Erfolgsprojekt der „Pflegedokumentation Neu“ soll nun von den Alten- und Pflegeheimen auf die Anbieter der mobilen Betreuung und Hilfe ausgeweitet werden. Ziel ist auch hier, Dokumentationsprozesse zu vereinfachen und die Möglichkeiten der Digitalisierung gezielt zu nutzen. „Wenn niemand mehr den Sinn von Dokumentationspflichten erkennt, gehören sie weg und stattdessen die Freiheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestärkt“, unterstreicht oö. Sozial-Landesrat Hattmannsdorfer (Bild).

Dieser Grundzugang soll im Arbeitsalltag der Pfleger/innen allgemein Niederschlag finden, weshalb die Deregulierung weiter vorangetrieben wird: „Wir werden auch in der mobilen Pflege Dokumentationsprozesse vereinfachen. Ich freue mich sehr, dass das wieder gemeinsam mit der Arbeiterkammer geschieht. In Oberösterreichs Pflege werden wir uns an den Begriff der Deregulierung gewöhnen.“

„Es bleibt mehr Zeit für die Bewohnerinnen und Bewohner. Vor allem zeigt die Rückmeldung aus der Praxis auch, dass die Umsetzung der neuen Dokumentationsstandards eine wichtige Aufwertung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Sie haben wesentlich mehr Freiheiten, können eigenverantwortlich entscheiden und die Kompetenzen anwenden, für die sie auch ausgebildet wurden“, betont Projektleiter und Geschäftsführer der Soziales Netzwerk GmbH Martin König. Die „Pflegedokumentation Neu“ habe sich zu einem Österreich-weiten Erfolgsprojekt entwickelt. Es gebe Interesse und Anfragen aus mehreren Bundesländern.

Zeiträuber: Bis zu einem Drittel der Arbeitszeit für Pflege-Doku

Beschäftigte in der Pflege erleben die Pflegedokumentation sehr unterschiedlich. Einerseits sind sie rechtlich dazu verpflichtet, eine zu machen. Andererseits schildern die Beschäftigten aber auch, dass die Pflegedokumentation über die Jahre hinweg zu einem großen Zeiträuber geworden ist. „Diese Zeit fehlt für die direkte Arbeit mit den Klientinnen und Klienten“, sagt AK-Präsident Andreas Stangl.

Bereits in einer AK-Studie aus dem Jahr 2016 schilderten die Befragten in den oö. Heimen, dass sie bis zu einem Drittel ihrer Arbeitszeit für die Dokumentation verwenden. Weitere Studien zur Situation in der Langzeitpflege liefern ein ähnliches Ergebnis. Die Beschäftigten sind aber nicht nur mit dem zeitlichen Arbeitsaufwand unzufrieden, sondern auch mit der gängigen Dokumentationspraxis. „Bloßes Kopieren und Ankreuzen von Leistungskatalogen dient zwar zur rechtlichen Absicherung, bringt aber weder Erfolge für die betreuten Personen, noch können die Beschäftigten in Sachen Sicherheit in der Berufsausübung davon profitieren“, so Präsident Stangl.

Es ist höchste Zeit, dass die aktuelle Dokumentationspraxis gründlich überprüft wird und neue zeitgemäße IT-unterstützte Systeme mit einem Mehrwert für alle eingeführt werden. „Wir setzen es uns zum Ziel, nicht nur Handlungsbedarfe aufzuzeigen, sondern auch Lösungen zu entwickeln, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Pflege entlasten sollen“, sagt Stangl.

Schon 2017 hat die Arbeiterkammer OÖ ein sehr erfolgreiches Pilotprojekt in oö. Alten- und Pflegeheimen gestartet, das ein Meilenstein für die Weiterentwicklung der Pflegedokumentation gewesen ist. „Es freut mich, dass wir mit unserem AK-Zukunftsfonds und unserer fachlichen Expertise einen wesentlichen Beitrag dazu leisten konnten, die Arbeitssituation der Beschäftigten zu verbessern“, so Präsident Stangl. Gestärkt durch die vielen positiven Erfahrungen in den oö. Alten- und Pflegeheimen unterstützt die AK-OÖ auch die Mobilen Pflegedienste finanziell und mit Know-How.

Sozialressort und Arbeiterkammer vereinbarten gemeinsame Projekte

„Wenn wir die hohe Qualität in der Pflege in Oberösterreich erhalten wollen, müssen wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich bin sehr froh, mit der Arbeiterkammer Oberösterreich und Präsidenten Stangl verlässliche Partner für dieses Anliegen zu haben“, so Landesrat Hattmannsdorfer. Im Rahmen der Fachkräftestrategie Pflege wurden einige gemeinsame Projekte vereinbart:

1) 67 % Teilzeitquote – Beschäftigungsausmaß soll erhöht werden

Die durchschnittliche Teilzeitquote über alle Berufe in Österreich lag im Vorjahr bei 29,4 Prozent (Statistik Austria). Dem gegenüber arbeiteten in der Betreuung und Pflege in Oberösterreich mit Stichtag 31. Dezember 2021 überdurchschnittliche 67 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teilzeit. Der Anteil des teilzeitarbeitenden Personals hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten beinahe verdoppelt, im Jahr 2000 waren es „nur“ 37 Prozent (siehe Abb.).
Abb. 1: Teilzeitquote in den oö. Alten- und Pflegeheimen im Vgl. zur durchschnittlichen Teilzeitquote aller Berufe in Österreich

Die Arbeiterkammer und das Sozialressort werden daher einen besonderen Fokus darauf legen, dass mehr Mitarbeitende ihr Stundenausmaß erhöhen bzw. ihrer Beschäftigung in Vollzeit nachgehen können. Dazu soll in einem ersten Schritt sichergestellt werden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedenfalls einmal jährlich verpflichtend von den Führungskräften hierzu angesprochen und strukturierte Gespräche zur Stundenaufstockung geführt werden. In weiterer Folge werden Modelle zur Erhöhung des Beschäftigungsausmaßes entwickelt.

Darüber hinaus werden träger- und hausübergreifende Personallösungen entwickelt, um in mehreren Settings (mobil, stationär, teilstationär sowie sprengel-übergreifend) arbeiten zu können. Während der Corona-Pandemie wurden bereits erste Kooperationen erprobt. Trägerübergreifende Anstellungsmodelle sollen es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor allem auch vertraglich erleichtern, die gewünschte Anzahl der Stunden tatsächlich zu arbeiten.

2) Flexibilisierung und Innovation in der Dienstplangestaltung

Mit dem steigenden Personalengpass nehmen auch die Dienstplanunsicherheit und das häufig kurzfristige Einspringen für Kolleg*innen zu. Das sind zwei der größten Belastungsfaktoren in der Betreuung und Pflege. In einem Kooperationsprojekt zwischen Arbeiterkammer und Sozialressort wird daher ein Projekt zur Verbesserung der Dienstplangestaltung beauftragt. Es sollen Möglichkeiten erarbeitet werden, die Dienstpläne flexibler zu gestalten (intermittierende Dienstbeginne, kürzere Dienste, Einsatz von künstlicher Intelligenz usw.), um den Bedürfnissen der Mitarbeitnden möglichst entgegenkommen zu können.

3) Verhinderung früher Berufsausstiege und Senkung der „Drop-out-Quote“

Der jüngste Bericht des Landesrechnungshofes zeigt die hohen Abbruchsquoten („Drop-out-Quoten“) in der Pflegeausbildung. Zwischen 2015 und 2021 waren es durchschnittlich rund 26 Prozent aller Ausbildungsteilnehmenden, die ihre Ausbildung abbrachen. Zum Vergleich: in Österreich lag die Quote der Ausbildungsabbrüche aller Berufe bei 8 Prozent (BM.BWF). Gemeinsam mit der Arbeiterkammer OÖ werden die bestehenden Feedbackmethoden überarbeitet sowie die Praktikumsbedingungen evaluiert.

Digitalisierung als Beitrag zur Arbeitserleichterung in der Langzeitpflege

Ein Teil der Maßnahmen der oö. Fachkräftestrategie setzt auf den Einsatz von Digitalisierung in der Langzeitpflege. Während etwa im Krankenhaus elektronische Fieberkurven bereits Einzug gehalten haben, ist in der Langzeitpflege noch viel Potenzial nach oben gegeben. Sensorikmatten, Bladderscan oder IT-gestützte Dokumentation sind hier nur einige wenige Beispiele, die die Arbeit erleichtern können.

Digitalisierung kann Pflegeprofis nicht ersetzen

„Das Engagement der Arbeiterkammer im Bereich Digitalisierung zielt darauf ab, dass diese auch als Chance genutzt werden kann. Die Verbesserung der Pflegedokumentation und eine echte digitale Transformation führen dazu, dass die Arbeitsbedingungen erleichtert werden. Der Zeitgewinn darf nicht dafür genutzt werden, weitere Effizienzsteigerungen zu erreichen. Er muss genutzt werden, um die Arbeitssituation zu verbessern, dafür stellen wir auch finanzielle Ressourcen zur Verfügung“, so Stangl. Unabhängig davon, brauche es mehr Menschen, die diese anspruchsvolle Tätigkeit machen wollen. An der Verbesserung der Arbeitsbedingungen müsse weitergearbeitet werden. „Pflegeprofis können durch die Digitalisierung nicht ersetzt werden“ (Stangl).

AK-Zukunftsfonds: Bessere Arbeitsbedingungen in einer digitalen Welt

Der AK-Zukunftsfonds fördert seit Jänner 2019 Projekte für bessere Arbeitsbedingungen in einer digitalen Welt. Dafür stellt die Arbeiterkammer OÖ 30 Mio. Euro zur Verfügung. Im Bereich Gesundheits- und Sozialbetreuung wurden bis jetzt 39 Projekte gefördert. Dabei haben kleine Vereine mit nur zehn Beschäftigten, aber auch große Einrichtungen wie Volkshilfe oder Caritas innovative Ideen eingereicht. Bei einem der Projekte geht es um die Pflegedokumentation „Heime“, das auch über die Grenzen Oberösterreichs für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Insgesamt haben bereits mehr als 70.000 Arbeitnehmer*innen durch den Zukunftsfonds profitiert. Nächste Einreichfrist in Sachen AK-Zukunftsfonds ist der 31. März 2023. Alle Informationen unter www.arbeitmenschendigital.at.