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Neues deutsches Krankenhauskonzept: Weniger Ökonomie, mehr Medizin

Das Anfang Dezember von Bundesgesundheitsminister Lauterbach vorgestellte Konzept zur zukünftigen Krankenhausfinanzierung verspricht die Überwindung des Fallpauschalensystems und die Schaffung von pflegegeführten Einrichtungen.

Die aktuelle Krise in der Kinder- und Jugendmedizin zeigt wieder einmal deutlich die Unzulänglichkeiten des geltenden DRG-Systems auf: Deutschlands Krankenhausfinanzierung ist auf Leistungs- und Mengenanreize fokussiert, nicht aber auf den tatsächlichen medizinischen Bedarf der Bevölkerung. Dies soll sich jetzt jedoch ändern, versprach Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach in einer Pressekonferenz am 06. Dezember.

Durch eine im Koalitionsvertrag vereinbarte große Krankenhausreform soll die Behandlung von Patient*innen künftig mehr nach medizinischen und weniger nach ökonomischen Kriterien erfolgen. Grundlage der Reform sind die Empfehlungen der im Mai 2022 eingesetzten „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“, die die bisherige Krankenhausfinanzierung um ein nach Versorgungsstufen differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzt. In Zukunft sollen die Kliniken nach drei neuen Kriterien honoriert werden: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen.

„Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben. Eine gute Grundversorgung für jeden muss garantiert sein und Spezialeingriffe müssen auf besonders gut ausgestattete Kliniken konzentriert werden. Momentan werden zu oft Mittelmaß und Menge honoriert. Künftig sollen Qualität und Angemessenheit allein die Kriterien für gute Versorgung sein.“

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach

Vorschläge der Regierungskommission

  1. Vergütung von Vorhalteleistungen

Fixkosten – wie das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik – müssen bisher überwiegend über die Fallpauschale erwirtschaftet werden. Um die Bedeutung der Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge zu unterstreichen und um den wirtschaftlichen Druck auf möglichst viele Behandlungsfälle zu senken, empfiehlt die Regierungskommission, künftig einen festen Betrag als Vorhaltekosten zu definieren, den Krankenhäuser – je nach ihrer Zuordnung (siehe Punkte 2 und 3) – erhalten.

  1. Definition von Krankenhaus-Versorgungsstufen (Leveln)

Die Krankenhausstrukturen in Deutschland sind historisch gewachsen. Jedes Krankenhaus unterhält unterschiedliche Fachabteilungen und bietet unterschiedliche Leistungen an. Künftig sollen Krankenhäuser in drei konkrete Level eingeordnet und entsprechend gefördert werden:

  • Grundversorgung – medizinisch und pflegerische Basisversorgung, zum Beispiel grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle.
  • Regel- und Schwerpunktversorgung – Krankenhäuser, die im Vergleich zur Grundversorgung noch weitere Leistungen anbieten.
  • Maximalversorgung – zum Beispiel Universitätskliniken.

Versorgungsstufenmodell_12_2022Für jedes Level sollen einheitliche Mindestvoraussetzungen gelten. Damit würden erstmals einheitliche Standards für die apparative, räumliche und personelle Ausstattung gelten – und damit die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten maßgeblich erhöht werden.

Den Krankenhäusern des Levels I wird eine besondere Bedeutung zugemessen. Sie müssen flächendeckend eine wohnortnahe Versorgung garantieren. Sie werden daher unterteilt in Krankenhäuser, die Notfallversorgung sicherstellen (Level I n) und solche, die integrierte ambulant/stationäre Versorgung anbieten (Level I i). Krankenhäuser des Levels I i soll eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Überwindung der zu häufig noch stationärer-ambulant getrennten Gesundheitsversorgung zukommen. Deshalb empfiehlt die Regierungskommission, sie sektorenübergreifend regional zu planen, sie vollständig aus dem DRG-System herauszunehmen und über Tagespauschalen zu vergüten. Zudem soll durch entsprechende gesetzliche Änderungen ermöglicht werden, dass sie unter pflegerischer Leitung(!) stehen können.

  1. Einführung von definierten Leistungsgruppen

Die lediglich grobe Zuweisung von Fachabteilungen (wie „Innere Medizin“) zu Krankenhäusern soll durch genauer definierte Leistungsgruppen abgelöst werden (z. B. „Kardiologie“). Derzeit behandeln Krankenhäuser gewisse Fälle zu häufig auch ohne passende personelle und technische Ausstattung, etwa Herzinfarkte ohne Links-herzkatheter, Schlaganfälle ohne Stroke Unit oder onkologische Erkrankungen ohne zertifiziertes Krebszentrum.

Behandlungen sollen künftig nur noch abgerechnet werden können, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde. Voraussetzung für die Zuteilung ist die Erfüllung genau definierter Strukturvoraussetzungen für die jeweilige Leistungsgruppe, etwa bezüglich personeller und apparativer Ausstattung. Je nach Komplexität wird für jede Leistungsgruppe festgelegt, ob sie an Krankenhäusern aller drei Level erbracht werden darf oder nur an Krankenhäusern höherer Level (II und III oder nur III). Die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten wird so maßgeblich verbessert. Für jede Leistungsgruppe wird ein Vorhalteanteil festgelegt.

Die Regierungskommission empfiehlt, die Regelungen nicht sofort gelten zu lassen, sondern in einer großzügigen Übergangsphase schrittweise einzuführen (Konvergenzphase von 5 Jahren). Damit bleibt den Krankenhäusern, den Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Ländern ausreichend Zeit, sich auf das veränderte Finanzierungssystem einzustellen.

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Quelle

Stimmen aus der Pflege

Vertreter und Verbände der beruflich Pflegenden reagierten überwiegend positiv auf die vorgestellten Empfehlungen:

Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK)

Bienstein_09-2021„Eine grundlegende Reform, die sich daran orientiert, was die Menschen an pflegerischer und medizinischer Versorgung wirklich brauchen und die sektorenübergreifend angelegt wird, ist überfällig“, kommentiert Christel Bienstein, Präsidentin des DBfK, die Reformvorschläge der Krankenhauskommission in einer Aussendung. „Die Vorschläge haben das Potenzial, das Gesundheitssystem zu verbessern und dabei die Rolle der professionellen Pflege zu stärken. Es hängt nun davon ab, wie die Reform im Detail ausgestaltet wird.“ Wichtig sei, dass das Pflegebudget weiterhin unangetastet bleibt.

Die Vorschläge der Kommission bieten dem DBfK zufolge auch die Chance, die notwendigen Strukturen aufzubauen, um tagesstationäre Leistungen tatsächlich effizienter zu erbringen. Positiv erscheint vor allem, dass die Profession Pflege mehr Verantwortung übernehmen und ihre Kompetenzen vollständig einbringen kann. „Die Level 1i-Häuser, die unter pflegerischer Leitung stehen sollen, werden aus unserer Sicht eine Schlüsselrolle für die Reform und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in den Regionen übernehmen“, so Biensteins Einschätzung. „Hier kommt es darauf an, dass Pflegefachpersonen mit erweiterten Kompetenzen wie Community Health Nurses und Advanced Practice Nurses eingesetzt werden.“

Deutscher Pflegerat (DPR)

Vogler_Christine_DPR_2021Auch beim DPR sieht man gute Ansätze mit Potential. Richtig ist es, den Fokus dabei auch auf die beruflich Pflegenden zu setzen, kommentierte Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats e.V. (DPR), die Reformvorschläge. „Der sichtbar fehlerhafte Anreiz des Fallpauschalensystems, immer mehr Leistungen zu erbringen, wird unterbrochen. Das entlastet die beruflich Pflegenden.“

Jedoch mahnt der DPR, dass die Krankenhausreform von einer Reform über alle Sektoren des Gesundheitswesens hinweg begleitet werden muss, von der ärztlichen ambulanten Versorgung über die Bereiche der Rehabilitation bis hin zur ambulanten und stationären Langzeitpflege. Deutlich würde dies an der Zielsetzung, dass künftig Krankenhäuser des „Level Ii“ unter pflegerischer Leitung regional eine sektorenübergreifende steuernde Schlüsselrolle übernehmen sollen. Die geplante Zusammenarbeit mit regionalen Ärzten muss gleichberechtigt erfolgen. Hierfür seien eine Kompetenzerweiterung und eine hohe Handlungsautonomie der pflegerischen Berufe notwendig, die endlich auf deren Wissen baut.

„Der Weg der skizzierten Krankenhausreform ist aus Sicht des Deutschen Pflegerats vorstellbar. Sie darf jedoch nicht Halt machen an reinen Strukturänderungen im Krankenhausbereich. Der Deutsche Pflegerat unterstützt diesen Prozess gerne.“, so Vogler.

MdB-neu_Altenpflegerin-Claudia-Moll_Aachen_09-2021Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung

„Die aktuelle Situation in den Krankenhäusern zeigt deutlich: Gut, dass die Krankenhausreform kommt. Wir brauchen weniger ökonomischen Druck, aber eine passgenaue Pflegepersonalausstattung. Die ersten Schritte sind getan – weitere mutige müssen folgen!“

 

Deutschen Stiftung Patientenschutz

Brysch Eugen_Vorsitz_Dt_Stiftung_PatschutzBei der Deutschen Stiftung Patientenschutz zeigt man sich allerdings deutlich pessimistischer: Ohne Patientenperspektive sei die vom Gesundheitsminister ausgerufene Revolution des Krankenhaussystems schlicht unmöglich. „Denn der Fokus auf die Qualität der Patientenversorgung bleibt aus.“, erklärt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Lauterbach ignoriere die Fakten der Krise, da Auslastung und stationäre Behandlungen nicht zu, sondern deutlich abnehmen. Auch die Beschäftigungszahlen stiegen entgegen der öffentlichen Diskussion stetig an. „Doch für Prozessoptimierung und Case-Management zum Wohl der Patienten fehlen verbindliche Vorgaben. Patienten werden bei stationärer Aufnahme weiterhin lange Wartezeiten, Doppelversorgung und Fehltherapien hinnehmen müssen. Diese Menschen sind es, die die Verwerfungen des Systems ausbaden. Allein auf mehr Geld und mehr Personal zu setzen, hat sich auch schon in der Vergangenheit als Trugschluss erwiesen.“, kristisiert Brysch.