1


„Kann man Sterben lernen?“ …darüber reden auf jeden Fall.

.

Der Umgang mit schwerkranken und sterbenden Menschen ist für alle Beteiligten – die Betroffenen selbst, Angehörige, Ärzte, Pflegepersonen, Seelsorger und HospizmitarbeiterInnen, die den Sterbenden auf dem letzten Weg begleiten – kein einfacher Weg. Die Arbeitsgruppe Viaticum am LKH Rankweil widmete sich in ihrer diesjährigen Tagung diesem Thema. Insgesamt haben sich zum Viaticum-Tag rund 250 Menschen im LKH Rankweil eingefunden.

 

Die aktuelle Ethikveranstaltung der AG Viaticum hat sich dieses Mal einem besonders sensiblen Thema gewidmet, geladen waren äußerst bekannte Referenten ins LKH Rankweil, sodass sie bereits seit langem ausgebucht war. Nach der Eröffnung durch die Dir. Dr. Gerald Fleisch, Geschäftsführer der Vlbg. Krankenhaus-Betriebsges.m.b.H., und stv. Chefarzt Prim. Dr. Reinhard Bacher sowie Veranstalter Arthur Bertsch, Viaticum, referierte als erster prominenter Vortragender Bischof Benno Elbs zur Würde des Lebens: „Der tiefste Wert eines jeden Menschen fußt darin, dass es ihn gibt. Jeder Mensch ist eine einzigartige, unverwechselbare, unersetzliche Person. Seine Würde besteht darin, dass er ein Beziehungswesen ist, hineingenommen in eine Familie, eine Gruppe, eine Gemeinschaft. Nach christlichem Glauben endet das menschliche Leben nicht mit dem Tod, er ist eine „Mutation“ in eine neue Daseinsweise. Hoffnung ohne alle Grenzen, über den letzten Atemzug hinaus, macht im Letzten die Würde des Menschen aus.“

 

Sterben – zwischen Würde und Geschäft

Der Arzt und bekannte Schriftsteller Dr. Günther Loewit schloss an das Thema Menschenwürde an, allerdings an eine verlorene Würde – durch das Geschäft mit dem Sterben der „so genannten Gesundheitsindustrie“. Loewit konstatiert der Gesellschaft eine Sterbefeindlichkeit als Resultat des Egoismus. „Wer zum Leben ja sagt, sagt immer auch zum Tod ja. Sterben ist tabu geworden durch den Verdrängungsmechanismus unserer Spaßgesellschaft, die Geschäftsinteressen der Lebensverlängerungsindustrie, Abschiebestrategien im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich. Man stirbt unsichtbar, unwirklich und isoliert vom Alltag.“ Auch in der Medizin sieht Loewit eine Veränderung: „Der Tod ist die letzte und bislang unbesiegbare Krankheit. Eine moderne Medizin, die sich die Bekämpfung des Todes zum obersten Prinzip gemacht hat, trifft heute auf eine Gesellschaft, die den Tod als natürliches Lebensphänomen weit von sich geschoben hat. Zurzeit hat es den Anschein, dass niemand mehr den Mut aufbringt, Behandlungsstopps zuzulassen. Dass in dem Satz ‚Wir lassen einen Menschen einfach sterben‘ unendlich viel Güte, Weitsicht und gelebtes Mitleid eingeschlossen sein könnte, käme keinem Verantwortlichen in den Sinn.“ Die Lösung? „Wir müssen weg vom Normieren und Reglementieren. Stattdessen müssen wir wieder ‚Augen-Blicke‘ haben, miteinander reden und einander zuhören lernen. Auch und gerade im Umgang mit alten und sterbenden Menschen.“

 

Rankweil am 21.4.2016 LKH Landeskrankenhaus Rankweil, Tagung, Vortraege, Referate

v.l. Organisator Arthur Bertsch (LKHR Viaticum), Referenten Dr. Günther Loewit, Prof. Dr. Gernot Brauchle, Mag. Jeanette Yaman-Rehm, Kabarettistin Gabi Fleisch, Bischof Dr. Benno Elbs, KHBG-Geschäftsführung Dr. Gerald Fleisch, Prim. Doz. Dr. Peter Fraunberger

 

 

Wenn Helfer sich hilflos fühlen…

Über die Ursachen emotionaler Belastungen und möglichen Bewältigungsstrategien referierte der Gesundheits- und Notfallpsychologe ao. Univ. Prof.Dr. Gernot Brauchle, Rektor der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg: Er unterscheidet zwischen Gefühlsansteckung, Empathie und Mitgefühl: Bei der Gefühlsansteckung werden Gefühle und Affekte unbewusst übernommen. Bei der Betreuung von Opfern und Hinterbliebenen werden laut Brauchle nach traumatischen Ereignissen deren Gefühle und Affekte ähnliche Gefühle bei den Helfern ausgelöst. Helfer fühlen sich dann beispielsweise hilflos der Situation ausgeliefert, ohnmächtig, wütend und so weiter, ohne sich bewusst zu sein, dass dieses Gefühl übernommen wurde. Dies erzeugt Ängste. In ihrer Abwehr (z.B. durch Flucht in Organisationsaufgaben, Vergabe von Medikamenten gegen Trauer) entstehen Mängel und Fehler in der Hilfe für Opfer und Hinterbliebene, die später bei den Helfern selbst zur Belastung werden. Diese Prozesse aufzuzeigen und den Ursachen auf den Grund zu gehen, war Schwerpunkt des Referats von Prof. Brauchle.

 

Rüstzeug für den Spagat zwischen Gefühl und Distanz

Auch Krankenhausseelsorgerin Mag. Jeannette Yaman-Rehm, LKH Rankweil, beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit den Profis in den Gesundheitsinstitutionen. Dorthin sei das Sterben in den letzten Jahrzehnten immer mehr vom privaten Alltagserleben weg verlegt worden. Die Folge: Es entwickle sich inzwischen eine zunehmend hohe Professionalität im Umgang mit dieser menschlichen Extremsituation. Yaman-Reh beschäftigte sich mit dem Rüstzeug, das notwendig ist, um den Spagat zwischen Menschlichkeit und Fachkompetenz, zwischen Gefühlsintensität und professioneller Distanz zu schaffen.

 

Reisebegleiter für den letzten Weg

Einen weiteren Höhepunkt stellte der Nachmittag dar: Journalistin Dorothea Seitz, die ihre Eltern zuhause auf ihrem letzten Weg begleitet hatte, und Fotografin Barbara Stäcker, deren Tochter Nana mit 21 Jahren an Krebs verstarb (die Autorinnen des Spiegel-Bestsellers „Nana – …der Tod trägt Pink: Der selbstbestimmte Umgang einer jungen Frau mit dem Sterben“)  haben gemeinsam mit PD Dr. Dr. Berend Feddersen, Leiter der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung an der LMU München einen ‚Reisebegleiter für den letzten Weg – Handbuch zur Vorbereitung auf das Sterben‘ erstellt. „Eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben ermöglicht diverse Vorsorgemaßnahmen, die den Weg der ‚letzten Reise‘ ebnen. Denn man kann die Sterbephase durchaus gestalten und selbst bestimmen, was man in den ‚Koffer‘ für seine letzte Reise packt, wie und wo er gepackt wird.“ Der ‚Reiseführer‘ bietet Rat, Vorbereitung und Hilfe – dem Verreisenden und allen, die mit ihm unterwegs sind. Vom fundierten Wissen um die Palliativmedizin bis zum geeigneten Sterbeort, von der Sterbebegleitung zuhause bis zu psychologischen Anregungen für Angehörige und die Miteinbeziehung  von Kindern bis zur Hilfestellung durch Hospiz und Pflegedienste und wichtigen Dokumenten wie Verfügungen und Vollmachten.

 

Die Veranstaltung diente der Weiterbildung sowie dem Austausch untereinander. Die Teilnehmenden waren beeindruckt, in den Pausen wurde diskutiert und die Vorträge besprochen. Besonders haften blieb auch ein Zitat vom römischen Kaiser Marcus Aurelius, das Dr. Loewit in seinem Vortrag nannte: „Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben.“

(Fotos: Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsges.m.b.H)

 

 Fotolia_21321053_M_schnecke_ETHIK

 

ARBEITSGEMEINSCHAFT VIATICUM

Die Arbeitsgruppe Viaticum, was soviel heißt wie letzte Wegzehrung, wurde gegründet, um bei den Mitarbeite­rInnen des Landeskrankenhauses Rankweil mehr Bewusstsein für die Bedürfnisse schwerkranker und sterbender PatientInnen und deren Angehörigen zu schaffen. Viaticum ist fachübergreifend tätig und besteht aus Pflegefachkräften, MedizinerInnen und der Krankenhaus­seelsorge. Zu den Aufgaben von Viaticum gehören:

Ansprechpartner für Angehörige in schwierigen Situationen, z.B. Übernachtung beim Patienten

Unterstützung für Personal, PatientInnen und Angehörige in beson-ders belastenden Situationen

Vermittlung von Hilfsdiensten und anderen Systempartnern zur Unterstützung von PatientInnen und Angehörigen (z.B. Hospiz-team)

Ansprechpartner und Kriseninterventionsstelle für MitarbeiterInnen in belastenden Situationen

Neben den internen Aufgaben sieht sich die Arbeitsgruppe Viaticum auch als Ansprechstelle für Vorschläge und Verbesserungswünsche von PatientInnen und Angehörigen.