In einem Interview mit der Tageszeitung „Kurier“ hat sich die Ärztin und Gesundheitsministerin Dr. Sabine Oberhauser zur Situation der Schmerztherapie in Österreich geäußert. Offensichtlich sieht sie die Schließung von Schmerzambulanzen in den Spitälern nicht als Problem an, eine interdisziplinäre Schmerztherapie könne ja stationär oder bei niedergelassenen ÄrztInnen stattfinden.
Dazu zeigten ihr sowohl die (medizinische) Österreichische Schmerzgesellschaft als auch die Patientenorganisation „Allianz Chronischer Schmerz“ postwendend die Gelbe Karte – mit einem Offenen Brief.
Postoperatives Schmerzmanagement – alles im Griff?
Im Rahmen der 24. Jahrestagung der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) lud Grünenthal anlässlich der Ausweitung der CHANGE PAIN-Initiative von chronischen Schmerzen auf Akutschmerz unter Vorsitz von ÖSG-Präsident OA Dr. Wolfgang Jaksch und Tagungspräsident Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar zum Symposium. Drei namhafte Experten aus Anästhesie, Chirurgie und Pflege nahmen dabei die aktuelle Situation beim postoperativen Schmerzmanagement unter die Lupe. Gemeinsames Fazit: Es bestehen Mängel in der Versorgung und Lücken in der Umsetzung. Durch aktives Einbeziehen der Patienten, Ausbildung von Schmerzexperten, fächerübergreifende Zusammenarbeit, Einhaltung der Leitlinien und ausreichenden Einsatz von Analgetika kann eine optimale postoperative Schmerztherapie gelingen.
„Postoperative Schmerzen sind ein wichtiges Thema, das zahlreiche Menschen betrifft“, betont Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt. Der Tagungspräsident der 24. Wissenschaftlichen ÖSG-Jahrestagung veranschaulicht: „Weltweit erhalten ca. 234 Millionen Patienten große chirurgische Eingriffe. [1] Allein in Österreich gab es im Jahr 2013 rund eine Million operative Leistungen. [2]“
Häufig unterschätzt, häufig unzureichend behandelt
„Bis zu 40 Prozent der Patienten leiden nach einem chirurgischen Eingriff trotz Therapie unter starken Schmerzen, die zudem häufig unterschätzt werden“ [3], so Likar. „Etwa ein Viertel davon verspürt am ersten postoperativen Tag intensive Schmerzen von 7 oder mehr auf der Numerischen Rating-Skale NSR.“ [4,5] Individuelle Risikofaktoren tragen zu deren Auftreten bei: „Die Stärke postoperativer Schmerzen korreliert negativ mit dem Alter – je jünger der Patient, desto stärker. Zudem sind Frauen und Patienten, die bereits vor der Operation unter Schmerzen litten, stärker betroffen.“ [4]
Entgegen den Erwartungen sind bei kleineren Operationen die Schmerzen häufig stärker als bei umfangreicheren Eingriffen. Die mittlere Schmerzstärke nach offenen Operationen der Appendektomie, Tonsillektomie oder Cholezystektomie liegt bei etwa 6 auf der Numerischen Rating-Skale (NSR). Für eine Schädel- und/oder Gehirnoperation wurde ein NRS von unter 3 angegeben, für eine Radikale Prostatektomie ein NRS von knapp über 3 und für eine Hüftprothesenoperation ein NRS von etwa 5. [3] Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Mittermair, Vorstand der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Klagenfurt bestätigt die Vermutung: „Gerade nach kleineren Eingriffen sind Schmerzen oft noch unzureichend behandelt.“
Gefahr der Chronifizierung
Auch die Art des Eingriffes beeinflusst das Schmerzgeschehen. Durch die Wahl minimal-invasiver anstelle von offenen Operationstechniken, wann immer möglich, kann die Schmerzstärke verringert werden. „Die stärksten Schmerzen treten in den ersten 48 bis 72 Stunden nach einem Eingriff auf“, so Ass.-Prof. Dr. Andre Ewers, geschäftsführender Vorstand des Institutes für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. „Postoperative Schmerzen müssen möglichst verhindert oder soweit gelindert werden, dass sie erträglich sind“, warnt Mittermaier auch vor einer Chronifizierung. Etwa 10 Prozent aller Patienten, die vor einer Operation schmerzfrei waren, haben drei Monate nach ihrem Eingriff noch immer starke Schmerzen. [6] Untersuchungen zeigen zudem, dass 51 Prozent der älteren Patienten erst über ihren Schmerz berichten, wenn dieser unerträglich ist. [7] Auf jeden Fall sollte akuter Schmerz frühzeitig und angemessen behandelt werden, um eine chronische Schmerzentwicklung zu vermeiden. Dabei ist das Ausmaß der Schmerzlinderung bereits am ersten Tag nach der Operation von entscheidender Bedeutung.
Vorhandene Mängel
Die Gründe für ein unzureichendes Management von postoperativen Schmerzen sind vielfältig. Maßgeblich sind die fehlende Einbindung des Patienten, eine unzureichende Schmerzerfassung, Zeitmangel, unzureichender Einsatz von Analgetika, die Angst vor Therapienebenwirkungen und Komplikationen, das Fehlen von schriftlichen Protokollen zur Schmerztherapie sowie mangelndes Wissen über Medikamente und Verfahren der Akutschmerztherapie. Oftmals besteht Unsicherheit bezüglich der Verantwortlichkeiten [8], Patientenaufklärungen über die postoperativen Möglichkeiten des Schmerzmanagements findet nur in etwa 60 Prozent der Fälle statt [8] und nur 33,5 Prozent der Ärzte halten schriftliche Protokolle in der täglichen Praxis ein. [9] Zudem vergehen im klinischen Alltag einer chirurgischen Normalstation lange 30 Minuten und mehr vom Schwesternruf bis zur Verfügbarkeit einer oralen Schmerztherapie für den Patienten. [10]
Erfolgsfaktoren
Mittermair: „Die Folgen eines mangelhaften perioperativen Schmerzmanagement sind eine gesteigerte körperliche Stressantwort, schlechtere Wundheilung, verlangsamte Mobilisierung, schlechte Schlafqualität, erhöhte Morbidität und Mortalität, gesteigerte Kosten und ein erhöhte Chronifizierungsrisiko.“ Zur Vermeidung ist also eine effektive Schmerztherapie notwendig. Als Erfolgsfaktoren dafür gelten Allgemeinwissen, Behandlungsprotokolle für verschiedene postoperative Situationen, aktives Einbeziehen von Patienten durch Information und die Beteiligungsmöglichkeit bei therapierelevanten Entscheidungen sowie der Erfahrungsaustausch zwischen Ärzten und Pflegepersonal. „Eine höhere Behandlungsqualität hat positive Auswirkungen auf die Dauer der Genesung, des Krankenhausaufenthaltes, auf die Patientenzufriedenheit und die Behandlungskosten“, weiß Mittermaier.
Die Qualität der Schmerztherapie beeinflusst zudem die Krankenhauswahl: „Für 73,1 Prozent der Patienten ist eine besonders gute Schmerztherapie ein Grund, dieses Krankenhaus zu wählen“, betont Likar. [11]
Schmerzmanagement in der Pflege
„Pflegende sind integraler Bestandteil eines erfolgreichen multiprofessionellen Schmerzmanagementteams,” so Pflegewissenschafter Ewers (Bild). Die Fähigkeiten und Fertigkeiten der einzelnen Professionen im Schmerzmanagement müssen genutzt werden. „Für die Überbrückung von Schnittstellenproblematiken ist multiprofessionelles Denken eine Voraussetzung.“ Die zentrale Aufgabe der Pflegekräfte liegt in der Koordination und Steuerung der Prozesse im postoperativen Schmerzmanagement. „Pflegerische SchmerzexpertInnen müssen über eine spezielle fachliche Expertise verfügen“, so Ewers und berichtet vom Ausbildungslehrgang zur „Pain Nurses“ in Nürnberg, in dem Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg (PMU) als Vortragende tätig sind: „Von 2005 bis 2016 wurden in diesem Lehrgang bereits 10.000 Pflegende als Schmerzexperten fortgebildet.“
Literatur
1 Weiser TG et al. Lancet. 2008;372:139–44; European Hospital and Healthcare Federation (HOPE). Hospitals in Europe Healthcare Data. 2012
2 Diagnosen-Leistungsberichte BMG/Abt.I/8/11
3 Gerbershagen et al. Anesthesiology 2013; 118: 934-944
4 Gerbershagen HJ et al Anesthesiology 2014; 120(5):1237-1245
5 NRS-11 = Nummerische Rating Skala, 0 = keine Schmerzen, 10 = stärkste vorstellbare Schmerzen
6 Perkins FM et al. Anästhesiology 2000; 93(4):1123-33
7 Sauaia A et al. JAGS (2005) 53:274-282; Patienten ≥ 65 Jahre
8 Schwenkgelenks M et al. Pain 2014; 155:1401-1411]
9 Benhamou D et al. Pain. 2008;136:134–41
10 Graves, D. A. et al. Ann Inter Med 1983: 99:360-366
11 Simanski et al. Der Schmerz. 2005: 20;327-333
Über CHANGE PAIN
Um die Schmerztherapie voranzutreiben und die Patientenversorgung zu verbessern, wurde von der Dachorganisation der europäischen Schmerzgesellschaften (EFIC) und Grünenthal europaweit die Initiative CHANGE PAIN ins Leben gerufen. Ärzten, Schmerzpatienten, deren Angehörigen und allen im Management von Schmerz Beteiligten oder Interessierten wird damit ein breites Experten-Netzwerk sowie ein Informations- und Servicepaket zur Seite gestellt. Kernthemen und Ziele der Initiative sind die Optimierung der Arzt-Patienten-Kommunikation, die individuell angepasste Therapie mit guter Balance zwischen Wirkung und Verträglichkeit sowie ein besseres Verständnis für Entstehungsmechanismen von Schmerzen. Die Initiative wird durch internationale und nationale Schmerzexperten wissenschaftlich gefördert. Die CHANGE PAIN Experten-Gruppe – in Österreich unter der Leitung von OA Dr. Jaksch – hat es sich zur Aufgabe gemacht, bessere Einblicke in die Problematik der Behandlung starker chronischer Schmerzen zu geben. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden laufend wissenschaftlich publiziert. Zusätzlich werden adäquate Fortbildungsunterlagen und -angebote für Fachpublikum in Medizin und Pflege erarbeitet. Weitere Informationen & Service unter: www.change-pain.at