Medizinprodukte-Versorgung in Ö. am Scheideweg: „State of the Art“ oder Abrutschen ins Mittelfeld?
Die kommenden Wochen und Monate sind wegweisend für die künftige Gesundheitsversorgung in Österreich. Gerade im Bereich der Medizinprodukte stehen zahlreiche Entscheidungen an, die zeigen werden, ob der aktuell im internationalen Vergleich hohe Versorgungslevel auch weiterhin gehalten werden kan..? Eine neue Kampagne der „AustroMed“ informiert.
Die Gefahr für das heimische Gesundheitswesen bei der Versorgung mit Medizinprodukten lauert gleich auf mehreren Ebenen. AUSTROMED Präsident Gerald Gschlössl: “Innovative Medizinprodukte verkürzen die Heilungszeit der Patienten und ermöglichen eine raschere Rückkehr ins normale Leben. Sparen am falschen Platz, ein unerträglich gewordener Preisdruck und Regeln, die die Forschung in Europa verlangsamen und verteuern, belasten die gesamte Medizinproduktebranche.“
EU-Medizinprodukteverordnung bringt kleinere Unternehmen in Gefahr
Mit der neuen Medizinprodukteverordnung hat sich die EU das Ziel gesetzt, die Sicherheit für Patienten weiter zu erhöhen. Höhere Qualität soll damit den Patienten zugutekommen. Für viele Hersteller von Medizinprodukten wird sich dadurch entscheiden, wie hoch der Mehraufwand sein wird, um ein neues Produkt auf den Markt bringen zu können. Die EU-Verordnung lässt in einigen Bereichen den nationalen Staaten einen kleinen, aber oft entscheidenden Spielraum z.B. bei der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten.
Gschlössl: „Sicherheit hat immer Vorrang. Überzogenes Sicherheitsdenken darf aber nicht dazu führen, dass ein österreichischer Patient nur mehr veraltete Produkte erhält. Innovative Produkte kosten in der Entwicklung sehr viel Geld. Die internationale Konkurrenz und der Kostendruck sind bereits jetzt enorm. Gerade kleinere Unternehmen könnten durch überladene Auflagen und bürokratische Hürden durch Großkonzerne überholt werden. Daher ist es für die heimische Branche von zentraler Bedeutung, wie die neuen Regelungen im österreichischen Gesetz verankert werden. Wir begrüßen ein einheitliches Regelwerk, damit die Unterschiede in den einzelnen Mitgliedsstaaten minimiert werden.“
Besonders bei Medizinprodukten höherer Risikoklassen wird es darauf ankommen, wie umfangreich man die Studien definiert, damit ein Produkt durch eine benannte Stelle für den Markt freigegeben werden kann. Gschössl: „Dabei ist es natürlich auch wichtig, dass es in Österreich eine oder noch besser mehrere benannte Stellen gibt. In der EU wurde die Anzahl der Benannten Stellen von über 80 auf rd. 30 reduziert. Das bringt eine massive Verschlechterung des Marktzuganges vor allem für kleine Unternehmen.“
Schon jetzt erreichen viele innovative Produkte Österreich nicht mehr
Alleine in Österreich gibt es rund 500.000 verschiedene Medizinprodukte. Die jeweils staatlichen Gesundheitssysteme entscheiden, wie viel ein Hersteller für ein innovatives Produkt verlangen darf oder ihm die Krankenkasse bezahlt. Hier gibt es in den verschiedenen EU-Ländern große Unterschiede.
Gerald Gschlössl: Wir müssen uns als Gesellschaft öffnen gegenüber Innovationen und sie müssen sich rentieren, sonst werden sie nicht entwickelt oder auf einem bestimmten Markt gar nicht angeboten. Es gibt bereits viele Innovationen, die dem österreichischen Patienten nicht zur Verfügung stehen, weil die Hersteller ihre Innovationen nicht mehr verkaufen können. Wer auf der Strecke bleibt, ist der österreichische Patient. Unsere Forderung daher: Es muss verstärkt der volkswirtschaftliche Nutzen einbezogen werden. Innovative Produkte führen dazu, dass Patienten schneller gesund werden, wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können und damit dem Sozialsystem weniger kosten. Daher ist eine Entwicklung weg von der Stückkosten- hin zur Prozesskostenbetrachtung notwendig. Hier ist noch ein großer Aufholbedarf gegeben, der möglichst rasch angegangen werden muss.“
Bestbieterverfahren
Seit 1. März 2016 ist in Österreich das neue Bestbieterprinzip bei öffentlichen Ausschreibungen in Kraft getreten. Damit soll die Qualität im Vergleich zum Preis einen höheren Stellenwert erhalten und das wirtschaftlich günstigste Angebot gefunden werden. Maßgeblich dafür ist die Höhe des Gesamtauftrages. Diese neue Vorgehensweise betrifft natürlich auch in großem Ausmaß die heimische Medizinproduktebranche, da Krankenhäuser viele Produkte öffentlich ausschreiben. In den nächsten Monaten wird es eine erste Einschätzung geben können, welche Auswirkungen durch diese Neuregelung bei Medizinprodukten erkennbar sind.
AUSTROMED Geschäftsführer Mag. Philipp Lindinger: “Bisher erhielt meist der billigste Anbieter den Zuschlag, nun sollte der Auftrag an den Bestbieter gehen. Gerade bei betreuungsintensiven Produkten, bei denen rasches Service, laufende Schulungen, etc. sehr wichtig sind, kommt es sehr auf die entsprechende Berücksichtigung in der Ausschreibung an. Wird zum Beispiel ein hoher Servicelevel gar nicht in der Ausschreibung explizit gesucht, nützt das schönste Bestbieterverfahren nichts und es wird wieder der billigste Anbieter den Auftrag erhalten. Dies kann auch zu Lasten der Qualität gehen. Prinzipiell begrüßen wir das Bestbieterprinzip – es ist der Weg in die richtige Richtung, die Umsetzung erfordert jedoch ein radikales Umdenken.“
Sparen am Gesundheitssystem führt langfristig zu Mehrkosten
Angesichts der Tatsache, dass wir immer älter werden und auch im hohen Alter noch möglichst gesund sein wollen, ist ein Sparen am Gesundheitssystem allgemein ein Problem. Viele Neuregelungen im Gesundheitssystem führen für die Patienten zu Mehrbelastungen und damit bereits bei der Prävention zu Vernachlässigungen. Das wird langfristig zu Mehrkosten im Gesundheitswesen führen.
Lindinger: „Effizienzsteigerung: Ja! Sparen um jeden Preis: Nein! Zum Beispiel im Bereich der Telemedizin ist trotz des großen Einsparungspotentials und der Entlastung der Ambulanzen Österreich noch weit weg von einer Regelversorgung. Gerade hier ist eine Verbesserung der Situation für Patient und Gesundheitswesen eindrucksvoll und unkompliziert möglich.“
Hintergrund: Die Medizinproduktebranche in Österreich
Die Medizinproduktebranche in Österreich umfasst rund 500 Unternehmen mit über 23.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 7 Mrd. €. Dabei handelt es sich ausschließlich um jene Unternehmen, die Medizinprodukte in Österreich herstellen oder um nationale bzw. internationale Unternehmen, die diese für das heimische Gesundheitssystem bereitstellen. Insgesamt haben hunderttausende Menschen in Österreich in den verschiedensten Berufen tagtäglich mit Medizinprodukten zu tun.
AUSTROMED ist die Interessensvertretung der österreichischen Medizinprodukte-Unternehmench tätig sind. Medizinprodukte reichen vom Herzschrittmacher über das Hüftimplantat bis hin zum Pflaster. Aufgrund der hohen Innovationskraft werden ständig neue Produkte entwickelt.