Gastbeitrag: APS verleiht Deutschen Preis für Patientensicherheit 2021

Eröffnet wurde die 15. Jahrestagung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er hob die Wichtigkeit des Themas hervor, das seiner Meinung nach verstärkt in die pflegerische Grundausbildung und auch ins Medizinstudium integriert werden müsse.

APS

Um das Lernen aus Fehlern, aber auch aus Erfolgen ging es in mehreren Vorträgen der zweitägigen Online-Veranstaltung. Beides hilft nach Meinung von Keynote-Sprecherin Prof. Suzette Woodward den Akteur*innen im Gesundheitswesen, die Sicherheit der Patient*innen zu erhöhen. Woodward hat schon Gesundheitsministerien auf der ganzen Welt beraten und plädiert für eine neue Fehlerkultur: „Menschen lösen Probleme, sind schlau. Menschen sind aber auch gefühlsgesteuert, machen Fehler. Das Problem ist, dass wir immer Perfektion erwarten – die gibt es aber nicht. Deshalb brauchen wir eine Kultur, die nicht nach Schuldigen sucht, sondern überlegt: Was können wir daraus lernen?“

 Nicht nur aus eigenen Fehlern lernen

In den letzten Jahren haben sich CIRS-Systeme etabliert (Critical Incident Reporting Systems) – d.h. Meldesysteme, die Fehler und kritische Ereignisse sammeln und aus deren Erkenntnissen Maßnahmen abgeleitet werden. Gutachtlich anerkannte Schäden durch fehlerhafte Behandlungen gibt es jährlich ca. 7.000, erklärte Hardy Müller, der Verantwortliche für Patientensicherheit bei der Techniker-Krankenkasse, in seinem Vortrag. Das sei aber nur die offiziell gemeldete „Spitze des Eisberges“ – die Dunkelziffer sei weitaus höher, so Müller. Tatsächlich gehe man bei der TK von mehr als 200.000 solcher Fälle aus. Um ein genaueres Bild zu bekommen, hat die TK das Berichtssystem >CIRS für Patienten geöffnet. Quantitativ mehr Meldungen sollen auf Dauer die Qualität steigern.

Dabei kommt es nicht nur darauf an Fehler zu melden. „Wir brauchen nicht nur kritische Fälle, sondern auch relevante Fälle“, sagte Müller, denn auch aus positiven Meldungen könne man viel für die Patientensicherheit ableiten.

CIRS auch in Studium und Pflegeausbildung

Fehler zugeben ist oft genauso schwierig, wie Fehler anderer zu melden. Dr. Stefan Bushuven (Gesundheitsverbund Konstanz) hat in einer Studie erforscht, wie Medizinstudierende Fehler anderer weitergeben. Die meisten Studierenden trauen sich nicht, Fehler von Höhergestellten zu benennen. Knapp 90 Prozent tolerieren kritische Ereignisse von Vorgesetzten. „CIRS für Medizinstudenten ist ein wichtiger Schritt. Die ganze Ausbildung ist ein Critical Incident“, sagt Bushuven und möchte, dass das Zugeben von Fehlern, Teil des Medizinstudiums wird: „Es muss schon im Studium gelehrt werden, wie man Fehler, auch von Vorgesetzten, konstruktiv benennen kann.“

Bushuven hat mit Medizinstudierenden das Projekt > S.H.I.T. Happens (Student.Health Professionals‘.Incident Reporting.Tool) gestartet. Über diese Plattform werden Fehler an CIRS gemeldet, bearbeitet und die Ergebnisse kommen an die Studierenden zurück. Als Nebeneffekt können aus den alltäglichen Fehlern Prüfungsfragen formuliert werden. Bisher gibt es auf Grund der Corona-Pandemie nur wenige Meldungen, aber für S.H.I.T. Happens gibt es schon Anfragen von Ausbildungsstätten.

Second Victims: ein Thema, so alt wie die Medizin

Wenn von Fehlern die Rede ist, geht es auch immer um die Menschen, die Fehler machen. Kommt ein Patient durch den Fehler eines Pflegenden oder medizinisch Tätigen zu schaden, traumatisiert das nicht nur den Betroffenen und die Angehörigen, sondern auch den Verursacher. Man spricht dann vom Second Victim, dem „zweiten Opfer“ eines Zwischenfalls. Second Victims verlieren den Glauben an die eigene Kompetenz, bekommen nicht selten Depressionen und viele ziehen sich aus dem Beruf zurück.

In Deutschland wird dieses Phänomen erst seit kurzem untersucht. Die Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden, die Charité und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) haben dazu Daten gesammelt: In der > SeVid1 genannten Studie wurden Ärztinnen und Ärzte, die vor dem Facharzt im internistischen Bereich stehen, nach dem Second Victim Phänomen befragt. Nur eine(r) von zehn Befragten konnte mit dem Begriff etwas anfangen, aber sechs von zehn würden sich als Second Victim bezeichnen. Ein ähnliches Bild ergab die Studie SeVid2 unter Pflegekräften.

Den Helfer*innen helfen: Kollegiale Erste Hilfe wichtig

Als richtig und wichtig hat sich in verschiedenen Projekten die psychologische Erste Hilfe erwiesen: Zeitnahe Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen auf Augenhöhe. Um Second Victims zu verhindern, ist die sofortige Aufarbeitung eines Zwischenfalls wichtig. „Es geht dabei nicht um die Schuld im eigentlichen Sinne, sondern um das individuelle Schuldgefühl“, sagte Dr. Andreas Schießl vom Verein >PSU-Akut, der sich um psychosoziale Unterstützung von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen kümmert.

Die kollegiale Soforthilfe ist eine sinnvolle Ergänzung der professionellen Krisenintervention. Das hat sich aus einer Studie der Wiesbadener Rhein-Main Hochschule mit der Klinik Hietzing in Wien ergeben. Eine Ausbildung in „Kollegialer Hilfe“ wird den Angestellten dort inzwischen wie ein Erste-Hilfe-Kurs angeboten, berichtet Miriam Ablöscher von der Wiener Klinik.

Nachwuchsförderpreis für Münchener Humanbiologen

Auch bei der 15. Jahrestagung des APS wurde der Deutsche Preis für Patientensicherheit verliehen. Insgesamt 47 Ideen, Projekte und Arbeiten wurden eigereicht. Der erstmals verliehene Nachwuchsförderpreis ging an Dr. Dominik Bauer, der mit seiner Dissertation die Auswirkungen einer intersektoralen pharmakotherapeutischen Betreuung durch Apotheker auf die Symptomlast von Palliativpatienten untersuchte. Bauer kommt darin zu dem Ergebnis, dass eine poststationäre pharmatherapeutische Betreuung von Palliativpatienten durch einen Apotheker, die Symptomlast der Patienten erheblich senken kann.

Dissertation „Auswirkungen einer intersektoralen pharmakotherapeutischen Betreuung durch Apotheker auf die Symptomlast von Palliativpatienten„.

Hauptautor: Dr. Dominik Bauer

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Prämiert: Alarmsystem, Denkpause und ein Gesundheitsnetzwerk

Gewinner des Preises für Patientensicherheit ist das >Gesundheitsnetzwerk TEL.net@NRW der Unikliniken RWTH Aachen und Münster (UKM) für seine flächendeckende digitale Versorgungsstruktur. In dem landesweiten telemedizinischen ärztlichen Versorgungskonzept kooperieren 99 Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen miteinander.

TELnet@NRW – Telemedizinisches, intersektorales Netzwerk als neue digitale Gesundheitsstruktur zur messbaren Verbesserung der wohnortnahen Versorgung

Hauptautor: Univ.-Prof. Dr. med., FRCA Gernot Marx et al..
IZDM – Innovationszentrum Digitale Medizin, Uniklinik RWTH Aachen

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Der zweite Preis geht an ein ebenso einfaches, wie wirksames Projekt, das in den Asklepios-Kliniken inzwischen bundesweit Standard ist. >Stop-Injekt: Check ist ein Konzept zur Vermeidung von Medikationsfehlern bei der Verabreichung intravenöser Injektionen. Im Rahmen des Projektes wird medizinisches Personal geschult, unmittelbar vor der Injektion Medikament, Dosis, Patient, Zeit und Applikation zu überdenken. Ein Plus für die Sicherheit der Patienten und der Behandelnden, urteilte die Jury.

STOP-INJEKT CHECK – 2 Sekunden für mehr Medikamentensicherheit. Planung, Umsetzung und Evaluation eines konzernweiten Präventionsprojektes in den Asklepios Kliniken

Autorengruppe:
Reiner Heuzeroth, Asklepios Kliniken GmbH & Co KGaA, Konzernbereich Qualität
Dr. med. Marcus Rall und Dr. Saskia Huckels-Baumgart, InPASS Institut für Patientensicherheit und Teamtraining GmbH

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Der dritte Preis ging an das Cluster-Alarm-System CLAR vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Berliner Charité. Das von Dr. Michael Behnke entwickelte CLAR schlägt bei ungewöhnlichen Erregerhäufungen in einem Klinikbereich per E-Mail Alarm. Das System ermöglicht eine krankenhausweite Echtzeitüberwachung multiresistenter Erreger, sowie eine stationsgenaue Erstellung von Erregerstatistiken.

Cluster-Alarm-System, CLAR – Ein elektronisches System für die Schnellerkennung von Erregerhäufungen im Krankenhaus

Hauptautor: Dr. rer. medic. Michael Behnke et al.
Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

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Über den Preis

Der erste Platz ist mit 10.000 Euro, der zweite mit 6.000 Euro und der dritte Platz mit 3.500 Euro dotiert. Das Preisgeld wird zweckgebunden vergeben.

Gesucht werden Best-Practice-Projekte bzw. zukunftsweisende Forschungsarbeiten, die zu einer nachweislich besseren Patientensicherheit beitragen. Ob besondere Hygienekonzepte, Beratungsangebote oder technische Lösungen für spezielle Versorgungsbereiche – die Spannbreite der Arbeiten, die sich für den Preis bewerben können, ist groß. Ausgezeichnet werden zum Beispiel Projekte, mit denen die Patientensicherheit in der eigenen Einrichtung gestärkt wird, Ideen, die auf eine Verbesserung von Versorgungsstrukturen abzielen, Modelle zur Förderung der patientenzentrierten Kommunikation oder Forschungsarbeiten zum Thema Patientensicherheit und Risikomanagement.

Eine 10-köpfige unabhängige Expertenjury aus den Bereichen Ärzteschaft, Pflege, Apotheke, Selbsthilfe und Kostenträger bewertet gemeinsam mit jeweils einem Vertreter der Kooperationspartner. Die Jury bewertet in einem mehrwöchigen Verfahren nach 5 Bewertungskriterien im Punktesystem und wählt in einer finalen Jurysitzung aus einer „Bestenliste“ die drei Preisträger*innen aus. Die Bewertungskriterien sind:

  1. Praxisrelevanz
  2. Fortschritt für die Versorgung
  3. Potentieller Einfluss auf die Patientensicherheit
  4. Umsetzung oder Grad der Implementierung
  5. Ausblick auf eine nachhaltige Wirksamkeit ODER Evaluationsergebnisse
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