Bundesarbeitsgericht contra Vermittlungsagenturen: Rund 600.000 der 24-Stunden-Billiglohnkräfte aus Osteuropa müssen den gesetzlichen deutschen Mindestlohn erhalten

Geschätzt 600.000 gering oder gar nicht qualifizierte Hilfskräfte aus Osteuropa schuften zu meist unwürdigen Bedingungen rund um die Uhr für betreuungsbedürftige Menschen in Deutschlands privaten Haushalten. Und werden dafür weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn ausgebeutet. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht ein wegweisendes Urteil gesprochen – und die Politik sollte endlich gegen das menschenunwürdige Lohndumping vorgehen.

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Inländische Arbeitgeberverbände von sozialen Diensten – die gesetzliche Mindest- bzw.höhere  Tariflöhne zahlen müssen – begrüßen das heute vom Bundesarbeitsgericht in Erfurt gefällte Grundsatzurteil. Demnach haben nach Deutschland vermittelte ausländische Pflege- und Haushaltshilfen, die Senior*innen in ihren Wohnungen betreuen, Anspruch auf den gesetzlichen Mindestloh – sowohl für Arbeits- als auch für Bereitschaftszeiten.

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Damit hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass geltendes Arbeitsrecht, insbesondere die Mindestlohnregelungen, auch für Vermittlungsagenturen gelten. Während sich inländische Pflegeeinrichtungen an das geltende Recht halten und wiederkehrend behördlich geprüft werden, bieten Vermittlungsagenturen aus Osteuropa Pflege rund um die Uhr zu Kosten deutlich unter dem Pflegemindestlohn an. Die Leidtragenden seien dabei allerdings die eigenen Mitarbeiter oder Scheinselbständigen, so bpa-Präsident Bernd Meurer in einer Aussendung.

Die  Lebens- und Arbeitsbedingungen sind oft prekär. „Das Urteil muss jetzt auch Folgen haben und in der Praxis umgesetzt werden“, fordert Meurer. Der Rechtsstaat habe jetzt zu handeln und Pflegebedürftige und Betreuungskräfte gleichermaßen zu schützen. Übrigens: Schon im Vorjahr hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einer klagenden 24-Stunden-Betreuerin aus Bulgarien eine erhebliche Lohnnachzahlung zugesprochen.

Die Kehrseite der Medaille: Häusliche Betreuung wird teurer

So wichtig und erfreulich dieses Urteil auch ist – die Medaille hat natürlich auch eine Kehrseite: So wird die häusliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung schon bald empfindlich teurer werden und Pflegebedürftige sowie deren Angehörige finanziell überfordern. Das Verhältnis von geschätzt 600.000 osteuropäischen Betreuungskräften auf 3,3 Millionen Menschen mit Pflegebedarf, die zu Hause leben – davon rund 800.000 von Demenz Betroffene – macht das Ausmaß der Problematik sichtbar. Deshalb fordert jetzt die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft mehr finanzielle Unterstützung vom Staat.

Das individuelle „Pflegebudget“, über das seit Jahren diskutiert wird, würde die Situation erleichtern, weil damit die Leistungen der Pflegeversicherung bedarfsgerechter und flexibel eingesetzt werden könnten. Bisher wurden entsprechende Pläne aber immer wieder verschoben, weil damit höhere Kosten für die Steuerzahler verbunden wären.

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