„Geringschätzung pur“ zum Int. Tag der professionellen Pflege: Kein Stimmrecht in eigener Sache für Deutschlands Pflegende im Spitzengremium G-BA

GBA-Vorsitzender Prof. Josef Hecken setzte wenige Tage vor dem Welt-Tag der professionell Pflegenden ein völlig falsches Signal: Mit seiner Forderung, der Pflege „(…) keinesfalls ein Stimmrecht“ im G-BA gesetzlich einzuräumen, stösst er rund 1,5 Millionen Pflegende in herabsetzender Wortwahl vor den Kopf. Wir fragen uns: Ist dieser Vorsitzende noch tragbar?

Zutritt-verboten

Diese und weitere, von der Ärztezeitung zitierten Äusserungen tätigte der Vorsitzende des „Gemeinsamen Bundesausschusses“ in der Vorwoche im Rahmen eines Kongresses. Pflegeverbände reagierten darauf mit Empörung und harscher Kritik. Prof. Hecken brüskierte darüber hinaus auch die Bundesregierung – denn es steht glasklar im Koalitionsvertrag, dass diese den G-BA für die Profession Pflege und andere Gesundheitsberufe mit vollwertigem Stimmrecht öffnen will.

Hecken zufolge solle die Pflege zwar mitberaten dürfen, aber auf keinen Fall ein Stimmrecht eingeräumt bekommen. Die Arbeit des Gremiums könnte dadurch „verwässert“ und zu einer „Schülermitverwaltung“ werden, berichtete u.a. die ÄrzteZeitung.

Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR) sagte daraufhin: „(…) Das ist eine Form der Diskriminierung und Herabsetzung, was auch für den Vergleich mit einer Schülermitverwaltung gilt, das so nicht hingenommen werden kann.“ Sich hier auf die ärztliche Versorgung zu konzentrieren, greife zu kurz. Die professionell Pflegenden haben „den größten Anteil daran, dass Menschen mit Pflege- und Hilfebedarf genesen können“.

Die Vorsitzende des Landespflegerates Baden-Württemberg, Susanne Scheck, bezeichnete Heckens Aussage als einen „Schlag ins Gesicht aller Pflegenden, die sich seit Jahrzehnten für mehr Mitsprache und Mitbeteiligung einsetzen“. Die Pflege sei eine eigene Profession mit fundierten wissenschaftlichen Fachkenntnissen. „Wir erwarten einen Diskurs auf Augenhöhe.“ Die Vertreter der Pflegeverbände fordern volle Stimmberechtigung im G-BA, die Einbeziehung bei zentralen – die Pflege betreffenden – Entscheidungen sowie Mitwirkungsrecht bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen.

Die Pflegegewerkschaft ´Bochumer Bund´ fand deutliche Worte zu dieser beispiellosen Herabwürdigung der beruflich Pflegenden – hier im Wortlaut:

„Auf dem Gesundheitskongress des Westens am 03.05.2022 zeigte der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), dem höchsten Gremium des Gesundheitswesens, Professor Josef Hecken, offen, welche Meinung er zu einer Mitwirkung der Gesundheitsberufe im G-BA vertritt.
Vor rund 1.000 Kongress-Teilnehmenden forderte er zuerst noch relativ moderat „Reform ja, aber behutsam“, um dann im weiteren Verlauf seiner Ausführungen die Pflege- und Therapieberufe zu diskreditieren. So könne man Einzelnen ein Mitberatungsrecht einräumen, was der Pflegerat bereits heute schon hat. Dies dürfe aber nicht zu einem Stimmrecht führen, der G-BA laufe dann nämlich Gefahr, zu „einer Art Schülermitverwaltung zu verkommen“, so Hecken.
Genau dieses Stimmrecht ist es jedoch, das der professionellen Pflege zusteht. Nur so kann sie Gesundheitspolitik mitgestalten. Die Pflege in Deutschland ist als solitärer Leistungserbringer mit einem erheblichen Erbringungsvolumen, das sich nicht hinter dem des medizinischem Sektor verstecken muss, im G-BA nicht stimmberechtigt. Das ist nicht nur ungerecht. Es zeigt die systematische Unterdrückung der Pflege in Deutschland. Nun, da der Gesetzgeber, initiiert durch die Ampelkoalition, die Profession Pflege im G-BA besser positionieren und ihr mehr Rechte zuteilen möchte, zeigt sich dass der Vorsitzende Josef Hecken dem Anspruch an Neutralität, den seine Position vorschreibt nicht gerecht wird. Mehr noch: Er ergreift bewusst aktiv Partei gegen die Pflegenden.
Josef Hecken ist auf dieser Grundlage nicht mehr als Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschuss tragbar.
Völlig inakzeptabel sei für ihn die Aussicht auf die Arbeit des G-BA unter Mitwirkung der Gesundheitsberufe, „wir können nicht zum Zirkus Krone werden“. Wieder einmal wird mehr als deutlich, welche Meinung Entscheidungsträger von der Profession Pflege und damit von vielen Tausend Kolleginnen und Kollegen haben.
Der Gemeinsame Bundesausschuss besteht zur Zeit aus dreizehn stimmberechtigten Mitgliedern. Davon paritätisch aus je fünf Mitgliedern der Leistungsfinanzierer und fünf Mitgliedern der Leistungserbringer. Zusätzlich drei weitere in diesem Kontext unparteiische Mitglieder, welche auch den oder die Vorsitzende*n stellen. Dass die Pflege hier nicht vertreten ist, ist schlicht inakzeptabel. Der BochumerBund kritisiert die Aussagen von Josef Hecken deshalb scharf. Die Pflegenden bilden die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen in Deutschland. Ihre Interessen und Standpunkte sind mehr wert als sie nur vortragen zu dürfen. Sie müssen einfließen, um eine zukunftsfähige, nachhaltig hochwertige Gesundheitsversorgung gestalten zu können. Das ist logisch und angemessen.
Der BochumerBund fordert deshalb eine Integration des DPR im G-BA, welche ein Stimm- und Antragsrecht beinhalten muss. Sie ist als Bereicherung zu werten, nicht als „Verwässerung“. Wir erwarten eine Begegnung auf Augenhöhe, was einschließt, dass mit AkteurInnen der Profession Pflege gesprochen wird – nicht über sie, noch dazu in dieser despektierlichen Weise, wie es durch den Vorsitzenden des G-BA Josef Hecken geschehen ist.“ (Aussendung vom 13.05.2022)

LAZARUS antwortet Prof. Hecken auf diesen unerträglichen Affront mit >Pflege-Pionierin Agnes Karll (1868 – 1927):

„Will die (beruflich) Pflegende nicht wie bisher Amboß sein, muss sie eiligst anfangen, Hammer zu werden und nicht mehr ihr Geschick willenlos aus den Händen Anderer zu nehmen, sondern es selbst zu gestalten.“

Hintergrund:

Die Zahl der beruflich Pflegenden beträgt nach aktueller DeStatis-Statistik: 486.100 Beschäftigte in Krankenhäusern + 18 % gegenüber 2010) sowie rund 954.000 Mitarbeitende in Pflegeheimen und ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten (+ 61 % im ambulanten Bereich bzw. + 30 % in den Heimen, von 2009 bis 2019).

Zur Generation der „Babyboomer“ zählen (auch) jene Pflegenden, die Anfang der 1960er Jahre geboren wurden. Für diese vergleichsweise große Generation steigt nach 2030 das Pflegerisiko mit zunehmenden Alter exponenziell an. Umgekehrt wird sich durch das altersbedingte Ausscheiden der „Babyboomer“ die Situation auf dem Arbeitsmarkt massiv verschärfen: Im Jahr 2019 war nahezu jede/r dritte Pflegeperson in den Pflegeeinrichtungen 55 Jahre oder älter.

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