Absurd – obszön – überzogen: Neue Maskenpflicht für über eine Million hochbetagte Heimbewohner*innen? Länder und Verbände bremsen jetzt deutlich
Nach dem massiven Protest der deutschen Seniorenverbände (>wir berichteten im Vorheft) gegen die neuerliche Maskenpflicht ab 1. Oktober für hochaltrige und/oder demenzkranke Menschen in Heimen und Behinderteneinrichtungen stehen jetzt auch die Länder und weitere große Verbände auf der Bremse. Hier einige Meinungen in Kürze:
Nordrhein-Westfalen empfiehlt moderate Auslegung in Heimen
So hält beispielsweise NRW-Sozialminister Karl Josef Laumann (re.) den Verzicht auf Masken etwa in den so wichtigen Gemeinschaftsräumen in Heimen für vertretbar. Er hat in einem am 30. September veröffentlichten Erlass die zuständigen Aufsichtsbehörden in den Kommunen auf „Auslegungsmöglichkeiten“ zum Infektionsschutzgesetz (IfSG) hingewiesen. Das berichtet die Ruhrgebietskonferenz Pflege. Der NRW-Minister unterscheide zwischen dem Schutzmaßbedarf für Menschen in Krankenhäusern und dem in Einrichtungen der Langzeitpflege.
Ruhrgebietskonferenz-Pflege: „Es ist Zeit für mehr pflegerisches Selbstbewusstsein und fachlichen Ungehorsam!“
Für Roland Weigel, Koordinator der Ruhrgebietskonferenz-Pflege, ist diese Unterscheidung von zentraler Bedeutung für die Auslegung der Maskenpflicht in der Langzeitpflege: „Wir haben jahrelang daran gearbeitet, dass Pflegeheime und Wohngemeinschaften Orte sind, an denen Normalität gelebt werden kann. Das muss endlich wieder in den Fokus gerückt werden. Schließlich haben wir nicht umsonst für eine hohe Impfakzeptanz bei den Menschen gekämpft.“
Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege sieht auch im jetzigen IfSG durchaus Handlungsspielräume für ein würdevolles Leben mit Hilfe- und Pflegebedarf in Corona-Zeiten. Für Ulrich Christofczik ist es Zeit für mehr pflegerisches Selbstbewusstsein: „Die jetzt von Minister Laumann aufgelisteten Auslegungsmöglichkeiten zeigen, dass eigenständiges Denken und Handeln auch unter den Bedingungen des neuen IfSG möglich sind. Da, wo Behörden und Kontrolleure diese Optionen einzugrenzen versuchen, werden wir ihnen fachlichen Ungehorsam entgegensetzen.“
Was meint Altenpflegerin Claudia Moll, Pflegebeauftragte der Bundesregierung dazu?
„Pflegebedürftige müssen vor Corona geschützt werden. Aber Pflegeeinrichtungen sind das Zuhause der Bewohnerinnen und Bewohner, auch die Gemeinschaftsräume. Daher ist der Verzicht einer umfassenden Maskenpflicht hier vertretbar. Ich trage ja auch keine Maske in meinem Wohnzimmer.“
Altenpflegerin Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, 12.10.2022
Bayern: Maskenpflicht in Heimen „überzogen“ – behutsame Umsetzung
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat die vom Bund vorgeschriebene Maskenpflicht in Krankenhäusern, stationären Reha-Einrichtungen, Alten- und Pflegeheimen sowie voll- und teilstationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen als überzogen kritisiert und eine „Umsetzung mit Bedacht“ angekündigt. Holetschek sagte am 6. Oktober 2022 in München: „Die Regelung des Bundes ist nicht praxistauglich.“ (>Quelle)
Bayern setze daher auf eine Auslegung des Gesetzes mit Augenmaß und unterstützt damit die Einrichtungen. Die neuen Regelungen im Infektionsschutzgesetz (IfSG) für vulnerable Einrichtungen seien eine gravierende Verschärfung gegenüber den bisher landesrechtlich angeordneten Schutzmaßnahmen. Neben dem durchgängigen FFP2-Maskenstandard gilt die Maskenpflicht in diesen Einrichtungen nun auch für Menschen bzw. Bereiche ohne Kontakt zu vulnerablen Personen – beispielsweise Früh- und Förderwerkstätten sowie Heilpädagogische Tagesstätten. „Das ist einfach nur absurd!“, so Holetschek.
Aufenthalts- und Gemeinschaftsräume in Wohn- und Pflegeheimen sind Lebensmittelpunkte – Masken unsinnig
Pflegeminister Holetschek (li.) erläuterte: „In Einrichtungen, in denen Menschen auf Dauer wohnen, sollte zudem die Maskenpflicht für Bewohnerinnen und Bewohner auch in den Räumen entfallen, die als Aufenthalts- und Gemeinschaftsräume Mittelpunkt der Lebensgestaltung sind. Wir werden auch insoweit die Ausnahme weit auslegen.“ Es sei zudem nicht verständlich, dass etwa Besucher von Alten- und Pflegeheimen in den Appartements der Bewohner*innen zum Tragen einer FFP2-Maske verpflichtet sind. Es handle sich hier um deren verfassungsrechtlich geschützte Wohnung, in der sie selbst entscheiden können, ob ihre Besucher Maske tragen müssen.“
Bayern werde Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und Einrichtungen für behinderte Menschen nicht im Regen stehen lassen. Holetschek versprach: „Wir werden praxisnah den Begriff der Einrichtung eng und die Ausnahme weit auslegen.“ Zwar sei die Pandemie noch nicht vorbei und der Schutz vulnerabler Personen weiterhin wichtig. Die starre FFP2-Maskenpflicht des Bundesgesetzes schieße aber weit über dieses Ziel hinaus. Hier gelte es, durch sinnvolle Auslegung einen praxistauglichen Vollzug der Vorschriften zu ermöglichen.
Niedersachsen legt Änderungsantrag zum Bundesgesetz vor
Niedersachsen möchte laut Gesundheitsministerin Daniela Behrens mehr Flexibilität beim Thema FFP2-Maskenpflicht in Pflegeheimen ermöglichen. Deshalb hat das Land einen Änderungsantrag zum Infektionsschutzgesetz des Bundes vorgelegt.a Behrens: „Die FFP2-Maskenpflicht wurde aus unserer Sicht aber deutlich zu unflexibel geregelt“. Zudem gebe es bereits sehr hohe Impfquoten. Und nicht zuletzt seien die Betroffenen nicht ausreichend eingebunden worden, was zu viel Unmut und Unverständnis bei Heimbewohner*innen, besuchenden Angehörigen und den Mitarbeitenden führe.
„Eine geradezu obszöne politische Entscheidung“
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie (re.) hat die Maskenpflicht für Pflegeheimbewohner*innen scharf kritisiert: „Das ist eine geradezu obszöne politische Entscheidung“, sagte der Chef der evangelischen Wohlfahrtsorganisation dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Diese Menschen lebten dort mit sehr hohen Impfquoten und Schutzstandards, betonte er. Das Pflegeheim sei ihre Wohnung.
Und was sagt der Arzt und Politiker Dr. Lauterbach zu diesem rigorosen Bundesgesetz?
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Maskenpflicht in Heimen am 6. Oktober noch gegen Kritik verteidigt. Dabei legte eine >gemeinsame Erklärung der Pflegewirtschaft sowie diverser Wohlfahrts- und Kommunalverbände vor. Nicht eingebunden waren jedoch die meisten der 16 Pflegeberufsverbände, die im Dachverband des Deutschen Pflegerates vertreten sind …