Um die Integration von praxisangepassten Forschungsergebnissen in die Pflegepraxis zu ermöglichen, haben Pflegewissenschaftler*innen und Pflegekräfte eines Pflegeheimes in Graz gemeinsam einen Werkzeugkoffer zum nicht-medikamentösen Schmerzmanagement entwickelt, der jetzt allen Interessierten zur freien Verfügung steht. Hier ein abschließender Bericht:
Um den Anforderungen der in Pflegeheimen lebenden Menschen gerecht zu werden, ist eine moderne, auf Evidenz basierende Pflegepraxis von Bedeutung. Daher müssen in der Pflege, genauso wie in der Medizin oder der Pharmazie, neue Erkenntnisse aus der Forschung in den Alltag eingebunden werden. Um dies zu erreichen, benötigt das Pflegepersonal einen unkomplizierten Zugang zu Forschungsdaten und Forschungsergebnisse, die auf die Praxisbedürfnisse angepasst sind. Da solche Daten und Ergebnisse kaum zur Verfügung stehen, findet Forschung nur erschwert Einzug in die Pflegeheimpraxis.
Im Rahmen des Projektes OPINION Lab ist Forschung im Pflegeheim gelebte Realität, wodurch die Integration von praxisangepassten Forschungsergebnissen in die Pflegepraxis ermöglicht wird.
Das OPINION Lab
„OPINION Lab“ ist die Abkürzung für Open INnovatIOn Nursing Lab, was übersetzt so viel wie „offenes innovatives Pflegeheim“ bedeutet. Es ist ein vom FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) zur Gänze gefördertes Projekt (CM300), welches im Juni 2022 startete.
Das Projekt zielt darauf ab, Forschung und Pflegepraxis enger zusammenzubringen, damit beide Seiten Vorteile daraus ziehen können. Die neuesten Forschungsergebnisse werden der Pflegepraxis leicht zugänglich gemacht, und die Wissenschaftler*innen bekommen eine direkte Verbindung zur Praxis. Konkret zielt das Projekt darauf ab, Forscher*innen in das tägliche Leben des Pflegewohnhauses Graz St. Peter einzubinden und Pflegepersonen in diesem Pflegeheim mit Forschung vertraut zu machen.
Dabei arbeiten Pflegepersonen und Forscher*innen einmal wöchentlich zusammen im Pflegeheim. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, erforderliche Daten direkt vor Ort zu erfassen und die Erfahrungen des Pflegepersonals in die zukünftige Forschung einzubeziehen.
Projekt-Beteiligte
Das Pflegewohnhaus Graz St. Peter der Caritas Graz-Seckau, das Institut für Pflegewissenschaft der Medizinischen Universität Graz und zwei Partneruniversitäten in Maastricht und Leeds gehören zu den Projektbeteiligten. Der Erfolg des Projekts OPINION Lab hängt wesentlich von den vielfältigen Perspektiven der Mitarbeiter*innen ab. Dabei werden das Wissen vom Pflegepersonal, Erfahrungen von Pflegeheimbewohner*innen, wissenschaftliche Erkenntnisse von Forschenden und Manager*innenwissen aus dem administrativen Bereich gebündelt. Derzeit steht das Thema Schmerzmanagement im Fokus.
Erforschung des Schmerzmanagements
Bis Juni 2023 wurden im Pflegeheim Daten zur Häufigkeit von Schmerzen der Bewohner*innen, zur Intensität der Schmerzen, als auch zu schmerzbezogenen Maßnahmen gesammelt. Eine Haupterkenntnis dieser Datensammlung war, dass Pflegeheimbewohner*innen häufig selbst nicht-medikamentöse Maßnahmen zum Schmerzmanagement setzten (z. B. Wärme, Bewegung, Ruhe). Auf der anderen Seite wurden nicht-medikamentöse Maßnahmen nur selten vom Pflegepersonal eingesetzt.
Um herauszufinden, warum nicht-medikamentöse Maßnahmen nur selten vom Pflegepersonal zum Schmerzmanagement eingesetzt werden, wurde ein Workshop, mit Pflegepersonen, Manager*innen, Bewohner*innen und Forschenden durchgeführt. In intensiven Gesprächen und Diskussionen kristallisierte sich heraus, dass es unklar war, welche nicht-medikamentösen Maßnahmen bei welcher Erkrankung wirksam sind und wie diese eingesetzt werden sollten. Daher entstand die Idee einen „Werkzeugkoffer“ mit nicht-medikmentösen Maßnahmen zum Schmerzmanagement in Pflegeheimen zu entwickeln.
Der Werkzeugkoffer
In einem ersten Schritt wurde eine Liste nicht-medikamentöser Maßnahmen erstellt. Diese Liste mit etwa 100 Maßnahmen basierte auf (1) Maßnahmen aus der internationalen Literatur, (2) Maßnahmen, die von den Bewohner*innen genannt wurden sowie (3) auf Vorschlägen von (inter-)nationalen Expert*innen. Da aufgrund begrenzter Ressourcen nicht alle diese Maßnahmen erforscht werden konnten, bewerteten Pflegepersonen die Maßnahmen in Bezug auf ihre Wichtigkeit für die Bewohner*innen.
Danach begannen die Forscherinnen, den Wissensstand für jede Maßnahme zu identifizieren, indem es vertrauenswürdige Webseiten nach evidenzbasierten Inhalten zu den Maßnahmen durchsuchte (z. B. Cochrane Kompakt, Medizin Transparent, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen). Zu vier Maßnahmen konnten keine Informationen auf den Webseiten gefunden werden, daher führten die Forscher*innen sogenannte Rapid Reviews (systematische Literaturreviews mit einem Fokus auf Metastudien) durch.
In einem nächsten Schritt wurden alle gefundenen Informationen hinsichtlich Art der Anwendung, Indikation, Nebenwirkungen, Tipps und Tricks zur Anwendung und Art der zugrundeliegenden Evidenz zusammengefasst und gegliedert sowie in einem ersten Prototypen des Werkzeugkoffers aufbereitet. Dieser erste Prototyp wurde mit Manager*innen und Pflegepersonen aus dem Pflegewohnhaus diskutiert. Hier wurde entschieden, im Prototyp zwischen wirksamen Interventionen, Interventionen, deren Wirkung unklar ist, und nicht wirksamen Interventionen in Bezug auf die Schmerzbehandlung zu unterscheiden.
Die Einteilung führt dazu, dass sich einzelne Maßnahmen in mehreren Kategorien, je nach Indikation, wiederfinden. Ein Beispiel: Massage ist eine wirksame Intervention bei chronischen Rückenschmerzen. Bei der Prostatamassage oder der transversalen Friktionsmassage ist unklar, wie wirksam Massage zur Schmerzbehandlung ist und es ist belegt, dass die Matrix-Massage nicht wirksam bei Schultersteifigkeit ist.
Im Rahmen einer evidenzbasierten Pflege werden neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen, auch die Erfahrungen/das Wissen der Bewohner*innen als auch des Pflegepersonals als wichtige Komponente der Entscheidungsfindung angesehen. Daher wurden in einem weiteren Schritt Einzelgespräche mit Bewohner*innen durchgeführt. Dabei sollte herauszufinden werden, ob die jeweilige Maßnahme von den Bewohner*innen akzeptiert werden würde.
Erforderliche Ressourcen, sowie die Durchführbarkeit der einzelnen Maßnahmen wurden in weiteren Workshops mit Manager*innen, diplomiertem Pflegepersonal, Diplomsozialbetreuer*innen und Physiotherapeuten diskutiert. All diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden schlussendlich im Rahmen eines abschließenden Workshops im Juni 2024 diskutiert, wodurch eine finale Version des Werkzeugkoffers mit nicht-medikamentösen Maßnahmen zum Schmerzmanagement in Pflegeheimen entstanden ist.
>Werkzeugkoffer zur freien Verfügung unter:
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Autor*innen: Manuela Hödl, Eva Pock, Wolfgang Strobl, Doris Eglseer & Daniela Schoberer