Die Demografie stellt Pflege und Medizin vor Herausforderungen. Eine intelligentere Nutzung der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA könnte die Systeme entlasten. Österreichs größte Pflegeorganisation legt 9-Punkte-Plan für mehr Sicherheit im Pflegesystem sowie einen Appell an die nächste Bundesregierung vor, zu handeln.
Österreich ist, wie viele andere Länder auch, eine alternde Gesellschaft. Das hat massive Auswirkungen auf das heimische Gesundheits- und Pflegesystem. Gerade bei der Pflege wurden in letzter Zeit die Rufe nach mehr finanziellen Mitteln und mehr Personal immer lauter. „Unbestritten sind das zentrale Voraussetzungen dafür, dass wir als Gesellschaft auch künftig unsere älteren Angehörigen mit Würde und Respekt versorgen können“, hält Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreich anlässlich einer Pressekonferenz am 19. November in Wien fest. „Geht es um eine tragfähige Finanzierung und Organisation der Versorgungssysteme für die Zukunft, müssen wir jedoch auch Aspekte wie Effizienz und Sicherheit stärker in den Blick nehmen. Wir können es uns nicht mehr leisten, Ressourcen zu verschwenden, seien es nun finanzielle oder personelle“, mahnt Karas.
Neben überbordender Bürokratie gäbe es laut Hilfswerk auch gefährliche Informationslücken im System, gerade an der Schnittstelle zwischen Spitälern und Pflegediensten. Das Hilfswerk fordert daher: Pflege- und Gesundheitssystem brauchen optimierte Schnittstellen, menschliche wie technische, um einander effizient und sicher zuarbeiten zu können. „Wir haben neun Punkte für mehr Sicherheit und Effizienz in Pflege und Medizin erarbeitet. Der Katalog reicht von Maßnahmen der Digitalisierung für einen optimalen Datenfluss über eine intelligente Nutzung und Weiterentwicklung von ELGA bis hin zu einer konsequenten menschlichen Begleitung Betroffener“, erläutert Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich. „Gerade ältere und pflegebedürftige Menschen fühlen sich oft im System verloren. Wir brauchen mehr Zeit für sie statt für unnötige Bürokratie“, fordert Anselm.
Mangelnde Effizienz und Sicherheit durch fehlende Daten
Eine große Chance, um die Effizienz und Sicherheit in Pflege und Medizin für die Zukunft zu verbessern, liegt in der Digitalisierung. Hierbei spielt die Elektronische Gesundheitsakte ELGA eine zentrale Rolle. „Das Pflegesystem – auch die Hauskrankenpflege! – muss selbstverständlich in ELGA eingebunden werden“, fordert Elisabeth Anselm. Nur wenn alle involvierten Stellen auf die für sie relevanten Daten Zugriff hätten, könnten sie auch effizient und sicher arbeiten. So ließen sich aufwändige Recherche-, Dokumentations- und Übertragungsprozesse einsparen und gefährliche Informationslücken schließen. Aktuell würden Betroffene oft zur „Black Box“, wenn sie sich zwischen Pflegesystem und Spital bewegen, also beispielsweise ein Sturz zu einer Krankenhauseinweisung führt.
Das bestätigt Gregor Lindner, Vorstand der Klinik für Notfallmedizin am Kepler Universitätsklinikum in Linz: „Mangelhafte Informationen können die Patientensicherheit gefährden. Wir brauchen im Krankenhaus aktuelle digitale Daten. Für eine effiziente und vor allem sichere medizinische Versorgung sind Informationen zum allgemeinen Zustand der Patientinnen und Patienten essenziell, etwa zu bestehenden Diagnosen und Medikationen sowie zu allfälligen Allergien. Ebenso hilfreich ist ein Einblick in die Aufzeichnungen des Pflegedienstes zu aufgetretenen Einschränkungen sowie über den Verlauf der letzten Tage und Wochen. Auch Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sollten bereitstehen. All diese Daten müssen in ELGA verfügbar gemacht werden, und zwar strukturiert, automatisch exportierbar und ohne aufwändige Workarounds.“
Digitale und menschliche Schnittstellen: ELGA und Case Management
Wenn ELGA helfen soll, Sicherheit zu schaffen, müssen die Daten aktuell sein. Derzeit würden die Einträge laut Hilfswerk oft nach mehreren Wochen oder gar nicht gemacht. Wenn ELGA zudem helfen soll, Effizienz zu befördern, dann müssen die Daten standardisiert und automatisch über Schnittstellen abgeglichen werden, meint die Pflegeorganisation. „Keinesfalls können Pflegefachkräfte zusätzlich manuell in ELGA dokumentieren. Das wäre angesichts des Personalmangels und ohnehin schon überbordender sonstiger Dokumentationspflichten eine völlig unzulässige Verschleuderung von Ressourcen“, warnt Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm.
Darüber hinaus benötigt eine adäquate Anbindung der Langzeitpflege samt Hauskrankenpflege an ELGA auch ausreichend finanzielle Mittel und angemessene zeitliche Vorgaben. Der bereits stark belastete Pflegebereich wird die Digitalisierung aller Prozesse nicht auf eigene Kosten bewältigen können. Daher muss hierfür eine Anschubfinanzierung, etwa in Form eines Digitalisierungsfonds, mitgedacht werden.
Nahtlose Übergänge zwischen Medizin und Pflege können jedoch nur dann garantiert werden, wenn sowohl in den Krankenhäusern wie auch bei den Pflegediensten eine menschliche Schnittstelle zur Selbstverständlichkeit wird. Ein sogenanntes „Case Management“ begleitet die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen, berät und unterstützt sie. Eine solche menschliche Schnittstelle hilft außerdem, Lücken bei der Übergabe zwischen den Systemen zu schließen und ist zudem ein nachgewiesenermaßen probates Instrument zur Effizienzsteigerung. „Wir brauchen dringend eine umfassende Reform von ELGA mit intelligenten Anpassungen und Erweiterungen, die Anbindung aller relevanten Institutionen samt Pflegediensten, aber auch Spielraum und finanzielle Mittel für ein vernünftiges Case Management in Pflege und Medizin, um Betroffene gut und sicher begleiten zu können. Die neue Bundesregierung steht in der Pflicht, in diesem Sinne zu handeln“, appelliert Hilfswerk-Präsident Karas abschließend.
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Über das Hilfswerk Österreich
Das Hilfswerk Österreich ist mit seinen Landes- und Teilverbänden einer der größten gemeinnützigen Anbieter gesundheitlicher, sozialer und familiärer Dienste in Österreich. Als Arbeitgeber von rund 7.000 Pflegefachkräften und Betreuungskräften pflegt und betreut das Hilfswerk laufend mehr als 31.000 ältere und chronisch kranke Menschen. Damit ist das Hilfswerk in Österreich die Nr. 1 in der Pflege zu Hause. Zudem ist das Hilfswerk als Träger stationärer Einrichtungen für zwanzig Seniorenpensionen/-heime, 21 geriatrische Tages(struktur)zentren sowie 82 Einrichtungen des Betreuten Wohnens zuständig.