Die Pflege steckt in vielen EU-Staaten in der Krise: Belastende Arbeitsbedingungen und ein zunehmender Fachkräftemangel verstärken einander. Mit welchen politischen Maßnahmen dieser Entwicklung auf nationaler und auf EU-Ebene entgegengewirkt werden kann, thematisiert ein Policy Paper des Forschungsprojektes Care4Care.
Zu den Kernforderungen des Papiers gehören eine bessere Prävention und Berücksichtigung von körperlichen und psychosozialen Belastungen sowie geregelte Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Berufes. Auch im Bereich der Arbeitsmigration sieht das Papier akut Defizite.
Projektleiterin Prof. Dr. Eva Kocher (Bild) konkretisiert: „Damit sich die Hoffnung, die viele in die Migration setzen, erfüllen kann, braucht es deutlich mehr als nur ein Anwerbeprogramm. Neben der Anerkennung von Qualifikationen ist das eine Frage des Willkommens und der Integration. Ein einfaches Beispiel: Sprachkurse sollten finanziert werden und innerhalb der Arbeitszeit belegt werden können.“
Darüber hinaus legt das Projekt einen Fokus auf die Gesundheitsrisiken, die Pflegeberufe mit sich bringen: von körperlichen Anstrengungen bis zu psychosozialen Belastungen durch Stress, Gewalt und Belästigung. Ein Schlüssel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen wird in der konsequenten Durchsetzung von existierenden Vorgaben zu Arbeits- und Ruhezeiten gesehen. Außerdem müssten Betreuungsschlüssel reguliert und eingehalten werden.
Großer Verbesserungsbedarf bei häuslicher 24-h-Betreuung
Explizit betrachten die Forschenden das Feld der Live-In-Pflege, wenn also das Pflegepersonal mit der pflegebedürftigen Person in einem Haushalt lebt. Diese Art der Beschäftigung sei quasi unsichtbar und arbeitsrechtliche Normen daher schwer durchzusetzen, argumentiert Prof. Dr. Eva Kocher. Bei der Live-In-Pflege lägen meist klare Arbeitsverhältnisse vor; in der Realität würden diese Tätigkeiten aber oft als Selbstständigkeit definiert. „Die meisten Arbeitskräfte in dem Bereich sind Frauen über 50. Sie sind extrem abhängig von der Person, bei der sie leben. Eine Begrenzung von Arbeits- und Bereitschaftszeiten gibt es in der Praxis meist nicht“, umreißt die Arbeitsrechtlerin die Probleme. Das Papier fordert hierfür eine klare Anerkennung der Arbeitsverhältnisse und eine Durchsetzung der Arbeitnehmendenrechte.
Foto: Care4Care Webseite
Hintergrund zum Projekt Care4Care
Das Forschungsverbundprojekt „Care4Care“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitssituation von Pflegekräften in der Europäischen Union zu verbessern. Forschende in sechs europäischen Ländern (Spanien, Schweden, Polen, Italien, Frankreich und Deutschland) erarbeiten im Rahmen des dreijährigen, mit 2,7 Mio. Euro ausgestatteten Vorhabens Lösungsvorschläge für die Pflegesituation auf nationaler und EU-weiter Ebene.
>Ausführliches Interview mit Prof. Dr. Eva Kocher