Buchtipp (Rezension): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte – Band 11 jetzt erschienen
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Hubert Kolling (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. „Who was who in nursing history“, Band 11. Verlag hpsmedia. Hungen 2025, 328 S., broschiert, 34,80 €, ISBN 978-3-947665-06-8
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Auf dem Titelbild finden sich die Konterfeis (von links nach rechts) von Elisabeth Drerup, Naomi Feil, Charles de Marval, Mette Sophie Zahrtmann und Ruth Schröck. Die Biografien dieser Personen finden sich in Band 11.
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Zu Beginn des Jahres 2025 erschien Band 11 des Biographischen Lexikons zur Pflegegeschichte, das sich mittlerweile in Deutschland in der pflegehistorischen Landschaft einen veritablen Platz erarbeitet hat. Die pflegehistorische Forschung hierzulande ist in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich in Schwung gekommen, nicht zuletzt auch Dank dieses Lexikons, dessen erster Band im Jahr 1997 erschien. Herausgeber war damals der inzwischen leider verstorbene Berliner Pflegehistoriker Horst-Peter Wolff. Mit Band 4 (2008) übernahm Hubert Kolling, der bereits an den Bänden 2 (2001) und 3 (2004) maßgeblich mitgewirkt hatte, die Herausgabe des Werkes. Nun hat der Krankenpfleger und Pflegehistoriker Band 11 vorgelegt, wobei er gleichzeitig auch den Großteil der Beiträge beigesteuert hat.
Über den Herausgeber
Foto: obermain.de/Bettina Dirauf
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Hubert Kolling, der als Dozent für Politische Bildung beim Bundesamt für den Zivildienst (Köln) arbeitet, veröffentlichte unter anderem die Monographien „Krankenpfleger, Gewerkschafter und Fachbuchautor. Franz Bauer 1898-1969“ (Sonneberg 2008), „’Echte Krankenpflege ist hingebender, selbstloser Dienst…’. Michael Fischer (1887-1948), ein bedeutender Mitgestalter der katholischen Krankenpflege in Deutschland“ (Frankfurt am Main 2004) und „’Gott hilft Dir, aber rudern musst Du selbst’. Dr. Viola Riederer Freiin von Paar zu Schönau (1903-1996), die Gründerin und Ehrenvorsitzende des Katholischen Berufsverbandes für Pflegeberufe“ (Regensburg 2003). Nebst zahlreichen Beiträgen in verschiedenen Zeitschriften rezensiert der Herausgeber auch regelmäßig neue Literatur aus dem Bereich der Pflege, insbesondere in der online erscheinenden Fachzeitschrift www.socialnet.de und der „Geschichte der Pflege (jetzt: Geschichte der Gesundheitsberufe)“ – (sowie seit vielen Jahren auch in der im gesamten deutschsprachigen D-A-CH Raum online erscheinenden Pflegefachzeitschrift LAZARUS.at – Anm.d.Red.). Der Herausgeber, so bleibt insgesamt festzustellen, verfügt über profundes pflegehistorisches Wissen, das er der Leserschaft in diesem Band erneut zur Verfügung stellt.
„Wichtig ist mir, den Pflegenden ein Gesicht zu geben.“
Dr. Hubert Kolling (>Interview, 2020)
In dem nun vorgelegten Band 11 werden 66 Frauen und Männer vorgestellt, die eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Pflegeberufs und der pflegerischen Profession spielten, in welcher Funktion auch immer. Es waren dies nicht ausschließlich Pflegekräfte, sondern auch Ärzt*innen, Theolog*innen, Redakteur*innen und viele mehr, von denen bis dato nicht bekannt war, dass sie sich in der Vergangenheit auch für die Weiterentwicklung des Pflegeberufs und der Akademisierung der Pflege engagierten. Auch Pflegende, deren Tun sich unheilvoll auf die Anbefohlenen auswirkte, werden dargestellt, desgleichen Pflegende im Widerstand. Der Schwerpunkt der Biografien liegt dabei auf den D-A-CH Ländern, aber es sind auch Biografien aus Dänemark, Island, Irland, Frankreich, Ungarn, Tschechien, Bessarabien, Kolumbien, Indien und China, sowie den USA zu finden. Hier werden globale Verflechtungen der Pflege, nicht zuletzt in der Kolonialzeit, sichtbar. Der zeitgeschichtliche Kontext reicht in den meisten Fällen ins 19. und 20. Jahrhundert zurück, aber es finden sich auch Biografien von Personen, die erst vor kurzem verstorben sind. Während Band 10 der renommierten Liliane Juchli gewidmet war, so steht der hier vorgelegte Band 11 in memoriam Ruth Schröck, einer deutsch-englischen Pflegewissenschaflerin und Pflegepionierin der ersten Stunde, die erst vor kurzem, im Dezember 2023, heimgegangen ist.
Neben dem Herausgeber haben weitere neun Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Island und Rumänien mitgewirkt. Ihre Beiträge geben der Leserschaft eine schnelle Übersicht über die Lebensdaten und Werke von historischen Pflegepersönlichkeiten, die bislang bereits bekannt, oft aber auch wenig oder noch gar nicht bekannt waren. Imponierend an mancher Stelle, so zum Beispiel in der Biografie der Redakteurin der Zeitschrift „Krankenpflege“, Anneliese Fricke, mit welchem Aufwand die Recherche nach Geburts- und Sterbedatum betrieben wurde.
Zur Orientierung befindet sich am Ende des Bandes ein alphabetisches Gesamtverzeichnis der bislang in allen Bänden erarbeiteten Personen.
In den vorgestellten Biografien erschließt sich jedesmal ein Stück Zeitgeschichte, in das die jeweiligen Personen eingebettet sind. Somit ist das Lexikon weit mehr als lediglich eine Aneinanderreihung von Biografien. Es eröffnet einen weitreichenden Blick auf die jeweiligen historischen Zeiträume und die jeweiligen Länder, in denen die Person agierte. Somit eignet sich das Lexikon auch gut als Lehrmaterial in Unterrichten zur Geschichte der Pflege.
Die einzelnen Biografien repräsentieren häufig eine Lernsituation, die Schlüsselprobleme der Entwicklung der Berufskonstitution enthalten. So war beispielsweise Lucie Odier (1886-1984) als Krankenschwester im Internationalen Roten Kreuz aktiv, arbeitete in Kriegslazaretten sowie mit Kriegsgefangenen und Flüchtlingen nach dem Krieg, war tätig in der Bekämpfung der spanischen Grippe und in der sozialen Hygiene, engagierte sich in der Pflegeausbildung und in der Rehabilitation Behinderter und machte zudem als Frau Karriere in namhaften Organisationen. Diese Biografie repräsentiert also mehrere Schnittstellen der beruflichen Konstitutionsentwicklung.
Die Biografie des Psychiatriepflegers Franz Küpfer (1904-1967) in Basel stellt beispielsweise eine Bereicherung für Unterrichte im Lernfeld 16 „Psychiatrische Pflege“ des Bremer generalisitischen Pflegecurriculums dar. Aber das Lexikon lädt zum Schmökern ein, wenn man den Wunsch hat, etwas noch nicht Gekanntes aus der Geschichte der Pflege in Erfahrung zu bringen. Es ist immer wieder überraschend festzustellen, wie breit gefächert das Forschungsfeld Pflegegeschichte ist. Selbstredend ist das Lexikon, so wie jedes andere Lexikon auch, als Nachschlagewerk zu gebrauchen.
Auf dem Titelbild finden sich die Konterfeis (von links nach rechts) von Elisabeth Drerup, Naomi Feil, Charles de Marval, Mette Sophie Zahrtmann und Ruth Schröck. Die Biografien dieser Personen finden sich in Band 11.
Elisabeth Drerup (1937-2023) arbeitete an Curricula pflegerischer Weiterbildungen, leitete das Koblenzer Weiterbildungsinstitut für Lehrkräfte in der Pflege und gehörte 1989 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Vereins für Pflegewissenschaft (heute: Deutsche Gesellschaft). Auch war sie hier bis 1999 Vorstandsmitglied.
Naomi Feil (1932-2023) wurde bekannt durch die Methode der Validation im Umgang mit Alzheimer Erkrankten.
Charles de Marval (1872-1939) war ein Schweizer Arzt und Tuberkulosespezialist. Er engagierte sich beim Schweizerischen Roten Kreuz und war Präsident des Schweizerischen Krankenpflegebundes.
Ruth Schröck (1931-2023) gilt als eine der Begründerinnen der Akademisierung der Pflege in Deutschland. Sie erhielt den ersten Ruf auf eine pflegewissenschaftliche Professur in Deutschland an der Fachhochschule Osnabrück (heute: Hochschule). Ihr Bekanntheitsgrad in Deutschland und England ist als außerordentlich zu werten.
Die Dänin Mette Sophie Zahrtmann (1841-1925) war Oberin der Diakonissenstiftung in Kopenhagen und engagierte sich, ähnlich wie in Deutschland Agnes Karll, für die Krankenpflegeausbildung.
Diese kurze Darstellung der Coverfiguren spiegelt insgesamt die Breite der in Band 11 vorgestellten Personen. Anzumerken bleibt, dass das Biographische Lexikon zur Pflegegeschichte auf einem privat organisierten Projekt beruht, dem keinerlei institutionelle oder finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Es spricht für sich, dass dennoch ein so grundlegendes und wichtiges Werk entstehen konnte. Es bleibt zu wünschen, dass der Herausgeber auch in Zukunft den Elan finden und die zeitlichen und finanziellen Eigenmittel zur Verfügung haben wird, um auch einen Band 12 zu ermöglichen. Auch braucht es selbstredend in Zukunft weiterer Autoren und Autorinnen, die bereit sind, die notwendige Kernerarbeit zu erbringen und Biografien zu erstellen. Und es braucht, wie auch diesmal und hoffentlich erneut, den entsprechenden Verlag. Die Autorin dieser Rezension zumindest wünscht Band 11 und seinen Vorgängerbänden alles Gute und eine zahlreiche Leser- und Leserinnenschaft. Jeder Band ist wieder aufs Neue spannend. Es lohnt sich!
Christine Auer
Kommentar:
Es ist verwunderlich und beschämend zugleich, dass es bisher keinerlei öffentliche Anerkennung bzw. Förderung für die seit gut 25 Jahren vollkommen ehrenamtlich geleistete Herausgeberschaft und Redaktion dieser pflegewissenschaftlich so wichtigen Buchreihe gegeben hat. Es zeigt einmal mehr schmerzlich auf, dass es immer noch des ausserordentlichen Engagements einzelner Persönlichkeiten – nicht nur aus der professionellen Pflege kommend – bedarf, um die enormen „im Stillen“ erbrachten Leistungen der professionell Pflegenden öffentlich sichtbar zu machen ..!
Für mich persönlich gilt diese exzellente Buchreihe als wahrer Meilenstein der deutschsprachigen Pflegegeschichte. Die langjährige Ausdauer und inhaltlich wertvolle Leistung des gelernten Krankenpflegers Dr. Kolling kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden !
Übrigens: Der „LAZARUS Ehrenpreis für das Lebenswerk für die Pflege“ wurde seit dem Jahr 2000 erst acht Mal verliehen – unter den Geehrten, die Herausragendes für die Pflege geleistet haben, befinden sich mit der Pionierin Sr. Liliane Juchli (+ 2020, Schweiz) und dem Altenpflege-Revolutionär Prof. Erwin Böhm (*1940, Österreich) nur zwei beruflich Pflegende (siehe >“Ehrenhalle der Pflege“).
Erich M. Hofer