Mehr als 250 TeilnehmerInnen besuchten die 22. Diakonie-Dialoge 2016 in Salzburg
Vergangenen Freitag lud das Diakoniewerk zum 22. Mal Mitarbeitende und Fachleute zu den Diakonie-Dialogen ein. Unter dem Titel „Sucht und Abhängigkeit – ein Balanceakt in der Seniorenarbeit“ beschäftigte sich das Symposium im Bildungshaus St. Virgil/Salzburg mit einem sehr komplexen Themenbereich, der für Mitarbeitende eine zunehmende Herausforderung darstellt.
In seinem Grundsatzreferat „Sucht im Alter – Alter und Sucht“ gab Dr. Dirk K. Wolter, derzeit in Dänemark tätig, einen umfassenden Überblick über Suchtvarianten im Alter, die von den bekannteren wie Rauchen, Alkohol und Medikamenten, bis hin zu weniger bekannten wie Drogen und Spielsucht reichen. Anhand von Zahlen aus den USA, die weitgehend auch auf Österreich und Deutschland übertragen werden können, zeigte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie – Geriatrie, eine Zunahme der Suchtprobleme im Alter auf. Als Gründe dafür nannte er u. a. die Beibehaltung von Konsumgewohnheiten (die sich im Laufe des 20. Jh. stark verändert haben), Veränderungen von Familienstrukturen, Preisverfall bei Alkohol sowie bessere Lebensbedingungen und Gesundheitsversorgung, die wiederum zu einer längeren Lebenserwartung bei Suchtkranken führen.
Während im Alter Alkohol und Rauchen eher bekanntere und offensichtlichere Probleme sind, wird der Missbrauch von Medikamenten wie z.B. Opioiden als hochdosierte Schmerzmittel und Benzodiazepinen (bei Angst- und Unruhezustände, Epilepsie, Schlafstörungen) oft noch unterschätzt. Neues Thema ist der Drogenmissbrauch als Phänomen, da erst in den letzten Jahren zunehmend Schwerstabhängige ins entsprechende Alter kommen. Hat der Alkoholkonsum in der Wohlstandsgesellschaft im Vergleich zu früher zugenommen, so ist dies auch im Alter zu beobachten, wobei dieser bei Frauen im Verhältnis mehr zugenommen hat, weil sich ihre Konsumgewohnheiten generell im stärker verändert haben. Auch über Spielsucht gibt es im Alter Erfahrungen, währen die drei anderen sogenannten nicht stoffgebundenen Suchterkrankungen wie Online- und Computersucht, Arbeitssucht und Kaufsucht (noch) keine Rolle spielen.
In der Therapie sieht Wolter drei Schritte:
- Vertrauen aufbauen, motivieren, Ziele festlegen.
- Konsummuster stabilisieren
- Richtungswechsel, Konsum reduzieren.
Schließlich wies Wolter noch darauf hin, dass Abstinenz nicht das absolute und einzige Ziel sei, sondern eine autonome Lebensgestaltung, Reduzierung des durch die Sucht verursachten Leides und eine gute Bearbeitung von Rückfällen wichtig sind.
Heikler alltäglicher Balanceakt für die Pflegenden
Mit seinem Beitrag „Sie sind nicht allein!?“ setzte sich Andreas Kutschke, Pflegefachmann und –wissenschaftler vor allem im Bereich Gerontopsychiatrie (Mönchengladbach/D) mit Abhängigkeit als Herausforderung für Mitarbeitende in der Seniorenarbeit auseinander. Er stellt fest, dass bisher Abhängigkeit von Medikamenten und Alkohol noch kaum Thema in der Seniorenarbeit war und auch in der Fachliteratur dazu noch wenig zu lesen sei. Daher gäbe es auch noch kaum Konzepte, wie mit Suchterkrankungen von Menschen im Alter in Senioreneinrichtungen umgegangen werden sollte. Häufig werden die Folgen des übermäßigen Alkohol- oder Tablettenkonsums von Angehörigen und Pflegekräften mit normalen Alterserscheinungen verwechselt oder im schlimmsten Fall wird die Sucht gar nicht wahrgenommen.
Der Anteil von Menschen mit Alkoholsucht in Seniorenheimen wird auf 7 bis 10 % geschätzt, der Anteil der von psychoaktiven Medikamenten Abhängigen auf 5 bis 10 %. Alkoholkonsum stehe zwischen Genuss und dem Risiko des Missbrauchs und der Konsum von Medikamenten wie z.B. Benzodiazepinen zwischen sinnvoller Behandlung und Abhängigkeit. „Die Pflegenden in der Altenhilfe stehen zwischen zwei Stühlen, von denen der eine Fürsorge bzw. Sorge und der andere Freiheit und Autonomie heißt“, beschreibt Kutschke die generelle Herausforderung für Miarbeitende. Wichtig seien die Würdigung der einzelnen Lebensleistungen und die allgemeine Wertschätzung.
„Menschen im Alter mit einer Suchtproblematik dürfen nicht das Gefühl haben, abgeschoben bzw. ausgegrenzt zu werden. Es braucht den direkten Kontakt und dafür auch sehr viel Einfühlungsvermögen, um auch die Betroffenen zu erreichen. Die Pflege muss hier stark sein,“ betont Kutschke. Für den pflegerischen Umgang sind aus seiner Sicht erforderlich: ein hohes Maß an Geduld und kein Moralisieren, konsequentes, aber immer zugewandtes Handeln, die Familie miteinzubeziehen, die Lebensleistung anzuerkennen, nicht zu stigmatisieren, Vereinbarungen zu treffen, keine Sanktionen, aber auch kein Fatalismus. Und die Pflegekräfte brauchen hier Unterstützung durch spezielle Fortbildungsangebote.
Spiritualität fördert Genesungsprozess – darf aber niemals aufgedrängt werden !
Die Theologin Dr. Astrid Giebel (Diakonie Deutschland/Berlin, Bild o.) hielt in ihrem Vortrag „Zur Freiheit befreit – Spiritualität und Sucht“ fest, dass es eine Reihe von Studien gibt, die einen positiven Zusammenhang zwischen Spiritualität und einem positiv verlaufenden Genesungsprozess nachweisen. „Spiritualität ist ein in seiner positiven Wirkung unterschätzter Faktor in der Suchthilfe und sollte daher in Suchtberatung, -behandlung und -selbsthilfe eine größere Rolle spielen. Wichtig ist, dass auch den Pflegekräften genügend Raum und Zeit zur Verfügung gestellt werden, damit sie spirituelle Angebote nutzen können“, ist Astrid Giebel überzeugt.
Die teilweise vertretene Ansicht, „wer fromm ist, kann nicht suchtkrank werden“, sei jedoch ein großer Irrtum. Spiritualität ist sehr vielfältig und kann, je nach Herkunft, eine (unterschiedlich) religiöse oder religionslose bzw. atheistisch-humanistische Spiritualität sein. Und auch wenn Spiritualität heilsam sein kann, dürfen Menschen, die Spiritualität kritisch gegenüber stehen, keinesfalls unter Druck gesetzt werden.
Im Anschluss an die Referate bot das SOG.THEATER Wiener Neustadt, seit 15 Jahren bekannt für innovative Theaterformate und hochwertige theaterpädagogische Angebote, unter dem Titel „Das Theater mit der Sucht“ lebendige Reflexionen zum Thema. Der Nachmittag stand im Zeichen von Workshops, in denen die ReferentInnen und das SOG.THEATER die Inhalte ihrer Beiträge vertieften und den TeilnehmerInnen Gelegenheit zu spannenden Diskussionen und zum Erfahrungsaustausch ermöglichten.