Sollte die heftig umstrittene und verzögerte Pflegeberufsreform in Deutschland stark verwässert werden oder gar scheitern, dann werden „die Altenpflege und die Pflegebedürftigen die Verlierer sein“, warnt das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP) in Köln.
Die geplante Pflegebildungsreform der Bundesregierung sieht eine konsequente Zusammenführung der drei bislang nebeneinander bestehenden Berufe der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einem neuen, zukunftsfähigen Pflegeberuf vor. Berufsverbände, Pflegewissenschaftler und Pflegebildungsexpert*innen fordern seit langem die zügige Umsetzung der Reform und stützen sich dabei auf zahlreiche Modellprojekte und Studien. Auf dem Gesetzgebungsweg ist der Entwurf aber ausgerechnet durch Uneinigkeit in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ins Stocken geraten. Angesichts der zeitlichen Verzögerungen bei der Verabschiedung des Pflegeberufsgesetzes hat Professor Frank Weidner, Direktor des DIP (Bild), jetzt eindringlich vor einem Scheitern der Reform gewarnt: „Das Gesetz ist überfällig. Wenn es jetzt nicht kommt, werden ausgerechnet die Alten-pflege und die Pflegebedürftigen die großen Verlierer sein!“
Weidner wies darauf hin, dass es heute schon ein starkes Verdienst-, Bildungs- und Anerkennungsgefälle zwischen der Krankenpflege und der Altenpflege in Deutschland gibt. Im Schnitt verdient ein Altenpfleger im Monat bis zu 500 Euro weniger als ein Krankenpfleger. In der Krankenpflege haben inzwischen bis zu zwei Drittel der Schüler Abitur, in der Altenpflege ist das hingegen nur noch gut jeder Zehnte, mit abnehmender Tendenz. In Europa ist nur die Krankenpflege als Fachberuf anerkannt, die Altenpflegeausbildung zählt bei den europäischen Nachbarländern nichts. „Jeder muss wissen, dass bei einem Scheitern der Reform die Gefahr wächst, dass die Altenpflege komplett abgehängt wird. Das wird erhebliche Folgen für die Beschäftigten, für die Gewinnung von beruflichem Nachwuchs und auch für die Pflegebedürftigen haben!“, mahnt Weidner.
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Mit dem Pflegeberufsgesetz will die Bundesregierung an den bekannten Defiziten ansetzen. Die Ausbildung soll endlich, wie es weltweiter Standard ist, berufsfeldbreit aufgestellt und zukunftsfähig modernisiert werden. Das erhöht für Pflegefachkräfte die Flexibilität am Arbeitsmarkt erheblich, gleicht die Vergütungsniveaus auf Dauer an und macht den Beruf dadurch attraktiver. „Es ist mir absolut unverständlich, dass im Bundestag ausgerechnet die CSU-Landesgruppe und Teile der CDU ganz offensichtlich bereit sind, die eigene Reform gegen die Wand zu fahren. Wie kann man denn auf ein Weiter-so setzen, obwohl die derzeitigen Pflegeausbildungen den galoppierenden Fachkraftmangel nicht verhindern konnten?“, rügt Prof. Weidner. Zugleich würde damit die Union ihren eigenen Gesundheitsminister Hermann Gröhe, und den Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (beide CDU), düpieren. Beide Politiker kämpfen bekanntlich sehr engagiert für diese Reform.
Ist die Pflege eigentlich noch „Chefsache“ der Bundeskanzlerin?
Die von den Skeptikern der Pflegebildungsreform vorgebrachten Argumente hält Weidner nicht für unwichtig, aber in den kommenden Jahren für bewältigbar. Dabei geht es im Kern um Finanzfragen und organisatorische Herausforderungen etwa bei der Umsetzung der zukünftigen praktischen Pflegeausbildung. Kein Verständnis hat Weidner indes für das Gezeter der Reformgegner, man würde mit der Pflegereform Hauptschüler von der zukünftigen Fachausbildung ausschließen. „Ein Hauptschüler, der die „mittlere Reife“ schafft, kann auch zukünftig Pflegefachkraft werden!“, sagt der Pflegewissenschaftler, „aber wir müssen auch an die Qualität der Versorgung in der Pflege denken und die wird immer anspruchsvoller und komplizierter. Diese Pflege kann halt doch nicht jeder“, ergänzt Weidner.
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Ferner weist er darauf hin, dass die meisten Bundesländer in den Startlöchern stehen, mit der Pflegebildungsreform auch neue, passende Pflegeassistenzberufe zu schaffen, in denen auch geringer Qualifizierte Zugänge zum Pflegearbeitsmarkt haben werden (vgl. dazu etwa ds soeben gesetzlich fixierte „Drei-Stufen-Modell“ in Österreich, Anm.d.Red.). Der Gesetzgeber sehe jetzt schon lange Übergangsfristen beim Pflegeberufsgesetz vor und es gebe überall eine große Bereitschaft, Durchlässigkeit und Übergänge zwischen den Bildungsgängen zu schaffen.
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Wird die Pflege zum „Bauernopfer“ des ungünstigen Polit-Klimas gemacht?
Auf die Frage, was denn wohl Teile der Union dazu bewegen könnte, gegen den eigenen Gesetzentwurf zu stimmen, führt Prof. Weidner im Wesentlichen die derzeitige schlechte Stimmung innerhalb der Union an, insbesondere wegen der unterschiedlichen Auffassungen zur Flüchtlingspolitik. Die Verhinderung des Gesetzes würde zudem insbesondere denjenigen Arbeitgebern in die Hände spielen, die auch in Zukunft auf eine möglichst billige Altenpflege setzen. „Das Pflegeberufsgesetz darf aber kein Bauernopfer im Streit um die richtigen Wege in der Union sein“, fordert Weidner.
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„Bei einem Scheitern des Gesetzentwurfes ist allerdings davon auszugehen, dass es in den nächsten Jahren keine weitere durchgreifende Pflegebildungsreform geben wird. Das muss jeder wissen, der dem Pflegeberufsgesetz jetzt seine Stimme verweigern will“, betont Weidner. Nach seiner Auffassung bliebe der grundsätzliche Reformbedarf bestehen und vergrößere sich täglich. Daher bestünde umgekehrt mit einer zügigen und überzeugenden Verabschiedung des Pflegeberufsgesetzes für die Union und die Regierungskoalition gerade jetzt die große Chance, das Heft des Handelns in einem wichtigen und zukunftsorientierten gesellschaftlichen Bereich wieder in die Hand zu nehmen.
Zahlreiche namhafte Berufsverbände drängen auf zügigen Beschluss der „Generalistik“
Der Präsident des Deutschen Pflegerats (DPR), Andreas Westerfellhaus, hat in der Vorwoche die Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition aufgerufen, die Beratungen zum Pflegeberufereformgesetz zügig zu beenden. Das Gesetz müsse „ohne faule Kompromisse“ beschlossen werden, sagte er. Das Reformvorhaben stecke seit Monaten im Bundestag fest, kritisierte Westerfellhaus. Es gehe darum, die Pflegeausbildung angesichts der enormen medizinischen und pflegerischen Herausforderungen zukunftstauglich zu machen. Geschehe dies nicht, trügen insbesondere kranke und pflegebedürftige Menschen den Schaden davon.
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Auch der Verband der Pflegedirektor*innen der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen (VPU) sowie der Bundesverband Pflegemanagement drängen auf eine zeitnahe Umsetzung des Pflegeberufsreformgesetzes. Beide Verbände diskutierten in der Vorwoche bei einem parlamentarischen Frühstück im Bundestag mit Befürwortern und Kritikern über die Zukunft des Pflegeberufs.
DBfK bietet umfassende Informationen zum Thema
Berufspolitische Themen sind nicht immer leicht zu vermitteln, wirken manchmal weit entfernt von der täglichen Pflegepraxis und ihre Lösung erscheint häufig einfacher, als diese im politischen Ränkespiel tatsächlich durchsetzbar wäre. Das wird besonders deutlich bei aktuellen Themen wie einer vernünftigen Personalbemessung, dem aktuellen Pflegepersonalmangel oder den ungenügenden Arbeitsbedingungen in der Pflege. Aber auch bei komplexen Veränderungen wie beispielsweise bei der Errichtung von Pflegekammern oder der aktuellen Ausbildungsreform – Stichwort: Generalistische Pflegeausbildung.
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Im DBfK Nordwest wurde ein Animationsfilm zur Frage gestaltet, was eigentlich Hintergrund und Zweck der Generalistik sind. Das ist wichtig, schließlich wird viel über die zukünftige Ausbildung diskutiert und es besteht der Eindruck, dass die Wirkung der Ausbildungsreform auf die künftigen Absolventen und Absolventinnen einer generalistischen Pflegeausbildung deutlicher dargestellt werden muss. In einer unterhaltsamen und angemessenen Form wird etwas genauer auf kritische Aspekte geschaut.
Zum Animationsfilm auf youtube
Auf der DBfK-Website www.generalistisch-pflegen.de sind vertiefende Informationen zum Thema generalistische Pflegeausbildung abrufbar.