Einen bundesweiten personellen Engpass im Pflege- und Betreuungsbereich sieht das deutsche Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in seiner aktuellen Analyse heraufdämmern. Demnach sollen in 2o Jahren bereits rund 270.000 Arbeitskräfte (berufliches Fach- und Hilfspersonal) fehlen, warnen die Autoren. Gründe dafür seien u.a. die mangelnde Attraktivität infolge einer schwachen Lohnentwicklung sowie die verstärkte Nachfrage. Dies bedeute eine große Herausforderung.
Dennoch sei die Quote der im Berufsfeld Verbleibenden mit 70 Prozent immer noch sehr hoch. Besonders lohnenswert seien daher Maßnahmen, das Personal länger im Beruf zu halten. Um das Berufsfeld attraktiv zu gestalten, spielten Vergütung, bessere Arbeitsbedingungen und Aufstiegschancen eine wichtige Rolle. Kranken- und Altenpfleger*innen waren laut Mikrozensus 2012 mit knapp 55 Prozent die größte Beschäftigtengruppe im Berufsfeld Gesundheitswesen. (Grafik: BIBB)
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Weitere Beiträge zur Entwicklung in den Pflegeberufen finden Sie in der aktuellen BWP-Ausgabe unter www.bibb.de/bwp-1-2017
Kommentar:
Allen Prognosen verschiedenster seriöser Institute zur Zukunft der Pflege ist gemein, dass sie lediglich den Status quo extrapolieren, d.h. aktuelle Zahlen und Fakten unverändert in die nächsten Jahrzehnte hochrechnen. Mit dieser Methodik wollen sie dem Verdacht der „Kaffeesudleserei“ entgehen – und gehen wohl eben deshalb in die Irre.
Tatsächlich muss Pflege – soll das Versorgungssystem nicht am Mangel an Berufskräften kollabieren – vollkommen neu gedacht werden. Nur ein Paradigmenwechsel eröffnet unseren alternden Gesellschaften die reelle Chance, den weiterhin leistungsfähigen Sozialstaat finanziell und organisatorisch aufrecht zu erhalten. Dies erfordert, dass die ebenso kostbare wie personell wie finanziell begrenzte Ressource „Berufspflege“ nicht weiter vergeudet wird wie bisher – sondern ihren neuen Schwerpunkt in der Beratung, Schulung und Begleitung von Millionen pflegender Angehöriger – in der sogenannten Angehörigen-Edukation – findet.
Anders gesagt: Die verberuflichung der Pflege erreicht ihre personellen und materiellen Grenzen. Nicht der „verwahrenden“ Pflege in Altenheimen und nicht der immer stressiger entartenden Husch-Husch-Akutpflege in den Krankenhäusern gehört die Zukunft. Vielmehr wird es die mobile „aufsuchende Pflegeberatung“ sein, die einen optimalen Personal- und Mitteleinsatz ermöglicht und den pflegenden Angehörigen das notwendige Knowhow und Empowerment vermittelt. Damit der „größte Pflegedienst der Nation“ die kommenden Herausforderungen im Quartier als gut vernetztem „dritte Sozialraum“ (K. Dörner) und im häuslichen Umfeld bewältigen kann.
Es ist an der Zeit, dass Bildungs- und Gesundheitsökonomen ihre Prognosen schubladisieren und das neue Modell durchzurechnen beginnen. Denn dieser Paradigmenwechsel ist alternativlos. Und er wird immer dringlicher – denn hunderttausende beruflich Pflegende leiden bereits massiv unter den Arbeitsbedingungen des bisherigen „auslaufmodells Gesundheit 1900″…
Erich M. Hofer