MKÖ-Jahrestagung 2017: Blockiert auf allen Ebenen

Inkontinenz hat nicht nur vielfältige Ursachen, sondern auch erhebliche körperliche und psychische Auswirkungen. Damit setzten sich rund 400 Teilnehmende beim diesjährigen MKÖ-Kongress in Linz auseinander. Nachfolgend ein zusammenfassender Rückblick.

DruckEnde Oktober versammelten sich hochspezialisierte Ärzte, Pflegepersonen, Physiotherapeuten, Hebammen und Psychologen zur 27. wissenschaftlichen Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) im sonnig-herbstlichen Linz. Unter dem Motto „Blockiert auf allen Ebenen“ wurden in diesem Jahr nicht nur Ursachen von Blasen- und Darmentleerungsstörungen behandelt, sondern auch die daraus resultierenden körperlichen und psychischen Auswirkungen. Neu war die „Gruppenpraxis“. Ein Format, bei dem Fälle eingebracht und interaktiv besprochen wurden. Keynote-Speaker war der bekannte Psychologe und Buchautor Georg Fraberger. Mit ihrem fächerübergreifenden Programm wurde die diesjährige MKÖ-Tagung zahlreichen Facetten des Themas in Österreich einmal mehr gerecht. Keine andere wissenschaftliche Veranstaltung bringt so viele Berufsgruppen zusammen, wodurch sie sich zum Fixpunkt für all jene etabliert hat, die sich mit Erhaltung und Wiederherstellung der Kontinenz befassen.

Die Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) ist eine einzigartige interdisziplinäre Möglichkeit der Weiterbildung, des Erfahrungsaustausches und der Diskussion. Rund 400 Teilnehmer folgten auch heuer der Einladung, was das wachsende Interesse an diesem so breiten medizinischen Bereich zeigt. Die beiden Kongresspräsidenten Dr. Michaela Lechner, Oberärztin an der Abteilung für Chirurgie am Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien, und Dr. Michael Rutkowski, Oberarzt an der Urologischen Abteilung am Landesklinikum Korneuburg, freuten sich über das rege Interesse, die lebhaften Diskussionen und das positive Feedback für die gelungene Zusammenstellung der vielen praxisrelevanten Themen.

Das Programm richtete sich wie jedes Jahr an Ärzte unterschiedlicher Fachbereiche, Pflegepersonen, Physiotherapie, Hebammen und Psychologen. Führende Experten dieser Disziplinen aus Österreich und Deutschland präsentierten aktuelles Wissen, praktisch umsetzbare Information und neue wissenschaftliche Erkenntnisse. „Durch die Interdisziplinarität werden die Themen von unterschiedlicher Seite beleuchtet, sodass für alle Teilnehmer etwas dabei ist und die fächerübergreifende Zusammenarbeit gefördert wird“, so die beiden Kongresspräsidenten. „Wir wollten in diesem Jahr auch auf Bereiche eingehen, die nicht ursächlich mit dem Beckenboden zusammenhängen, aber damit verknüpft sein können und somit einen weiteren Bogen spannen.“ So wurden in den wissenschaftlichen Vorträgen mögliche Ursachen von Blockaden, Entleerungsstörungen und operative Therapiemethoden aus Sicht der unterschiedlichen Fachdisziplinen behandelt.

Sexualfunktionsstörungen im Fokus

Erstmals wurde verstärkt auf Sexualfunktionsstörungen im Zusammenhang mit Kontinenzproblemen eingegangen, denn sie stellen eine ganz besondere Belastung für die Betroffenen dar. „Dieses Thema wird häufig noch immer tabuisiert und weder von Betroffenen noch von Behandelnden angesprochen“, begründen Lechner und Rutkowski ihren Entschluss, dieser Materie besonders viel Raum zu geben.

Den erfolgreichen Auftakt machten rasch ausgebuchte Workshops, in denen die Teilnehmer in kleineren Gruppen Fachwissen zu den Themen „Selbstkatheterismus“, „Stoma & Sexualität: Not macht erfinderisch“, „Pessartherapie“ sowie „Physiotherapie im Wochenbett“ austauschen und vertiefen konnten. Im ersten wissenschaftlichen Block war der Jahre zurückliegende Missbrauch als mögliche Ursache einer späteren proktologischen Problematik verbunden mit dem Appell, die Frage danach in die Anamnese zu integrieren. Es folgten Vorträge über Wahrnehmungsstörungen aus psychosomatischer und physiotherapeutischer Sicht. Weiters wurden Ursachen und Behandlungsstrategien bei erektiler Dysfunktion beleuchtet sowie der Einfluss des Internets auf die Sexualität.

In der zweiten Tageshälfte wurden Entleerungsstörungen aller Art besprochen: Eine Chirurgin referierte über die Formen der Obstipation, nämlich Slow Transit und Outletobstruktion, ein Radiologe über bildgebende Verfahren bei diesen Problemen. Danach waren die paradoxe Puborectaliskontraktion und ihre physiotherapeutische Behandlung das Thema und ein Pharmazeut sprach über Sinn und Unsinn von Flohsamen, Cranberry und Co. Den Abschluss dieses Blocks bildeten Verfahren zur erweiterten Diagnose bei Harninkontinenz. Den Samstag dominierten operative Therapieoptionen in der Proktologie, Urologie und Gynäkologie.

Haben wir wirklich so viel Druck?

Diese Frage und wie wir uns und unsere Patienten von diesem Druck befreien können, beantwortete der bekannte, charismatische klinische und Gesundheitspsychologe sowie Buchautor Mag. Georg Fraberger in seinem Festvortrag, der den Höhepunkt des Kongresses bildete. Im Umgang mit Patienten sei es wichtig, deren Sorgen und Ängste anzusprechen. Denn ein Gefühl wie Druck wird dann weniger, wenn man es zulässt. Anders gesagt: Alles was nicht angesprochen wird, wird zum Verstärker. Seine fünf Tipps, wie es gelingen kann, Patienten ein gutes Gefühl zu vermitteln:

  1. Den Patienten als Person erkennen und nicht allein auf die Krankheit reduzieren
  2. Ein Beziehungsmuster aufbauen, was ganz einfach heißt: nett sein!
  3. Mut machen zu scheitern (das kannst du besser. Noch einmal machen…)
  4. Hoffnung geben
  5. Hoffen, dass man selbst das Richtige macht

Offene Diskussion in Kleingruppen

Kleinere Gesprächsgruppen – die „Salons“ – rundeten das Programm ab. In diesem Format wurde zu den Themen Sakrale Neuromodulation, Sexualanamnese, Dyskoordination – verzwickt und verkrampft, Aufklärung durch Dr. Google und Management der Erektilen Dysfunktion jeweils im Rahmen eines Kurzvortrages ein Impuls gegeben und anschließend diskutiert. Ziel der Salons ist, einen Ort des offenen Dialogs zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen sowie zwischen wissenschaftszentrierten und praxisorientierten Ansätzen, Meinungen und Erfahrungen zu schaffen. Die Teilnehmer können sich einbringen, indem sie kritisch zuhören und frei mitdiskutieren oder Fallbeispiele bringen. Lechner und Rutkowski: „Das Format der Salons hat sich in den letzten Jahren sehr bewährt, da hier die Interaktion mit dem Publikum aus unterschiedlichen Fachbereichen besonders gut funktioniert.“

Zertifiziert, ausgezeichnet und ernannt

Um die Entstehung von qualifizierten Anlaufstellen für Patienten mit Kontinenz- und Beckenbodenproblemen zu fördern und österreichweit einheitliche Qualitätsstandards in der Diagnostik, Therapie und Versorgung zu schaffen und zu sichern, bietet die MKÖ als unabhängiges und interdisziplinäres Expertengremium an, derartige Zentren zu zertifizieren. Im Rahmen des Kongresses erhielt heuer das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Wien das Zertifikat „Kontinenz- und Beckenboden-Zentrum (KBBZ)“ verliehen. Das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz wurde re-zertifiziert.

Zum dritten Mal wurde heuer der „Comitatus Award“ verliehen, der von der Firma Hollister in Zusammenarbeit mit MKÖ, der Kontinenz-Stomaberatung-Österreich (KSB) und der Österreichischen Gesellschaft für Urologie (ÖGU) ausgeschrieben wird. Mit diesem Preis sollen besonders innovative und patientenfreundliche Projekte, Initiativen und Maßnahmen für Menschen mit neurogenen Blasenentleerungsstörungen ausgezeichnet werden. Der erste Preis wurde an die Physiotherapeutin Dr. Rita Hochwimmer verliehen (Bild oben) und zwar für ihren Kontinenzblog „Pelvipedia“, eine Infoseite für Betroffene von Harn- und Stuhlinkontinenz.

Schließlich wurde OA Dr. Mons Fischer, scheidender Schatzmeister und Past-Präsident der MKÖ, im Rahmen der Tagung zum Ehrenmitglied der Gesellschaft ernannt.

Den Abschluss der Tagung bildete heuer erstmals ein neues Format: die Gruppenpraxis Beckenboden. Dabei wurden mitgebrachte Fälle vorgestellt und interaktiv besprochen. „Im Rahmen des neuen Formates der Gruppenpraxis wurde lebhaft diskutiert, dadurch ist die Interdisziplinarität der MKÖ besonders anschaulich geworden“, so die Kongresspräsidenten.

Das Resümee von Lechner und Rutkowski: „Unser Dank gilt den vielen helfenden Händen, die es einmal mehr möglich gemacht haben, dass die Jahrestagung ein toller Erfolg geworden ist. Hochkarätige Vortragende aus verschieden Berufsgruppen haben in spannenden Vorträgen die Hauptthemen Entleerungsstörungen und Sexualität aufgearbeitet. Dadurch konnte das Fachwissen der Teilnehmer in verschiedenen Bereichen aktualisiert werden.“

image_pdfimage_print