Interview: Die Ver-rückten sind wieder da

Luksch

Zehn Jahre – von 2002 bis 2012 gehörten die Website Geronto.at – und die dahinter stehenden Menschen – zu den  herausragenden Meinungsbildnern der österreichischen Altenpflegeszene. Doch dann ging man plötzlich „offline“ – und nur wenige wussten. wo ihre ProtagonistInnen verblieben waren.

Jetzt sind sie zurück. Effektiver, effizienter und eloquenter als zuvor, wie ihr Herausgeber Christian Luksch ankündigt. Wir führten ein Interview mit ihm – über das Woher und Wohin, über demografische und berufspolitische Entwicklungen und über neue Formen der praxisorientierten Weiterbildung.


Nur Windmühlen
„Es waren da aber gar keine Riesen, vor welchen sie sich fürchten mussten, sondern nur Windmühlen. Ein paar alte, leere Windmühlen!“ (Miguel Cervantes)

 

Frage: Herr Luksch – wo in aller Welt waren Sie in den letzten sechs Jahren?

Luksch (lacht): In aller Welt wohl, ja, das trifft es recht genau. Wenn man Wien schon als „alle Welt“ bezeichnen möchte. Von 2012 bis 2015 leitete ich das Qualitätsmanagement einer kleineren Pflegeeinrichtung und führte diese durch die EQalin-Zertifizierung, dann wechselte ich – ebenfalls als Qualitäter – in einen der grössten Pflegeheimkonzerne. Interessante Erfahrungen in beiden Fällen inbegriffen.

Frage: Und die anderen Mitwirkenden aus Ihrem damaligen Team?

Luksch: Sind nach wie vor in der Szene aktiv. Und wir stehen auch nach wie vor in mehr oder weniger engem Kontakt und helfen einander, wenn wir uns brauchen. Getrennt marschieren und gemeinsam kämpfen – die alte Guerillataktik halt.

Frage:Und Manuela Steinmetz?

Luksch: Ja, da ist der Kontakt natürlich enger. In den letzten drei Jahren hatten wir den gleichen Arbeitgeber und haben in einem Palliative Care – Projekt rund 1.500 Menschen geschult. Das wäre ohne sie gar nicht umsetzbar gewesen.

Frage:Mit Frau Steinmetz sind Sie, wie man hört, ja nicht nur beruflich in engem Kontakt.

Luksch: Stimmt. 2016 haben wir geheiratet. Nach dem Motto „Alt genug, um es besser zu wissen, jung genug um es trotzdem zu tun“.

Frage:Gratulation im Nachhinein. Wie kam es aber, dass Sie 2012 so plötzlich von der Bühne abtraten?

Luksch: So plötzlich war das gar nicht. Bereits 2011 brach uns ein grosser Auftraggeber aus Deutschland weg, dem folgten dann noch zahlungskräftige Kunden aus Italien und Österreich, alles eine Folge der Wirtschaftskrise von 2008. Wenn man Banken retten muss, dann wird halt im Sozial- und Bildungsbereich gespart, das ist ja ein alter Hut. Um das Unternehmen zu halten, hätten wir Schulden machen müssen und das wollten wir nicht. Also war es Zeit was anderes zu tun.

Frage:Wie offensichtlich jetzt auch wieder. Was trieb Sie dennoch neuerlich an, sich noch einmal selbständig zu machen, mit dem gleichen Ding noch dazu und unter einer ähnlichen wirtschaftlichen Rezession wie 2012?

Luksch: Also zum einen glaube ich nicht, dass wir in einer ähnlichen wirtschaftlichen Krise stecken, wie vor sechs Jahren, das ist etwas, das manche Leute uns glauben machen möchten. Es ist genug Geld da, es wird einfach nur nicht gerecht verteilt. Ich fürchte eher, wir stecken in einer ethischen Krise, wie wir an der Flüchtlingsfrage sehen.

Frage:Und zum anderen?

Luksch: Zum anderen haben sich nun berufs- und sozialpolitische Entwicklungen ergeben, bei denen ich denke, dass ich persönlich jetzt genau zwei Dinge tun kann: Das eine ist, mir eine bequeme Nische zu suchen und auf meine Pensionierung zu warten, das andere ist noch einmal meinen alten Hintern zu heben und das zu tun was ich besser kann als meinen Mund zu halten, nämlich Wissen zu vermehren.

Frage:Von welchen Entwicklungen sprechen wir da?

Luksch: Da ist zunächst einmal die sozialpolitische Entwicklung, die absolut konträr zur demographischen steht: Auf der einen Seite werden die psychiatrischen Erkrankungen immer mehr, auf der anderen wurden sukzessive die Langzeitpsychiatrien geschlossen. Mit der Folge, dass wir jetzt die alt gewordenen PsychiatriepatientInnen in die dafür überhaupt nicht vorbereiteten Pflegeheime aufnehmen müssen.

Frage:Und berufspolitisch?

Luksch: Das nächste Chaos: Mit der letzten Novellierung des GuKG im Jahr 2016 fiel die dreijährige Grundausbildung der psychiatrischen Pflege weg. Das ist völlig konträr zum tatsächlich bestehenden Bedarf gerade in der Langzeitpflege, die ja auf Grund der sozialpolitischen Entwicklung diese Klientel auffangen muss. Aber wie sagte schon Shakespeare: „Und ist es auch Wahnsinn, so hat ’s doch Methode“!

Frage:Aber es gibt ja weiterhin die Möglichkeit, das psychiatrische Pflegediplom zusätzlich in Form einer Sonderausbildung zu machen?

Luksch: Jo eh, mit zwei gewaltigen Pferdefüssen: Zum einen dauert diese SAB ein volles Jahr und sind nicht berufsbegleitend – doch welcher Arbeitgeber verzichtet auf eine/n DGKP ein volles Jahr und bezahlt auch noch das Gehalt weiter? Und zum zweiten sind die derzeitigen SAB-Lehrpläne gar nicht kompatibel mit dem Niveau der kommenden Fachhochschulstudiengänge.

Frage: Hoppla – Sind Sie etwa ein Gegner der Akademisierung der Pflege?

Luksch: Überhaupt nicht, im Gegenteil – das hätte schon viel früher kommen sollen. Ich kann mich noch an eine Diskussion mit PflegedirektorInnen  vor 17 Jahren erinnern, in der das damalige ÖBIG (heute: Gesundheit Österreich GmbH, der brain-trust des Gesundheitsministeriums. Anm.d.Red.)  eine Berufsmatura für Pflegekräfte vorschlug. Da war der einhellige Tenor: „Kommt ja überhaupt nicht in Frage! Sollen die Schwestern jetzt auch noch Logarithmen lernen?“ Und damit war das Thema dann für viele Jahre wieder vom Tisch.

Frage:Ganz zufrieden sind Sie aber doch nicht mit dieser Bildungsreform?

Luksch: Nein, denn erstens ist es keine Bildungsreform, sondern bestenfalls eine Ausbildungsreform und zweitens geht mir dabei ganz massiv der Praxisbezug ab. Ein befreundeter Pflegeschuldirektor sagte mir vor kurzen unverblümt: „Wir sperren die jungen Leute drei Jahre lang in Elfenbeintürme und dressieren sie zu Fachidioten, die in der Praxis vor einer nassen Inkontinenz-Einlage scheitern“. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich dem leider nur beipflichten.

Frage: Das ist eine hammerharte Kritik – haben Sie auch Lösungsvorschläge parat?

Luksch: Mehr Praxis. Punkt. Als ich in den 1980ern in diesen Beruf einstieg, gab es ein sogenanntes „prä-schulisches Jahr“, in dem du die Pflege einmal direkt am Bett kennenlerntest und schon relativ früh entscheiden konntest, ob du den Beruf überhaupt erlernen willst oder ob du nur Opfer deiner Vorstellungen bist. Und es gab den Rat meines Pflegelehrers, den ich als absolute und auch bittere Wahrheit erfahren habe: „Dein wichtigstes Ausbildungsjahr ist das erste Jahr nach deiner Ausbildung – dann lernst du, was wirklich möglich ist!“

Frage:Zurück zum Comeback von Geronto.at – wenn ich Sie richtig verstehe, dann wollen Sie und Ihre MitstreiterInnen durch Fort- und Weiterbildung die Probleme der geriatrischen Pflege lösen helfen?

Luksch: Nun, wir sind schon gut, ich glaube sogar sehr gut, aber wir sind nicht größenwahnsinnig. Was wir können, sind Lösungen anzubieten und mit  betroffenen Einrichtungen gemeinsam umzusetzen. Ob das dann auch wirklich funktioniert, wird von vielen Faktoren abhängen.

Frage:Auch von den dabei angewandten Methoden, oder?

Luksch: Ja natürlich. Von denen ganz besonders.

Frage:Und da unterscheiden Sie sich wie von anderen Weiterbildungsanbietern?

Luksch: Durch den Praxisbezug natürlich. Das beginnt schon damit, dass wir den Kompetenzbedarf der MitarbeiterInnen gemeinsam mit den AuftraggeberInnen verifizieren und setzt sich fort, in dem wir nur PraktikerInnen als ReferentInnen einsetzen, die sich wiederum einer verständlichen Sprache  bedienen. Und wir verzahnen den Unterricht eng mit der realen Arbeitswelt der Teilnehmenden.

Frage:Sie belassen es aber dabei nicht, sondern bieten Organisationen, die ihre MitarbeiterInnen durch Sie weiterbilden lassen, auch noch zusätzliche, mit den jeweiligen Weiterbildungen verbundene, Leistungen an? Welche sind das, und ist dies auch aus wirtschaftlicher Sicht überhaupt leistbar?

Luksch: Ja. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Weiterbildung alleine für sich noch gar nichts verbessert. Gerade wenn diese um ein Thema kreist, dass für die betroffene Organisation neu ist oder eine bedeutende Veränderung darstellt, ist es wichtig, dass sie auch von anderen Maßnahmen flankiert wird,  wie z. B. Intervision, Coaching sowie Prozessmanagement und Qualitätssicherung. Auch das bieten wir – spezifisch für das jeweilige Thema der Weiterbildung  an. Stimmt.

Frage:Womit Sie wieder ein Alleinstellungsmerkmal in der Weiterbildungsszene besetzen wollen?

Luksch: Möglich, ja. Darum geht es uns aber nicht primär. Wichtiger ist uns, dass das, was wir unterrichten, nicht irgendwo in einer Schublade im hinteren Hirnkastl verstaubt, sondern denen hilft, die es brauchen – den Pflegekräften sowie den BewohnerInnen bzw. KlientInnen.

Herr Luksch, wir danken für Ihr Engagement und die offenen Worte und freuen uns auf weitere Beiträge im LAZARUS Care-Letter!

 

Eine Übersicht der Weiterbildungsangebote finden Sie auf  www.geronto.at

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