Österreich: Umfassender „Masterplan Pflege 2019“ auf dem Weg

parlament

Mit der Organisation der Pflege befasst sich ein aktueller Bericht des Rechnungshofs ( III-124 d.B.), der kürzlich im Sozialausschuss des Parlaments beraten wurde.Dabei kündigte Gesundheits- und Sozialministerin Hartinger-Klein einen umfassenden „Masterplan Pflege“ im nächsten Jahr an.

Konkret geht es im aktuellen RH-Bericht um die 24-Stunden-Betreuung in den Bundesländern Wien und Oberösterreich in den Jahren 2013 bis 2015. Aufgrund der großen Nachfrage stiegen die bundesweit ausbezahlten Fördermittel seit der Einführung vor zehn Jahren von 9 Mio. €  auf rund 139 Mio. €, wobei der Bund jeweils 60% und die Länder 40% der Kosten übernehmen. 2015 bezogen bereits 7% der 450.000 PflegegeldbezieherInnen diese Förderung. Die rund 30.400 Betreuungskräfte (auf selbstständiger Basis) kommen vor allem aus der Slowakei und Rumänien (84%).

Verpflichtende Hausbesuche durch Pflegefachkräfte empfohlen

Die PrüferInnen des Rechnungshofs empfehlen insbesondere eine Ausweitung des Qualitätssicherungssystems sowie die Durchführung von verpflichtenden Hausbesuchen durch diplomierte Fachkräfte. Generell sei es notwendig, das Fördermodell für die 24-Stunden-Betreuung weiter zu entwickeln und in eine langfristige, gesamtheitliche Planung aller Pflegeleistungen einzubinden, schlug RH-Präsidentin Margit Kraker vor. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein versicherte, dass alle Anregungen aufgegriffen wurden und sich in Umsetzung befinden. Als Beispiel führte sie die baldige Umsetzung eines Gütesiegels für die Vermittlungsagenturen an. Das Thema Pflege sei zudem ein ganz wichtiger Arbeitsschwerpunkt der Regierung, ein entsprechender Masterplan werde im nächsten Jahr vorgestellt. Außerdem werde eine parlamentarische Enquete zu diesem Thema stattfinden.

Im Jahr 2007 schuf der Gesetzgeber die Rechtsgrundlagen für eine 24–Stunden–Be­treuung zu Hause und führte die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung ein, um betroffenen Personen eine legale und leistbare Betreuung im gewohnten Wohnumfeld zu ermöglichen. Im Ländervergleich zeigten sich dabei große Unterschiede: So nahmen in Wien 3.025 Personen (3,6% der PflegegeldbezieherInnen) die Förderung in Anspruch, in Oberösterreich waren es 5.360 (7,6%). Ziel der Gebarungsüberprüfung war die Beurteilung der Finanzierung der 24–Stunden–Betreuung, der Förderabwicklung, der Qualitätssicherung, der sozialversicherungsrechtlichen Aspekte sowie der Planungsvorgaben und Prognosen in Bezug auf die zukünftige Entwicklung.

Mindestausbildung als Fördervoraussetzung?

Das Land Oberösterreich leistete seit Bestehen der Förderung nicht den vollen Finanzierungsanteil, sondern überwies im Schnitt nur 31% der ausbezahlten Gelder an das Ministerium, heißt es im Bericht. Es beteiligte sich unter Berufung auf die 15a-Vereinbarung nur dann an der Kostenübernahme, wenn die Betreuungskraft eine the­oretische Mindestausbildung vorweisen konnte. Das Ministerium hielt dies aufgrund derselben Rechtsgrundlage für unzulässig. Daraus resultierten hohe ku­mulierte Forderungen, die per Ende 2015 bereits 11,01 Mio. € betrugen. Eine rechtliche Klärung dieser Frage sowie die Bereinigung der offenen Forderungen sollten daher herbeigeführt werden, schlugen die PrüferInnen vor.

Was die Qualität der Versor­gung durch 24–Stunden–Betreuungskräfte angeht, so wurde sie im Rahmen der verpflichtenden Hausbesuche als sehr gut bewertet. Beanstandet wurde in 10% der Fällen, dass Be­treuungskräfte pflegerische und ärztliche Tätigkeiten durchführten, obwohl die da­für verpflichtend vorgesehene Delegation fehlte. Im Gegensatz zu HeimhelferInnen sei bei Personenbetreuung keine verpflichtende theoretische Ausbildung vorgesehen. Umso wichtiger ist es nach Ansicht des Rechnungshofs, dass das Kompetenzzentrum für Qualitätssicherung in der Pflege in jedem Fall verpflichtend Hausbesuche durchführt. Diese ermöglichen die Kontrolle der sachgerechten Pflege und dienen der niederschwelligen Beratung, etwa bei pflegerelevanten Fragen.

Zu Beschwerden kam es des Öfteren bezüglich der Geschäftspraktiken einzelner Vermittlungsagenturen. Von 2013 bis 2015 wurden bei zehn Agenturen Ab­mahnungen bzw. Verbandsklagen wegen unzulässiger Vertragsklauseln durchge­führt. Die Einführung eines Gütesiegels sollte daher überlegt werden, lautete ein Vorschlag des Rechnungshofs. Probleme ergaben sich u.a. durch mangelnde Ausbildung und Sprachkenntnisse, intransparente Preisgestaltung, Knebelungsverträge oder durch den häufigen Wechsel von Betreuungskräften. Weitere Vorschläge des Rechnungshofs zielten auf die Anpassung der 15a-Vereinbarung an den aktuellen Stand sowie die Implementierung einer geeigneten IT–Appli­kation, die einen automatisierten und regelmäßigen Datenabgleich sowie die Kontrolle der Fördervoraussetzungen (z.B. Versicherungsstatus der Betreuungskräfte) sicherstellen würde.

Opposition: Von Best-practice-Modellen, besserer Bezahlung, langfristiger Planung bis hin zu Radikalreform

Für SPÖ-Mandatar Philip Kucher muss eine „menschliche Pflege“ im Fokus stehen, die sowohl auf die Bedürfnisse der Betroffenen als auch auf jene der Betreuungskräfte entsprechend Rücksicht nimmt. Die zahlreichen Beanstandungen in Bezug auf die Vermittlungsagenturen zeigten, dass es noch viele Probleme gibt. Wichtig seien die Einhaltung von hohen Qualitätsstandards sowie Fortbildungsmaßnahmen. Außerdem sollte man sich Best-practice-Modelle in anderen Ländern, wie z.B. das „community nursing“,  näher anschauen. SPÖ-Rechnungshofsprecherin Karin Greiner war der Auffassung, dass sich Wertschätzung gegenüber dem Pflegeberuf auch in fairen Gehältern niederschlagen müsse.

Abgeordneter Wolfgang Zinggl (JETZT) sah in vielen Bereichen dringenden Handlungsbedarf und forderte eine Radikalreform. ÖVP-Mandatarin Angela Fichtinger sprach die Durchführung von Stichproben von Seiten der Landesstellen sowie die IT-Applikation an, die offensichtlich erst in Teilbereichen zur Anwendung kommt. Ausschussvorsitzende Irmgard Griss (NEOS) wies darauf hin, dass derzeit die meisten – vor allem weiblichen – Betreuungskräfte in der 24-Stunden-Betreuung aus den osteuropäischen Nachbarländern kommen. Wenn sich die Lebensstandards in diesen Staaten verbessern, sei es aber wohl absehbar, dass weniger Betreuungskräfte nach Österreich kommen. Es brauche daher einen Masterplan für die Pflege, der auf Basis ausreichender Daten und unter Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten ein Maßnahmenpaket enthält, um auch in Zukunft die Pflege sicherzustellen.

Hartinger-Klein: Ganzheitliches Konzept und Aufwertung der Pflegeberufe notwendig

Bundesministerin Beate Hartinger-Klein bekräftigte noch einmal, dass die Regierung einen „Masterplan Pflege“ vorlegen wird, der auf einem ganzheitlichen und umfassenden Ansatz basiert. Es handle sich dabei um eine der entscheidenden Fragen der Zukunft, betonte die Ressortchefin, schon jetzt seien 950.000 Menschen in die Pflege und Betreuung von Angehörigen involviert. Ein wichtiges Element sei dabei die Attraktivierung des Berufsstandes, was auch einen Imagewandel implizieren müsse. Wie sie aus Gesprächen mit bei der Steirischen Krankenanstaltengesellschaft beschäftigten Pflegekräften in Erfahrung bringen konnte, habe dabei vor allem die Wertschätzung ihrer Arbeit Vorrang vor anderen Punkten. Die Höhe der Bezahlung komme an letzter Stelle, hielt die Ministerin Abgeordneter Karin Greiner (SPÖ) entgegen.

Weiters informierte die Sozialministerin Abgeordnete Fichtinger darüber, dass seit Dezember 2017 ein automatisierter Datenabgleich möglich ist, wodurch u.a. ein Übergenuss an Förderungen verhindert werden könne. Es wurde auch sichergestellt, dass keine historischen Daten, die für den ordnungsgemäßen Vollzug der Leis­tung benötigt werden, gelöscht werden. Zu der Frage der Stichproben merkte die Ministerin an, dass unangekündigte und verpflichtende Hausbesuche durchgeführt werden.

Kraker für gesamthafte Planung und für legale, leistbare und hochwertige Betreuung zu Hause

Richtig sei, dass die Förderung der 24-Stunden-Betreuung von der Bevölkerung sehr gut angenommen wurde, bekräftige RH-Präsidentin Margit Kraker. In diesem Teilaspekt der Pflege gab es eine sehr dynamische Entwicklung, was sich auch an den stark gestiegenen Ausgaben zeige. Sie ging noch einmal auf die Eckpunkte des Berichts ein und wies u.a. darauf hin, dass wesentliche Aspekte der 15a–Vereinbarung über die gemeinsame Finanzie­rung der 24–Stunden–Betreuung nicht aktualisiert wurden, wie z.B. der Deckelungsbe­trag für Fördermittel. Ein Problem ergab sich auch dadurch , dass aufgrund der Tatsache, dass selbständige Betreuungskräfte ihr Gewerbe sowie ihre Sozialversicherung rückwirkend ruhend stellen konnten, nachträglich eine der Fördervoraussetzungen wegfiel. Abschließend appellierte Kraker an die politisch Verantwortlichen, gemeinsam mit den Bundesländern das Fördermodell, das verschiedensten Einflussfaktoren (demographische und gesellschaftliche Entwicklungen, Arbeitskräfteangebot, Beschäftigungsverhältnisse etc.) unterworfen ist, regelmäßig zu evaluieren und gegebenenfalls den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen.  (PK vom 27.11.2018)

 

Kommentar

Staats-Inspektoren in jedes Schlafzimmer?

Die Forderung des Rechnungshofes nach Kontrollvisiten in allen privaten Haushalten mit geförderter 24 Stunden-Personenbetreuung ist völlig realitätsfremd und – angesichts der im Verhältnis zu den monatlichen Gesamtkosten lächerlich geringen Förderhöhe – geradezu obszön.Die flächendeckende Umsetzung von staatlichen Kontrollbesuchen hätte lediglich zur absehbaren Folge, dass noch mehr PflegegeldbezieherInnen als jetzt (und deren pflegende Angehörige) auf die Förderung verzichten würden, um diesen staatlichen Einbruch in ihre Privatsphäre zu vermeiden.

Keineswegs nachvollziehbar erscheint auch, warum die finanziell und personell enorm aufwändige Kontrolle aller geförderten PflegegeldbezieherInnen effizienter sein soll als eine konsequente staatliche Regelung und Überwachung der wenigen Dutzend Vermittlungsagenturen?

Zudem ist höchst zweifelhaft, ob genügend Pflegefachkräfte für zehntausende(!) verpflichtende Hausbesuche zur Verfügung stünden, weil diese schon jetzt sowohl von stationären Einrichtungen als auch mobilen Pflegediensten händeringend gesucht werden.

Erich M. Hofer

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