Manche mittelalterlich-dumpfe Vorstellung ist trotz Aufklärung und Jahrzehnte langer schulischer Bildungsarbeit noch immer nicht aus allen Köpfen verschwunden bzw. durch fundiertes Wissen abgelöst worden. Dazu zählt auch die absurde Vermutung, vielfältig variantes Sexualverhalten könne „geheilt“ werden. Dieses gefährliche Nichtwissen mancher Eltern und Pädagogen ist für heranwachsende Jugendliche fatal und kann sogar lebensgefährlich sein.
Dazu die aktuelle Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Public Health (ÖGPH) vom 10. Dezember 2018 im Wortlaut:
Menschenrechte beinhalten auch das Recht auf sexuelle und geschlechtliche Identität: Unwissenschaftliche und unethische sexualpädagogische Lehrinhalte gefährden die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Die sexuelle Entwicklung ist Teil der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen, verläuft auf kognitiver, emotionaler, sensorischer und körperlicher Ebene und wird häufig von Ängsten, Schamgefühlen, Unsicherheiten und Fehlinformationen begleitet.
Kinder und Jugendliche in ihrer sexuellen Entwicklung zu unterstützen, ist deshalb eine zentrale Aufgabe und ein Prozess, in dem nicht nur die Eltern, sondern auch Bildungseinrichtungen eine wichtige Rolle spielen. Dabei ist besonders eine zugewandte, offene Haltung gegenüber den Fragen der Kinder und Jugendlichen und die Vermittlung von ethisch und wissenschaftlich anerkannten Inhalten zu Sexualität, Geschlecht und Rollenbildern wichtig. Dies gilt v.a. für all jene Berufsgruppen, die mit Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Kontexten zu tun haben.
Vor diesem Hintergrund erfüllt eine zeitgemäße und qualitätsgesicherte Sexualpädagogik einen bedeutsamen präventiven Beitrag für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen (siehe hierzu etwa eine rezente Evidenzanalyse der UNESCO). Pädagog*innen, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen, denen Kinder und Jugendliche aber auch Eltern und Erziehungsberechtigte großes Vertrauen entgegenbringen, nehmen hierbei zentrale Vermittlerrollen ein.
Die Vermittlung von Wissen zu Sexualität, Rollenbildern und geschlechtlicher Identität zielt insgesamt auf eine Stärkung der Selbstwirksamkeit von Kindern und Jugendlichen ab und trägt damit auch zu einem aktiven Gewaltschutz bei. In diesem Verständnis ist Sexualpädagogik integraler Teil von Public Health, die den Rechten von Kindern (laut UN-Kinderrechtskonvention) zuarbeitet.
Alarmierende Vorfälle in Österreich
Bedauerlicherweise wurden nun in Österreich Fälle bekannt, wo die Grundsätze von Ethik und Wissenschaftlichkeit bei der Vermittlung von sexualpädagogischen Inhalten nicht gewahrt wurden. Die ÖGPH-Kompetenzgruppen für „Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“, „Public Mental Health“ und „Kinder- und Jugendgesundheit“ nehmen dies zum Anlass und sprechen sich entschieden gegen Lehrinhalte und Sichtweisen aus, die eine Heilung oder Therapienotwendigkeit von Homosexualität in Aussicht stellen bzw. nahelegen, ideologiegeleitet auf das sexuelle Verhalten von Kindern und Jugendlichen einwirken möchten, eine undifferenzierte Geschlechterdichotomie vertreten und Mädchen und Burschen normierte gesellschaftliche Rollen zuteilen.
Zudem werden aus Gründen der Gesundheitsgefährdung und Ethik entschieden alle Therapieverfahren und Beratungen abgelehnt, die auf eine Korrektur der sexuellen Orientierung abzielen. Solche „Konversionstherapien“ (auch „reparative Verfahren“ oder „Reorientierungstherapien“ genannt) entbehren jeder wissenschaftlichen (theoretisch und methodisch soliden) Grundlage und können vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu psychischen Störungen und Erkrankungen (wie Depressionen, Angsterkrankungen) bis hin zu selbstschädigendem Verhalten und zu Suizidalität führen.
Potentielle Gesundheitsschäden zu Konversionstherapien wurden in systematischen Übersichtsarbeiten vom „Center for the Study of Inequality“ an der Cornell University (2017) oder von der „Task Force on Appropriate Therapeutic Responses to Sexual Orientation“ der „American Psychological Association“ (2009) identifiziert.
Internationaler Konsens gegen gefährliche „Konversionstherapien“
Die drei ÖGPH-Kompetenzgruppen stehen mit der vorliegenden Stellungnahme in einer Reihe mit zahlreichen anderen nationalen und internationalen Fachgesellschaften (wie z.B. mit den US-amerikanischen Fachgesellschaften für Psychiatrie, für Kinder- und Jugendpsychiatrie und für Psychologie, dem Referat „Sexuelle Orientierung in Psychiatrie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie“ oder der „Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik“), die sich eindeutig und unmissverständlich gegen „Konversionstherapien“ ausgesprochen haben.
Die vertretenen ÖGPH-Kompetenzgruppen betonen abschließend die Bedeutung fundierter (sexualpädagogischer, entwicklungspsychologischer, medizinischer und therapeutischer) Kenntnisse in den Aus- und Fortbildungen für pädagogische Berufe und Gesundheits- und Sozialberufe sowie die Bereitstellung und Vermittlung evidenzinformierter und qualitätsgesicherter Lehrinhalte.
Unterzeichnet von:
[Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas E. Dorner, MPH], Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Public Health(ÖGPH)
Dr. Dr. Igor Grabovac Koordinator ÖGPH-Kompetenzgruppe „Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“
Dr. Roman Winkler, MMSc
Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. [Thomas Niederkrotenthaler], PhD, MMS, Koordinator ÖGPH-Kompetenzgruppe „Public Mental Health / Psychosoziale Gesundheit“
Mag.a Dr.in [Rosemarie Felder-Puig], MSc, Koordinatorin ÖGPH-Kompetenzgruppe „Kinder- und Jugendgesundheit für den Dialog Wissenschaft – Politik – Praxis“