Nachlese Schmerz-Symposium: Warum sachkundige Pflege für alte Menschen so wichtig ist

 

Alte Menschen sind multimorbid, Medikamenten-assoziierte Probleme eine häufige Folge der Polymedikation. Sie sind oft kognitiv sowie funktionell eingeschränkt und mit zunehmendem Alter ändert sich auch biophysikalisch so einiges. All dies hat Auswirkungen auf den Nutzen und das Risiko einer Schmerztherapie. Um hochbetagte Schmerzpatient*innen effizient behandeln zu können, braucht es ein funktionierendes Zusammenwirken zwischen Ärzten und Pflegenden sowie das Wissen um die geeigneten Therapieansätze.

  OA Dr. Wolfgang Jaksch_groß_© Gary Milano

Je älter die Patienten sind, desto häufiger haben sie starke bis mäßig starke Schmerzen. Das führt zu steigenden Problemen nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Medizin, denn alte Menschen sind häufig multimorbid und damit schwieriger zu behandeln. Sie leiden an Demenz, Diabetes, hohem Blutdruck, koronarer Herzkrankheit, Osteoarthrose etc. und dazu an Organinsuffizienzen. Die Folge: „Nahezu 20 Prozent der Senioren im Alter von über 65 nehmen zehn oder mehr Medikamente pro Tag ein“, informiert Oberarzt Dr. Wolfgang Jaksch vom Wilhelminenspital in Wien (Bild re., © Gary Milano).

Dazu kommt, dass die kognitive Leistung möglicherweise vermindert ist, die Compliance sinkt und auf Grund der Polypharmazie treten vermehrt Medikamenten-Interaktionen auf. Dazu verändert sich im Alter die Pharmakokinetik, wodurch Analgetika wie Opioide stärker und länger wirken. Die hepatische und renale Clearance nehmen ab, was Einfluss auf die Metabolisierung von Medikamenten hat.

NSAR für alle Fälle?

Bei Schmerzen werden am häufigsten nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) verabreicht. Doch NSAR und Coxibe haben ein hohes gastrointestinales, kardiovaskuläres und renales Risiko. „NSAR sind der Hauptgrund, weshalb Patienten aufgrund von Nebenwirkungen im Spital aufgenommen werden. Ganz besonders betrifft dieses Risiko alte Patienten, weshalb eine Langzeitanwendung mit Nicht-Opioiden in der Geriatrie praktisch nicht möglich ist“, weiß der Schmerzmediziner.

Pflegende können Fehlmedikation vermeiden helfen

Unwirksam, aber dennoch häufig eingesetzt werden NSAR auch beim neuropathischen Schmerz, dessen Prävalenz mit dem Alter zunimmt. „Beim Nervenschmerz steht eine lokale Therapie an erster Stelle. Eine Umfrage in Österreich hat jedoch ergeben, dass bei neuropathischen Schmerzen am häufigsten NSAR verschrieben werden – obwohl sie hier keinen Stellenwert, sondern nur Nebenwirkungen haben,“ warnt Jaksch. In diesem Fall kommt der Pflege eine ganz bedeutende Rolle zu.

Svetlana Geyrhofer_groß_© Alexandra Kromus

Denn Pflegende sind die ersten, die erkennen, ob Patienten Schmerzen haben und welche Art des Schmerzes vorherrscht. „Die Schmerzerkennung bildet die Voraussetzung für eine gezielte Schmerztherapie“, sagt DGKP Svetlana Geyrhofer, Pain Nurse und Präsidentin der Gesellschaft für Schmerzmanagement der Gesundheits- und Krankenpflege (Bild li., © Alexandra Kromus). „Die Pflegeperson erhebt mit standardisierten Protokollen über die Schmerzqualität das Vorhandensein von neuropathischen Schmerzen und steuert dadurch die medikamentöse Therapie.“

Einschießende, elektrisierende oder brennende Schmerzen, Kribbeln und Ameisenlaufen, Taubheit, Schmerzverstärkung durch leichte Berührung (Allodynie) sowie massive Schmerzüberempfindlichkeit (Hyperalgesie) geben wichtige Hinweise auf das Vorliegen einer neuropathischen Komponente. Geyrhofers Appell an ihre Kollegen: „Fragen Sie nach der Schmerzqualität! Sie entscheiden die medikamentöse Therapie mit. Sie haben ein Vorschlagsrecht. Nutzen Sie es und empfehlen Sie bei neuropathischen Schmerzen die richtigen Medikamente.“

 

Lokale Therapie optimal bei Nervenschmerz

Bei neuropathischem Schmerz gilt ein anderer Algorithmus als das WHO-Stufenschema. An erster Stelle steht eine lokale Therapie. Jaksch: „Bei topisch applizierten Pharmaka kommt es zu einer sehr geringen systemischen Absorption und damit zu praktisch keinen klinisch relevanten Arzneimittelinteraktionen. Sie sind die optimale Therapie für geriatrische Patienten.“ Für die Patienten stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Versatis® v.a. bei Postzoster-Neuralgie und Qutenza®, das bei allen Arten von umschriebenen, peripheren neuropathischen Schmerzen einsetzbar ist. „Bei Versatis® wird Lidocain freigesetzt. Es hat einen kühlenden Effekt, was sehr angenehm für den Patienten ist. Das Pflaster ist zusätzlich eine physikalische Barriere, die vor Berührungsschmerz schützt“, erklärt Jaksch.

Qutenza® enthält Capsaicin, den Wirkstoff der Chilischote in synthetischer Form sowie hoher Dosierung. Es kommt zu einer Desensibilisierung der Schmerzrezeptoren und zu einem reversiblen Funktionsverlust der Schmerzfasern. Die optimale Vorbereitung und Durchführung einer Qutenza®-Therapie liegt im Wesentlichen in den Händen von geschulten Pflegefachkräften: Vor der Applikation kann ein topisches Anästhetikum oder ein orales Analgetikum eventuelle applikationsbedingte Beschwerden reduzieren.

Eine Alternative kann auch die Kühlung der Haut sein. Das zu behandelnde Areal wird mit einem Pin-Prick-Test festgelegt und markiert (bei Allodynie reicht ein sanftes Darüberstreichen mit einem Wattebausch). Bei Vorhandensein werden die Haare mit einer Schere entfernt – keinesfalls darf rasiert werden, denn intakte Haut ist wichtig. Dann wird das Pflaster zugeschnitten und appliziert. Nach 60 Minuten am Körper bzw. 30 Minuten an den Füßen wird es wieder entfernt und ein Reinigungsgel aufgetragen. Im Schnitt wird alle drei bis fünf Monate ein neues Pflaster geklebt.

Wichtig zu wissen: Für Qutenza® wurde in mehreren Studien nachgewiesen: Je früher es zur Anwendung kommt, desto besser ist die Wirkung. Um dies zu fördern, sind regelmäßige Schulungen für alle medizinischen und pflegenden Fachkräfte auf den in Frage kommenden Abteilungen an den Krankenhäusern notwendig.

 

Opioide im Alter

Geriatrische Patienten reagieren sensibler auf Opioide und andere zentral wirksame Substanzen. Auch die Gefahr, mit Opioiden ein Delir auszulösen, ist um das 2,5-fache erhöht. Umgekehrt gilt aber auch: Wird der Schmerz nicht ausreichend behandelt, steigt das Delir-Risiko ebenfalls. „Unruhezustände sind oft auf Schmerzen zurückzuführen. Im Rahmen des Schmerzassessments können wir Verhaltensveränderungen erkennen. Bei jeder Veränderung des Verhaltens sollte man zuerst den Schmerz erfassen, um zu sehen, ob ein Schmerzgeschehen dahinter steckt“, beschreibt Geyrhofer die wichtige Rolle der Pflegenden.

Besonders wichtig ist die Einstellungsphase der Opioidtherapie. „Man soll besonders vorsichtig sein, denn wie der multimorbide Organismus reagiert, ist oft schwer einzuschätzen. Patienten können schwindlig werden und stürzen, was Hüft-, Oberarm- oder Handfrakturen zur Folge haben kann. Man soll daher mit einer sehr niedrigen Dosierung beginnen und nur langsam steigern“, so Jaksch. „Das Risiko für Nebenwirkungen ist allerdings nicht bei allen Substanzen gleich. Buprenorphin und Hydromorphon scheinen da um einiges besser zu sein.“ Wichtiges Detail: Geriatrische Patienten brauchen nicht weniger Opioide als junge Patienten. Sie müssen nur engmaschiger kontrolliert werden.

 

Zum Schluss ging Schmerzmediziner Jaksch noch darauf ein, weshalb Patienten eine Opioidtherapie abbrechen: „Die meisten beenden die Therapie nicht aufgrund einer ausbleibenden Wirkung, sondern wegen Nebenwirkungen. Allen voran steht hier die Obstipation.“ Dazu muss man wissen, dass Obstipation durch Opioid-Rezeptoren in der Darmwand vermittelt wird. Medikamente, die direkt dort antagonistisch wirken, werden als PAMORA (peripher wirksame µ-Opioidrezeptor-Antagonisten) zusammengefasst.

Die beiden Experten sind sich einig: „Die Behandlung von Schmerz ist eine interdisziplinäre und multimodale Aufgabe und muss zielgerichtet erfolgen. Wichtig ist, mit dem alten Patienten gemeinsame Ziele festzusetzen. Das ist in der Regel nicht die Schmerzfreiheit. Es geht darum, dass die Patienten besser schlafen und aktiver sein können.“ Pflegeexpertin Geyrhofer betont: „In der Pflege von alten Menschen brauchen wir ein hochqualifiziertes Pflegepersonal. Unsere Rolle im Schmerzmanagement als die zentrale Steuerungseinheit ist klar und in vielen Leitlinien und Handlungsempfehlungen dezidiert beschrieben. Denn:

„Multimodale Schmerztherapie funktioniert nicht ohne die Pflege!“

Quelle: pflegekongress18, Symposium der Firma Grünenthal „Besonderheiten der Schmerztherapie in der Geriatrie. Aus der Sicht des Schmerzmediziners und der Pflege“, 29. 11. 2018, Wien

image_pdfimage_print