Obwohl gesetzlich längst möglich und vom Sachverständigenrat bereits vor 12 Jahren dringend empfohlen, werden neue Versorgungsstrukturen und -prozesse im deutschen Gesundheitswesen – vor allem im ländlichen Raum – weiterhin nicht umgesetzt. Initiativen in dieser Richtung seien positiv, greifen aber zu kurz, wie der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe jetzt bemängelt.
Die jetzt in Berlin vorgestellte AOK-Initiative „Stadt. Land. Gesund.“ sei zwar ein gutes Signal, von echter Innovation aber nach wie vor weit entfernt, so der DBfK. Denn sie bleiben – wieder einmal – bei der Delegation ärztlicher Tätigkeiten an die Pflege stecken. International längst erfolgreich etablierte Modelle eigenständiger pflegefachlicher Gesundheitsversorgung – insbesonders in strukturschwachen Gebieten – bleiben weiterhin unbeachtet.
„Seit Jahren gibt es im SGB V den Paragraphen 63, Absatz 3c 1, der wirklich neue Versorgungsstrukturen ermöglichen soll. Denn schon jetzt stößt das deutsche System der Gesundheitsversorgung durch seine Arztzentriertheit und den Arztvorbehalt vielfach an Grenzen und kann wesentliche Lücken nicht schließen. Das betrifft besonders die Versorgung in strukturschwachen Regionen. Hier hätten längst schon neue Versorgungskonzepte getestet werden können“, kritisiert DBfK-Präsidentin Prof. Christel Bienstein (re.).
Und weiter im Klartext: „International sind Konzepte des „Advanced Practice Nursing“ – d.h. Pflegefachpersonen mit zusätzlicher Qualifikation in erweiterten Rollen und mit hoher Autonomie – längst etabliert und mit guten Ergebnissen evaluiert. Sie decken weite Teile der Primärversorgung eigenständig ab“. In vielen europäischen Ländern werde bei steigendem Versorgungsbedarf der gleiche Weg gegangen. In Deutschland allerdings setze man höchstens auf Delegation von Tätigkeiten an Praxisassistenten als verlängerten Arm des Arztes und nennt das „innovativ“, so die renommierte Pflegewissenschaftlerin der Universität Witten/Herdecke. Bienstein: „Und so manche erfahrene und gut qualifizierte Pflegefachperson verzweifelt daran, dass sie weiterhin dem Arzt in die Feder diktieren muss, welches Hilfsmittel, welche Wundauflage oder Inkontinenzversorgung gebraucht wird und verordnet werden soll – oft nach ermüdenden Diskussionen“.
Wir brauchen im deutschen Gesundheitssystem neu gestaltete Aufgabenzuschnitte, eine neue Aufgabenteilung zwischen den Pflege-, Heil- und Gesundheitsberufen, Substitution in definierten Bereichen und mit neuer Verantwortlichkeit und größerer Autonomie. Solche Projekte sollten vom Innovationsfonds gezielt gefördert werden – gerade unter Beteiligung der AOK als Vorreiter unter den Kassen, fordert der Pflegeberufsverband energisch dazu auf, endlich zu handeln.
1) „Modellvorhaben nach Absatz 1 können eine Übertragung der ärztlichen Tätigkeiten, bei denen es sich um selbständige Ausübung von Heilkunde handelt und für die die Angehörigen der im Krankenpflegegesetz geregelten Berufe auf Grund einer Ausbildung qualifiziert sind, auf diese vorsehen.“