OP ohne Routine: 40 Prozent der Kliniken operieren unterhalb der gesetzlichen Mindestfallzahlen

OP-Schwester

Viele Krankenhäuser halten die gesetzlich vorgegebenen Mindestmengen für komplexe Operationen nicht ein. Wie eine aktuelle Analyse zeigt, erreichten vier von zehn deutschen Kliniken, die solche Eingriffe durchführen, eine oder mehrere der verbindlichen Fallzahlen im Jahr 2017 nicht. Dadurch ergeben sich für die Patienten unnötige Risiken.

 

Damit schwierige Operationen nur noch in Kliniken mit einem Mindestmaß an Erfahrung stattfinden, wurden seit 2004 Mindestmengen für sieben planbare Eingriffe festgelegt. Ziel der Regelung war es, die Qualität der stationären Behandlungen zu verbessern. Denn es ist belegt, dass es in Krankenhäusern mit höheren Fallzahlen seltener zu Komplikationen und Todesfällen kommt.

Doch wie die aktuelle Analyse des Science Media Center (SMC) und der Weissen Liste der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht, hat die geltende Mindestmengen-Regelung auch 15 Jahre nach ihrer Einführung kaum Wirkung in der Versorgung: 458 von 1.152 Kliniken (39,7 %) führten 2017 komplexe Eingriffe durch, obwohl sie die vorgegebenen Fallzahlen unterschreiten. Das entspricht bundesweit rund 4.300 Operationen.

Unterschiede nach Bundesländern und Art der OP

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Beim Blick auf die einzelnen Bundesländer sind erhebliche Unterschiede sichtbar. Während in Mecklenburg-Vorpommern 29,2 Prozent und in Baden-Württemberg 30,7 Prozent der Kliniken eine oder mehrere der Mindestfallzahlen nicht erreichen, sind es in Brandenburg 56,7 Prozent und in Bremen sogar 62,5 Prozent. Auch je nach Art des Eingriffs finden sich deutliche Unterschiede. Bei Bauchspeicheldrüsen-OPs liegen 34 Prozent und bei Speiseröhren-OPs sogar 52,6 Prozent der Häuser unter den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestmengen. Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung: „Dass in Deutschland komplizierte OPs trotz fehlender Routine durchgeführt werden, darf nicht zum Klinikalltag gehören.“

Kliniken liefern unvollständige Qualitätsberichte

In der Datenanalyse kam auch ans Licht, dass ein Viertel der Kliniken, die Mindestmengen-Eingriffe durchführen, 2017 unvollständige Qualitätsberichte abgaben. Die Kliniken äußerten sich nicht dazu, ob sie die Mindestmengen erfüllt haben. Den Recherchen zufolge erreichte ein Großteil dieser Kliniken die gesetzlichen Vorgaben nicht. So hielten nur sechs von 112 Kliniken, die keine Angaben zur Einhaltung der Mindestmengen bei Speiseröhren-OPs machten, die vorgegebenen Fallzahlen ein. Bislang wird die fehlerhafte Dokumentation in den Qualitätsberichten auch nicht sanktioniert. Roland Rischer, Geschäftsführer der Weissen Liste:

„Patienten sollten grundsätzlich auf eine überdurchschnittlich hohe Fallzahl beim Krankenhaus der Wahl achten – so können sie problematische Kliniken umschiffen.“

Mindestmengen-Regelungen müssen durchgesetzt werden!

Damit die am 1.1.2018 in Kraft getretene Neufassung der Mindestmengen-Regeln tatsächlich dazu führt, dass schwierige Eingriffe nur in Kliniken mit entsprechender Erfahrung erfolgen, braucht es folgende Maßnahmen:

  • Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen (G-BA) sollte die Qualitätsberichte und Mindestmengen-Angaben der Krankenhäuser auf Vollständigkeit und Plausibilität prüfen.
  • Bei Nichteinhaltung von vorgegebenen Fallzahlen sollten Sanktionen erfolgen: Kliniken, die Mindestmengen nicht einhalten, dürfen von den Krankenkassen keine Vergütung für die erbrachten Eingriffe erhalten dürfen die Leistung künftig nicht mehr erbringen
  • Der G-BA sollte die derzeitigen Mindestmengen-Vorgaben erheblich erhöhen. In England und Finnland sind die Mindestmengen zum Teil fünf- bis zehnmal so hoch wie in Deutschland und gelten oft pro Arzt und nicht pro Klinik.
  • Der G-BA sollte Mindestmengen für weitere Eingriffe festlegen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses nachweislich von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist.

„Jeder, der in Deutschland operiert wird, sollte sicher und gut versorgt sein. Die Verschärfung der Mindestmengen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel“, so Mohn. „Für eine umfassend bessere Gesundheitsversorgung brauchen wir jedoch eine tiefgreifende Veränderung: eine Krankenhauslandschaft mit erfahreneren und spezialisierteren Kliniken“, so Mohn weiter. Was das für die Krankenhäuser in Deutschland und in einer Modellregion bedeutet, wird die Bertelsmann Stiftung Mitte Juli in einer weiteren Studie veröffentlichen.

Hintergrundinformation:
Die Bertelsmann Stiftung und das Science Media Center (SMC) sind unabhängige Partner mit dem gemeinsamen Ziel, Missstände in der Gesundheitsversorgung aufzuzeigen und ihnen auf den Grund zu gehen. Zwei Projekte wurden bislang gemeinsam realisiert: 2017 stand der Anstieg von Rückenoperationen im Fokus, 2018 die Zunahme von Knieprothesen-Operationen. In der aktuellen Analyse haben das SMC und die Weisse Liste der Bertelsmann Stiftung die aktuellsten von den Krankenhäusern selbst erhobenen strukturierten Qualitätsberichte (SQB) von 2017 hinsichtlich folgender sechs Mindestmengen-Bereiche analysiert:

• Einsatz von künstlichen Kniegelenken (50 Fälle/Jahr)
• Stammzellentransplantation (25 Fälle/Jahr)
• Nierentransplantation (25 Fälle/Jahr)
• Lebertransplantation (20 Fälle/Jahr)
• Komplexe Eingriffe an der Speiseröhre (10 Fälle/Jahr)
• Komplexe Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse (10 Fälle/Jahr)

Die Versorgung von Frühgeborenen (14 Fälle/Jahr) wurde in diese Analyse nicht einbezogen. Gesundheitsökonom Prof. Dr. Thomas Mansky und Versorgungsforscher Prof. Dr. Max Geraedts haben das Konzept der Auswertung wissenschaftlich geprüft.


>> Zur Originalpublikation
Weitere Informationen:

www.bertelsmann-stiftung.de; www.weisse-liste.de; www.sciencemediacenter.de

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