Österreichs neue Bundesregierung: Was ist zum Thema Pflege zu erwarten?

Der Berufsverband ÖGKV analysierte in einem ersten Ansatz, was auf die beruflich Pflegenden im aktuellen Regierungsprogramm zukommen könnte – und was nicht. Auch die Sozialreferent*innen der Bundesländer drängen auf eine rasche Fortsetzung des Reformprozesses.

Regierungsprogramm türkis-grün 2020-2024

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Nach der ersten Durchsicht des am 02. Januar 2020 präsentierten Regierungsprogramms fällt den ÖGKV-Expert*innen auf, dass das umfangreiche Handlungsspektrum der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe scheinbar kaum in seiner gesamten Dimension – insbesondere hinsichtlich der Nutzung fachpflegerischer Ressourcen im Bereich der Langzeitpflege – wahrgenommen wird.

Betreuende Angehörige haben mehrfach die Notwendigkeit von kompetenter pflegerischer Unterstützung artikuliert. In diesem Zusammenhang ist die beabsichtigte Einführung des Projektes „Community Nurse“ in 500 Gemeinden nicht auf den Präventions- und Beratungsbereich zu beschränken, gleiches gilt auch für die Einführung der „School Nurse“ – beides entspricht einer langjährigen Forderung des ÖGKV – wo es ebenso abzuwarten gilt wie sich die Fachkompetenz in der Berufspraxis wiederfindet.

ögkv-kl

Die formulierten Grundprinzipien im Kapitel Pflege, wie etwa wohnortnahe und dezentrale Angebote sowie eine Pflegepersonaloffensive sind jedoch nicht nur auf den Langzeitpflegebereich zu beschränken, sondern auch in der Akutversorgung umzusetzen, mahnt der Berufsverband. Dazu gehöre jedenfalls die Sicherstellung von medizinischer Routineversorgung chronisch kranker Kinder und Erwachsener, um tatsächliche Entlastungseffekte im Spitalsbereich zu erzielen. Die angestrebte bundesweite Ausrollung der Nationalen Demenzstrategie erfordere jedenfalls umfassende fachpflegerische Kompetenz.

Direktverrechnung mit Kassen weiterhin offen

Im Kapitel Gesundheit findet sich u.a. die Absicht, Pflegefachkräfte stärker in der gesundheitlichen Basisversorgung einzubinden – jedoch fehlt aus Sicht des ÖGKV nach wie vor die direkte Verrechnungsmöglichkeit von fachpflegerischen Leistungen mit den Krankenkassen (wie jetzt etwa in der Schweiz beschlossen) – eine wichtige Voraussetzung für das nachhaltige Gelingen der Primärversorgung.

Alle beabsichtigten Maßnahmen müssen auf die Verschränkung und Nutzung der Fachkompetenz aller Gesundheitsberufe abzielen. Die gesellschaftliche Positionierung der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe kommt auch durch entsprechende Rahmenbedingungen zum Ausdruck. Konkret bedeutet dies etwa eine Weiterentwicklung der Arbeitszeitmodelle, kompetenzorientierte Personalbedarfsplanung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zudem sind entsprechende Gehaltsschemata und die Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Sinne einer durchgängigen Bildungskarriere umzusetzen, so der Berufsverband in seinem ersten Resümee.

> Regierungsübereinkommen Türkis-Grün 2020-2024 (46 MB)

Auch Sozialreferent*innen der Bundesländer fordern Reformen ein

„Es ist höchst an der Zeit, den Pflegebereich nachhaltig abzusichern.  Bereits vor einem Jahr hat die damalige Bundesregierung verkündet, mit dem „Masterplan Pflege“ die notwendige Reform des Pflegesystems anzugehen. Bund, Länder, Gemeinden und Anbieter von Pflege­leistungen müssen sich jetzt so rasch wie möglich an einen Tisch setzen“, fordert die derzeitige Vorsitzende der Landes-Sozialreferent*innen, Landesrätin Birgit Gerstorfer (OÖ).

LR Gerstorfer

Es brauche endlich eine klare Linie des Bundes, was die künftige Finanzierung der Pflege (Pflegefonds) angeht.  Zudem müsse in den Ausbau von Tagesbetreuungsangeboten und Mobiler Dienste investiert werden. Demenz soll bei der Pflegeeinstufung mehr Berücksichtigung finden, die pflegenden Angehörigen müssten besser unterstützt und eine verpflichtende Qualitätskontrollen bei der häuslichen 24-Stunden-Betreuung eingeführt werden, skizziert Gerstorfer die Forderungen der Länder.

Positiv bewertet Gerstorfer das Bekenntnis der neuen Bundesregierung, sich um mehr Pflegepersonal zu bemühen: „Wir haben in Oberösterreich die Anzahl der Ausbildungsplätze nahezu verdoppelt, die Ausbildungen flexibilisiert und den Lehrgang „Junge Pflege“ etabliert.“ Durch diese Maßnahmen und dank der Österreich-weiten Wiedereinführung des „Fachkräftestipendiums“ hätten wieder mehr Personen eine Ausbildung begonnen. Jetzt gehe es darum, die Rahmenbedingungen für den Pflegeberuf weiter zu verbessern. „Es darf keine weitere wertvolle Zeit verstreichen. Wir brauchen endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept“, mahnt die Sozialreferentin.

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