Im Alter von 62 Jahren ist am vergangenen Freitag, 14. Feber, Prof. Dr. Wilfried Schnepp (Bild) – langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Familienorientierte und gemeindenahe Pflege – verstorben. Deutschlands Pflegewissenschaft trauert um einen über die Grenzen hinaus geschätzten Visionär und Kollegen.
Zunächst als Lehrbeauftragter, später als Lehrstuhlinhaber hat Wilfried Schnepp seit Gründung des Departments für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke (UW/H) die Entwicklung der Pflegewissenschaft vorangetrieben. Sein Lehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahe Pflege war der erste seiner Art in Deutschland. Wilfried Schnepp war ein Visionär.
Nach seiner Krankenpflegeausbildung im Jahr 1977 absolvierte er die zweijährige Fachweiterbildung Anästhesie- und Intensivpflege an der Katholischen sozialpflegerischen Fachschulen in Osnabrück und arbeitete auf einer operativen Intensivstation. Es folgte das Studium zum Pflegepädagogen an der FH Osnabrück und nachfolgend seine Tätigkeit als pflegerischer Leiter der Fachweiterbildung in der Intensivpflege an den Katholischen sozialpflegerischen Fachschulen in Osnabrück. Dem schloss sich eine Tätigkeit als Assistent der Pflegedienstleitung an, bevor er von 1989 bis 1994 die Leitung des Referates innerbetriebliche Fortbildung an der Paracelsus Klinik Osnabrück übernahm.
An der University of Wales und der Hogeschool van Utrecht studierte er von 1993 bis 1995 als Stipendiat der Robert Bosch Stiftung im Studiengang Master of Science in Nursing und erhielt den gleichnamigen akademischen Grad an der University of Wales im Jahr 1996.
Mitte der 90er Jahre startete Wilfried Schnepp seine akademische Laufbahn, zunächst als Dozent und Lehrkraft an der Katholischen Fachhochschule Norddeutschland und der Fachhochschule in Osnabrück. 1995 folgten erste Lehraufträge an der Universität Witten/Herdecke im damaligen Institut für Pflegewissenschaft. 1999 wurde Wilfried Schnepp zum Professor am Lehrstuhl für Sozialarbeit an der soziologischen Fakultät der Altai State University in Sibirien berufen. 2001 promovierte er an der Universität Utrecht in der Pflegewissenschaft zum Thema „Familiale Sorge in der Gruppe der russlanddeutschen Spätaussiedler – Funktion und Gestaltung“. Sein Promotionsthema enthielt zwei Kernthemen, die sowohl seine wissenschaftliche Karriere als auch sein Privatleben widerspiegeln: Familiale Sorge und andere Kulturen, hier die russlanddeutschen Spätaussiedler.
Ende der 90er Jahre übernahm Wilfried Schnepp bei EPOS Health Consultants die inhaltliche Leitung in Projekten zur pflegerischen Versorgung im Rahmen der humanitären Hilfe für die deutschen Minoritäten in Westsibirien, die im Auftrag des Bundesinnenministeriums von der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit durchgeführt wurden. In diesen Projekten haben zahlreiche Studierende der Pflegewissenschaft der UW/H vor Ort mitgearbeitet.
2005 wurde er von der Universität Witten/Herdecke auf den Lehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahe Pflege berufen, dessen Leitung er 2001 bereits kommissarisch übernommen hatte. Er hat an zahlreichen ausländischen Universitäten Gastvorträge gehalten, wie etwa in Gent, Utrecht, Wien, Barnaul, Novosibirsk und Haifa. 2013-2014 war er Universitätsprofessor für Pflegewissenschaft an der Universität Wien, 2012-2018 Gastwissenschaftler an der Hochschule Osnabrück. Seit 2005 leitete er das 1997 von Prof. Ruth Schröck gegründete Postgraduiertenkolleg und überführte es 2013 in ein international anerkanntes Promotionsprogramm PhD-Pflegewissenschaft an der UW/H, welches insgesamt mehr als 95 Absolvent*innen in 23 Jahren hervorbrachte. Allein 41 von ihnen übernahmen inzwischen europaweit Professuren an Hochschulen.
Seine Publikationsliste ist umfänglich, ebenso seine Forschungsprojekte. Er war darüber hinaus Initiator vieler Forschungsprojekte seiner Doktorandinnen und Doktoranden und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Weiterhin war er ein gefragter Experte auf wissenschaftlichen Tagungen – u.v.a. auch beim LAZARUS Pflegekongress 2016 in Bad Ischl (Oberösterreich) – und Berater für politische Entscheider und Gremien. In einer Zeit der Zuspitzung der pflegerischen Unterversorgung der Bevölkerung und der deutlichen Belastungszunahme für pflegende Angehörige trugen seine Beiträge zu wichtigen Handlungsempfehlungen für die Politik bei.
Familiale Sorge, gemeindenahe Pflege, Migration, Umgang mit chronischen Krankheiten und palliative Pflege waren seine Haupt- und Herzensthemen in Forschung und Lehre. Wilfried Schnepp hat im deutschsprachigen Raum als Erster das Phänomen der pflegenden Kinder thematisiert. Sein ethnographischer Zugang zu seiner Umwelt ermöglichte ihm, Dinge zu entdecken, die sich auf den ersten Blick nicht erschlossen. In seiner Promotion zu russlanddeutschen Spätaussiedlern nahm er Kinder und Jugendliche wahr, die selbstverständlich Pflegeaufgaben für ihre Großeltern übernahmen. Dies führte zu einer intensiven Forschungsarbeit an seinem Lehrstuhl, aus der später eine Professur Pflegewissenschaft mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendliche hervorging.
In einer jungen Wissenschaftsdisziplin wie der Pflegewissenschaft waren seine Kenntnisse und sein Netzwerk aus dem Ausland besonders hilfreich, um diese Disziplin an der UW/H zu etablieren. Durch seine außerordentliche Sprachbegabung war es ihm in den verschiedenen Kulturen möglich, Menschen offen zu begegnen.
Der frühe Tod von Wilfried Schnepp hinterlässt tiefe Trauer, aber auch einen enormen Nachlass an Wissen und Erkenntnis. Seine Pionierarbeit werde auch in Zukunft durch seine Grundsatz-Publikationen, durch seine vielen Studierenden, Doktorand*innen sowie Kolleginnen und Kollegen wichtige Wirkung entfalten, so das Department Pflegewissenschaft in einer Aussendung.