Überfüllte Gefängnisse verschärfen Fachkräftemangel: Pflegende in Österreichs Strafvollzug fordern Reformen

Justiz-Pflege 2020

Die Gefängnisse sind mit mehr als 9.000 Häftlingen überfüllt – und auch der Fachkräftemangel wird immer prekärer, analysiert eine führende Personalvertreterin und fordert zügige Reformen ein.

Sandra Gaupmann (kl. Bild u.), Bundesleitungsmitglied der Unabhängign Gewerkschaft UGöD und stv. Vorsitzende im Zentralausschuss der nichtexekutiven Bediensteten an Justizanstalten analysiert mit ihren Kolleg*innen die gegenwärtige Situation der Pflegebediensteten im Bereich des Strafvollzuges:

Woran liegt das? Natürlich einerseits an der Größe der einzelnen Berufsgruppen innerhalb des Strafvollzuges, denn der Fokus lag bisher eindeutig bei den Justizwachebeamt*innen, die zahlenmässig die grösste Berufsgruppe im Strafvollzug ausmachen. Das führt dazu, dass u.a. pflegerelevante Themen bzw. Forderungen offenbar nachrangig betrachtet wurden, obwohl die Pflege die zweitgrösste zivile Berufsgruppe darstellt.

Gefängnis

Zweit-Jobs bessern magere Gehälter auf

Mit welchen Problemen haben die Pflegenden zu kämpfen? Das Gehalt ist noch immer am veralteten K-Gehaltsschema orientiert, welches viele Bewerber*innen von vornherein abschreckt, sich beim Bund zu bewerben und bereits angestelltes Personal zu einem Arbeitsplatzwechsel anregt. Während man bei der Stadt Wien mittlerweile erkannt hat, dass es einen finanziellen Anreiz in Form eines höheren Grundgehalts geben muss (W-Gehaltsschema), hinkt der Bund noch deutlich hinterher. Einige Bedienstete verrichten Zweitjobs, um finanziell über die Runden zu kommen.

Bei der Personalbedarfsberechnung sind etwaige Fehlzeiten in Form von Krankenständen, Urlauben, Karenzen, etc. nicht miteinberechnet. In der Justizanstalt Josefstadt betreut beispielsweise ein*e Pflegebedienstete*r unverhältnismäßig viele Patienten, die auch oftmals psychiatrische Krankheitsbilder aufweisen bzw. als psychisch kranke Rechtsbrecher gelten. Üblicher und optimaler Weise betreut in einer psychiatrischen Einrichtung (ausserhalb des Bundes) eine Pflegeperson vier Patienten, dieser Schnitt ist im Bereich der Justiz nicht einmal ansatzweise zu erreichen. Im Nachtdienst ist die Personalausstattung noch dramatischer. Für einen Nachtdienst gibt es allerdings beim Bund keine zwei Gutstunden bezahlt, wie sonst üblich. Als Pflegebedienstete*r bekommt man für einen Nachtdienst mit 12,5 Stunden ca. 11 Euro pro Stunde vergütet.

 „Einige Bedienstete verrichten Zweitjobs,

um finanziell über die Runden zu kommen.”

Sandra Gaupmann (UGÖD)

Bedienstete des Bundes arbeiten 40 Stunden pro Woche. Personal, das über die Justizbetreuungsagentur angestellt ist, verdient bei einer 38 Stunden-Woche zwar mehr als bundesbedienstete Kolleg*innen, allerdings sind die Kolleg*innen der Justizbetreuungsagentur von Karriereschritten innerhalb der Justiz ausgeschlossen. Hier herrscht auf beiden Seiten Ungleichbehandlung, die schnell „repariert“ werden muss.

Fachkräftemangel immer dramatischer spürbar

Husch_Christian_selfie-2020„Die Krankenpflege beim Bund ist nicht mehr konkurrenzfähig“, diagnostiziert DGKP Christian Husch, BSc,MSc,MSc (re.), UGöD-Gewerkschafter und Ersatzmitglied im Zentralausschuss der Nichtexekutive, „man hat mit chronischen Personalengpässen zu kämpfen“. Erschwerend hinzu kämen die strengen Auswahlkriterien bei den ohnehin zahlenmässig geringen Bewerber*innen, da es sich um Arbeit in einem Gefängnis und somit um ein besonders gefährliches und unattraktives Arbeitsumfeld handle. Husch dazu: „Gerade hier müssen verstärkt Anreize geschaffen werden.“

Wie kann man die Probleme in der Pflege lösen?

  • Zum einen beispielsweise durch die Umstellung auf das W-Gehaltsschema (W2/10) inklusive aller Zulagen. Mitarbeiter*innen müssen für ihre Leistungen angemessen entlohnt werden.
  • Zum anderen durch die Gewährung der Psychiatriezulage, da es sich in der Forensik um einen psychiatrischen Spezialbereich handelt, in dem vorwiegend psychisch kranke Rechtsbrecher betreut werden
  • Zwei Nachtgutstunden pro geleistetem Nachtdienst, wie es bei anderen Institutionen längst üblich ist
  • Nachtdienstzulage in Höhe von mindestens 80 Euro netto
  • Berücksichtigung von Fehlzeiten bei der Personalbedarfsberechnung, um vorhersehbare Engpässe rechtzeitig kompensieren zu können
  • Adaptierung der Planstellenbewirtschaftung an die neu geschaffenen Berufsgruppen Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und gehobener Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege erscheint mehr als sinnvoll, da sich die Tätigkeitsfelder verändert haben
  • Adaptierung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich erscheint in Anbetracht der außergewöhnlichen körperlichen und psychischen Belastung der Pflegebediensteten mehr als gerechtfertigt.

Pflegebedarf nimmt zu

Portrait Sandra Gaupmann

Eine weitere Verschärfung des Fachkräftemangels sieht Sandra Gaupmann zudem darin, dass es aufgrund von immer weniger Entlassungen von Insassen und verstärkter Einweisung in den Massnahmenvollzug von psychisch kranken Rechtsbrechern zu einer „Veralterung der Inhaftierten“ im Strafvollzug kommt, was natürlich auch den Normalvollzug betrifft.

Es werden bereits jetzt und auch in Zukunft verstärkt Pflegekräfte nötig sein, um den erhöhten Pflegebedarf von älteren Menschen in Haft gewährleisten zu können. Eine entsprechend konzipierte Justizanstalt oder Unterbringung in einer beispielsweise „(Nachsorge)Einrichtung für ältere, besonders pflegeintensive Insass*innen“ sollte endlich angedacht und umgesetzt werden.

Fazit: Die Justizverwaltung wird sich diesen Herausforderungen jetzt – im Jahr der Pflegemdem  2020 – stellen müssen, fordern Gewerkschaft und Personalvertretung. Wie eine mögliche „Gegenfinanzierung“ der Verbesserungen für die Pflegenden durch sinnvolle Einsparung an anderer Stelle gelingen könnte, lesen Sie in unserem Beitrag hier.

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