Schweiz: Spitäler werben um Nicht-Corona-Patienten – zu viel brachliegende Kapazität und Kurzarbeit

Die Betten und Operationssäle vieler Spitäler sind leer wie noch nie. Nun fordern immer mehr Kliniken die Patienten dazu auf, sich endlich wieder behandeln zu lassen – und die Bundesregierung, das strikte Verbot von aufschiebbaren Operationen zu lockern.

Leerbetten Krankenhaus

 Wie das Branchenblatt ´MedInside´ berichtet, stehen beispielsweise In der auf orthopädische Operationen spezialisierten privaten Hirslanden-Klinik Birshof derzeit 8 von 10 Betten leer. Abgesehen von einigen Notfall-Op nach Unfällen sind das in der Regel aufschiebbare Eingriffe, die den Spitälern derzeit durch die Bundesregierung – wie auch in Deutschland und Österreich – verboten sind.

Weniger Bypässe und Krebsoperationen

Die Klinik Birshof ist nicht die einzige, die unter dem Corona-Ausnahmezustand leidet. „Insbesondere in den kleinen Kliniken, wo vorwiegend Wahloperationen durchgeführt werden, ist die Auslastung sehr tief“, sagt Hirslanden-Sprecher Claude Kaufmann. „Wir verzeichnen einen Rückgang von Bypass-Op und Tumor-Op“. Auch gebe es weniger Konsultationen von Patienten mit akuten Schmerzzuständen, so Kaufmann gegenüber ´MedInside´.

Kliniken hätten trotz Corona-Bereitschaft noch viel freie Kapazität

Die Kliniken hätten – trotz reservierter Corona-Kapazitäten – durchaus freie Ressourcen für geplante Operationen, bestätigt auch die zweitgrösste Privatklinik-Gruppe, Swiss Medical Network (SMN): «Wir haben noch Kapazitäten, und zwar in allen unseren Kliniken», sagt deren Sprecherin Zeynep Ersan Berdoz.

Während man bei Hirslanden vermutet, dass viele Patienten verunsichert sind, ob sie überhaupt eine Behandlung erhalten würden, oder sogar aus Angst vor einer Ansteckung nicht ins Spital möchten, ist man bei SMN überzeugt, dass die Patienten den Ärzten und Kliniken vertrauen und erwarten, dass sie angemessene Vorsichtsmassnahmen treffen. Das Problem sei vor allem das zu strikte Verbot der Wahloperationen durch die Bundesregierung, hier wird dringend eine Anpassung gefordert. Denn für den Fall eines Wiederaufflammens der Corona-Pandemie sei man bestens gerüstet, versichern die Kliniksprecher unisono.

Beide grossen Klinikbetreiber wollen so rasch wie möglich wieder auch solche Patienten behandeln, die nicht von der Pandemie betroffen sind. Es verstärkt sich täglich mehr die Sorge, dass sonst zu viele Patienten Eingriffe und Behandlungen aufschieben und Gefahr laufen, dass sich ihr Zustand verschlechtert oder bei einem zu spät erfolgten Eingriff Komplikationen auftreten, berichtet ´MedInside´.

Droht eine „Übersterblichkeit“ durch unbehandelte Herzinfarkte und Schlaganfälle?

Auch der Leiter der Kardiologie am Unispital Lausanne schlägt Alarm: Die Anzahl der Herzpatienten, die zu spät ins Spital kommen, habe sich in den letzten drei Wochen vervierfacht. In Spitälern in der Schweiz, in ganz Europa und auch weltweit ist die Zahl der Patient*innen mit Myokardinfarkt seit Beginn der Coronavirus-Epidemie sehr stark zurückgegangen. Auch am Unispital Lausanne ist die Anzahl der Herzinfarkte um ein Drittel gesunken, wie Kardiologie-Chefarzt Olivier Muller der Zeitung «24 heures» sagte. Immer mehr Herzpatient*innen kamen in den letzten drei Wochen „zu spät in die Klinik“. Die Zahl der Menschen, deren Herz bereits fast nicht mehr funktionierte, habe sich vervierfacht.

Herz-OPChefarzt Muller befürchtet deshalb nachträglich eine übermässige Sterblichkeit aufgrund von Myokardinfarkten. Dies scheinen die Kurven aus Italien in Bergamo bereits anzuzeigen, wie er der Zeitung erklärte. Auch in der Schweiz deuten erste offizielle Statistiken auf eine Tendenz zur sogenannten „Übersterblichkeit“ hin.

Ähnliche Beobachtungen machen derzeit auch die grossen Schweizer Spitäler für Schlaganfälle. Bei den sieben der zehn wichtigsten Zentren beträgt der durchschnittliche Rückgang seit den Lock-Down-Massnahmen 21.4 Prozent. Mehrere Spitäler, Ärzte und Fachgesellschaften haben deswegen die Bevölkerung dazu aufgerufen, auch in Corona-Zeiten Symptome ernst zu nehmen und unverzüglich ins Spital oder zum Arzt zu fahren.

image_pdfimage_print