Kuratorium Deutsche Altershilfe hinterfrägt kritisch im Zeichen von Corona: Ungefragter „Schutz“ und Zwangs-Kasernierung unserer Alten anstatt überlebenswichtiger sozialer Kontakte?

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Seit Monaten schreibt LAZARUS entschieden gegen die ungefragte, zwangsweise und pauschale Isolation von Millionen alter Menschen an. Scheinbar vergeblich. Doch jetzt veröffentlichte das renommierte KDA im Rahmen seiner Diskursreihe „radikal (neu) denken“ ein  höchst lesenswertes Statement von Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt: „Gefahren und Abwege der Sozialpolitik im Zeichen von Corona. Zur affirmativen Rezeption von Corona in Kultur, Geist und Seele der ‚Altenpolitik’“.
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Pflegeheime sollten Orte des alltäglichen Lebens und normalen Wohnens sein, de facto aber bestimmen mehr denn je Schutz und Sicherheit – als missvertändlich übertriebene Haftungsfrage – anstatt sozialer Kontakte die Wirklichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner. „Corona hat die Dichteform der Isolierung in gesteigerter Form auf die Spitze getrieben“, so Prof. Dr. Schulz-Nieswandt. „Die aktuelle Krise hält uns als Gesellschaft den Spiegel vor, dass die Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins mit den Dimensionen von Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Teilhabe nicht gelungen ist“.
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Die COVID-19-Pandemie bringt die Gesellschaft in einen fundamentalen Zielkonflikt. Einerseits gilt die Sorge explizit dem Schutz vulnerabler Gruppen und insbesondere dem hohen Alter. Andererseits werden Menschen im hohen Alter in den Pflegeheimen verstärkt dem „sozialen Tod“ infolge von sozialen Ausgrenzungen ausgesetzt. Die Vermeidung des biologischen Todes wird teuer erkauft mit dem sozialen Tod.

Die pauschale Stigmatisierung der Schutzbedürftigkeit der „Alten“ kappt die gerade erst im langsamen und widerspruchsvollen Wachstum befindliche Sozialraumöffnung der Heime.

Wollen unsere Alten tatsächlich als Gesamtheit, also undifferenziert nach individuellem Risiko und zwangsweise „geschützt“ werden? Das Grundrecht des alten Menschen auf Selbstgefährdung als Ausdruck der Selbstbestimmung mit Blick auf das ebenso grundrechtlich kodifizierte Teilhaberecht wird massiv verletzt. Die Mehrheitsbevölkerung erlebt noch einen öffentlichen Außenraum ihres privat-häuslichen Innenraums – die Lebenswelt der Pflegeheime ist dagegen eine extreme Form der Ausgrenzung. Auch ohne Corona-Virus ist die Atmosphäre in Heimen an dem Vorbild von klinischen Hygieneverordnungen von Akutkrankenhäusern orientiert. Dies, gepaart mit den Corona-Hygienemaßnahmen, wirkte sich nun in einer eskalierenden Form der Kasernierung aus. Das Risikomanagement von Corona läuft nicht wie im Fall des normalen Alltags der nachbarschaftlich und infrastrukturell vernetzten privaten Häuslichkeiten und gemeinschaftlichen Formen privaten Wohnens ab.
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Als Frage rückt in das Zentrum der kritischen Diagnostik des Heimlebens:

In welcher Lebensqualität würden die Menschen das Corona-Virus bewältigen oder auch daran sterben, wenn dies in lokalen Caring Communities statt in der Dichte des Heimlebens geschehen würde? Und: Hat die Gesellschaft den expliziten oder mutmaßlichen Willen der Bewohner*innen befragt?

Die Schuld der Gesellschaftspolitik –und damit aller Bürgerinnen und Bürger –liegt in der über lange Zeit nicht wirklich gewollten Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins. Corona hat die Dichteform der Kasernierung nur noch auf die Spitze getrieben und uns damit einen Spiegel vorgehalten. Denn die Gesellschaft ist in Bezug auf die Würde des älteren und alten Menschen nicht gut aufgestellt. „Die Krise erinnert an den Traum einer Weltgemeinschaft der gegenseitigen Hilfe“, führt Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt, Vorstandsvorsitzender des KDA aus.Und weiter: „Der sozialen Wirklichkeit der Pflegelandschaft im Alter ist ein anderer Geist einzuhauchen, damit ihre kranke Seele gesundet“.

 

Das Statement (s. unten) ist eine kritische und komplexe Analyse zur Situation in Einrichtungen der Pflege in Zeiten der Corona-Krise. Es knüpft an die Forderungen des KDA an, Pflegepolitik gesellschaftspolitisch radikal neu zu denken. „Das Kuratorium Deutsche Altershilfe wird sich auch weiterhin in radikal denkender Weise in die Gestaltung der Sozialpolitik als Teil der Gesellschaftspolitik einbringen“, kündigt der geschäftsführende Vorstand des KDA, Helmut Kneppe an.

Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt_KDA-Vorsitzender_05-2020

>> zum Statement von Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt

 

Informationen zum KDA

Seit 1962 gestaltet das KDA die Gesellschaft des langen und selbstbestimmten Lebens aktiv mit und stärkt durch seine Arbeit das wertschätzende Zusammenleben der Menschen jeden Alters. Als Ideengeber und Vorreiter für innovative Lösungsansätze leistet das KDA wertvolle Dienste für das Gemeinwesen. Der demografische Wandel wird dabei ausdrücklich als Chance verstanden. Das KDA ist in diesem Sinne sowohl Dienstleister als auch Ratgeber für öffentliche und private Einrichtungen sowie für die Politik und Verwaltung auf allen Ebenen. Dies gilt bundesweit wie auch im europäischen Austausch. Internationale Impulse werden aufgenommen.

Das KDA versteht seine Arbeit als Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis und sorgt maßgeblich für den Transfer und die Umsetzung neuer Erkenntnisse. Anliegen werden im lebendigen Dialog und in einem engagierten Diskurs mit Entscheider*innen bearbeitet. Vor diesem Hintergrund ist das KDA Vordenker, Ideenentwickler und Leistungsträger. Schirmherr des KDA ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Weitere Informationen: www.kda.de

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