Hamburger Klinik-Chef: In der Corona-Krise wurde unser größtes Problem übersehen

In der Corona-Debatte wurden zu wenige Beatmungsgeräte, überfüllte Intensivstationen und fehlende Betten in Krankenhäusern befürchtet. Der Hamburger Klinik-Chef Hermann Reichenspurner dagegen zeigt auf: Ein Kernelement werde in der ganzen Debatte völlig außer Acht gelassen – der Fachkräftemangel in der Pflege.

Das Coronavirus hat das deutsche Gesundheitssystem vor eine noch nie dagewesene Bewährungsprobe gestellt. Mit den in die Höhe schnellenden Infektionszahlen stieg auch die Angst: Von fehlenden Beatmungsgeräten, ausgeschöpften Kapazitäten in Kliniken und kollabierenden Intensivstationen war oft die Rede. Doch wenn es nach Hermann Reichenspurner, Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Uk Hamburg-Eppendorf, geht, ist das im Zuge der Coronakrise tatsächliche Problem kaum thematisiert worden – obwohl dies schon vor der Pandemie hinlänglich bekannt gewesen war.

Hamburger Klinik-Chef über Corona: „Wichtigere Frage nach ausreichend Pflegekapazitäten wurden sehr selten gestellt.“

Für ihn war das ein frappierender Fehler: Schließlich seien die Krankenhäuser auf dem Höhepunkt der Pandemie gezwungen gewesen, alle zur Verfügung stehenden Pflegekräfte, vom OP bis zum Herzkatheter-Labor, zu mobilisieren.

Allein vor diesem Hintergrund sei deutlich geworden, dass es nicht nur um die reine Betten-Kapazität, sondern auch um die Anzahl der Pflegekräfte geht, die die Patienten in ebenjenen Betten betreuen. „Wir haben schon zu normalen Zeiten Engpässe. Mit unserem Intensivpflegepersonal allein hätten wir schon die erste Welle nicht bewältigen können“, sagte der Klinik-Chef gegenüber dem `Spiegel´.

Intensivpflege_Corona_(c)Kästle_dpa

Denn die Pflege von Covid-19-Patienten wäre extrem aufwendig: „Man trägt eine Schutzkleidung, eine FFP2-Maske, die ziemlich furchtbar zu tragen ist, davor noch ein Plexiglasvisier. Und mit dieser Montur muss körperliche Schwerstarbeit geleistet werden“, schildert Reichenspurner. Dass die harte Arbeit der Pflegekräfte auch nach der Pandemie bis auf ein paar Runden Applaus kaum Anerkennung fand, ist für den Klinik-Chef untragbar. Deswegen setzt er sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte ein. „Denn sonst haben wir das Problem, dass wir in naher Zukunft einfach keine Pflege mehr haben in dem Maße, wie wir sie brauchen“, sagte Reichenspurner dem `Spiegel`.

„Ohne Pflegekräfte wären wir Ärzte machtlos“

Allein deswegen plädiert der Klinik-Chef für mehr Wertschätzung – in emotionaler und materieller Hinsicht. Schließlich haben die Pflegekräfte mit ihrer unvorstellbar harten Arbeit das Gesundheitssystem vor einem möglichen Kollaps bewahrt – und die Zahl der Corona-Toten in Deutschland im internationalen Vergleich auf einem Rekord-Tief gehalten. „Das ist ein Beruf, ohne den wir völlig machtlos wären“, sagt der Chef der Herz-Klinik. „Sie können weder als Arzt auf Station noch im OP noch auf einer Intensivstation irgendwas ausrichten ohne die Pflege.“ (Quelle: focus.de , Foto: Kästle/dpa)

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