Corona-Impfstart in Europa: Wird das Pflegepersonal seiner ethischen Vorbildrolle gerecht?

In mehreren EU-Staaten sind die ersten Impfstofflieferungen eingetroffen. Die Pensionistin Theresia Hofer (84, Bild) wurde als erste Österreicherin am Sonntag, 27. Dezember 2020 gegen das Covid-19-Virus durch Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, Vorsitzende der Impfkommission, unter großer medialer Aufmerksamkeit geimpft.

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Foto: APA/Hans Punz

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Die ersten Chargen des von der EU zugelassenen und im Bevölkerungsschlüssel auf alle 27 Mitgliedsstaaten fair verteilten Corona-Vakzins (BioNTech/Pfizer) ermöglichten jetzt den Startschuss. Weitere große Lieferungen in den nächsten Tagen und Wochen folgen. Priorisiert werden alte Menschen 80+ sowie Heimbewohner*innen und das medizinische und Pflegepersonal, sodann Hochrisikopersonen mit Vorerkrankungen und weitere systemrelevante Berufsgruppen wie Lehrer*innen, Kindergärtner*innen usw. Sobald etwa ab April 2021 genügend Impfstoff – auch durch weitere Zulassungen (wie z.B. Moderna, Astra-Zeneca,…) – zur Verfügung steht, kann jede(r) weitere Impfwillige einen Impfschutz erhalten.

Schlüsselrolle für Ärzte und Pflegekräfte

Ob es bis zum Jahresende 2021 gelingen wird, die Impfkapazitäten flächendeckend hochzufahren und einen Großteil der Bevölkerung in den EU-Staaten und der Schweiz zwei Mal durchzuimpfen, hängt ganz entscheidend davon ab, ob Ärzte und Pflegekräfte ihre evidenzbasierten Beratungsaufgaben engagiert wahrnehmen sowie ihre persönliche Vorbildwirkung auf die verunsicherte Bevölkerung entfalten? Diese vertrauensbildende Eigenimpfung des Gesundheitspersonals hätte einen enormen „Multiplikator-Effekt“ zur Folge und könnte die Covid-19-Pandemie tatsächlich Europa- und weltweit binnen eines Jahres beenden.

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Doch derzeit sieht es keineswegs so aus: Umfragen und Medienberichten zufolge ist nur etwa jede fünfte Pflegeperson derzeit bereit, sich freiwillig impfen zu lassen. Verfolgt man die teilweise sehr emotional geführten Debatten etwa auf Facebook, wird rasch deutlich, dass

  • oftmals evidenzbasiertes Basiswissen in der Berufsgruppe schlichtweg fehlt – trotz seriöser Info-Seiten der Pflegeberufsverbände, des namhaften Robert-Koch-Instituts und weiterer unabhängiger Quellen, und
  •  das fehlende Wissen durch diffuse Ängste und/oder teilweise aggressive Emotionen gegenüber Andersdenkenden ersetzt wird. Eben das ist höchst unprofessionell, aber auch ethisch bedenklich und könnte dem Image der gesamten Berufsgruppe sehr nachhaltig schaden.
  • Ethik-Kodex-für-Pflegende_ICN_Fassung-2010
  •  Ob den (künftigen) Covid-19-Patient*innen mit einer persönlichen Impfverweigerung des Gesundheitspersonals gedient ist, muss wohl jeder Arzt und jede Berufspflegeperson mit sich selbst klarmachen – denn eine Impfpflicht gibt es (zu Recht) nicht. Wohl aber gibt es den internationalen > „Ethik-Kodex für Pflegende“ als Grundlage und Orientierungshilfe für pflegerisches Handeln!
  •  Alternativ müsste allerdings „im überwiegenden öffentlichen Interesse“ eine regelmässige Testung von nicht geimpften Mitarbeiter*innen von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen für das gesamte Kalenderjahr 2021 gefordert werden. Dies wäre eine normale Dienstpflicht – um anvertrauten Klienten, Patienten und Bewohnern nicht zu schaden – und mit einfacher Anweisung des Dienstgebers ohne Änderung des geltenden Arbeitsrechts umsetzbar.

Nicht Corona-geimpftes Personal sollte bis Ende 2021 per Dienstanweisung der Arbeitgeber regelmäßig zweimal wöchentlich verpflichtend getestet werden, um anvertraute Klienten, Patienten und Bewohner*innen proaktiv zu schützen.

Arme Länder nicht vergessen – sonst droht Bumerang-Effekt

Wohlhabende Staaten in Europa und Übersee haben sich durch entsprechende Vorverträge bereits hunderte Millionen Dosen der neuen Covid-19-Impfstoffe gesichert. Es ist jedoch keineswegs nur ein Akt der internationalen Solidarität, darauf zu achten, dass auch betroffene ärmere Länder ausreichend Impfstoffe zeitnah erhalten und auch finanzieren können. Gelingt dieser weltweite Schulterschluss allerdings nicht, so wäre eine Ausrottung des Covid-19-Virus auf längere Sicht unmöglich und die Pandemie könnte erneut aufflammen. Wie ein Bumerang könnte diese in bereits Corona-freie Länder zurückkehren – die präventive Hilfe ist also neben dem humanitären Aspekt auch weitsichtiger Selbstschutz.

WHO warnt: Klimaschutz verstärken – sonst drohen weitere Pandemien

Im Zusammenhang mit den immer deutlicher zutage tretenden Klimaveränderungen werde es künftig häufiger Pandemien wie die gegenwärtige Covid-19-Krise geben, warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich und mahnte ein rascheres und konsequenteres Vorgehen aller Staaten beim umfassenden Klimaschutz an.

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