Österreichs pflegende Angehörige: Pflegegeld ist KEIN Einkommen!

2019 wurde das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes beschlossen. Nach und nach legen nun die Bundesländer ihre jeweiligen Ausführungsgesetze vor. Darin wird teilweise das Pflegegeld fälschlich als „Einkommen“ gewertet und die Sozialhilfe entsprechend gekürzt. Die negativen Konsequenzen treffen armutsbetroffene Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf sowie  ihre Familien mit voller Wucht.

Einige Bundesländer werten etwa das Pflegegeld von Betroffenen jetzt – offenkundig gesetzwidrig (siehe § 7 Abs. 5 SH-GG 2019 des Bundes, >Abb. u.) als Einkünfte der pflegenden Angehörigen. Damit reduziert sich das Haushaltseinkommen der Familien dramatisch. Pflege und Betreuung zuhause wird sich bei vielen nicht mehr ausgehen. >>VertretungsNetz kritisiert diese neuen Sozialhilfe-Regelungen: Pflegende Angehörige werden für ihr Engagement regelrecht abgestraft.

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Leere Taschen

Nach Ober- und Niederösterreich sind nun im Jänner 2021 die Ausführungsgesetze in Kärnten und Salzburg in Kraft getreten, Vorarlberg folgt im April. In der Steiermark war das Ausführungsgesetz schon in der Begutachtung, ein Beschluss steht hier ebenso wie in den übrigen drei Bundesländern derzeit noch aus.

Wohnen beispielsweise Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen oder psychischen Erkrankungen mit ihren Angehörigen zusammen, wird das Einkommen der Angehörigen herangezogen, um einen Sozialhilfeanspruchs zu berechnen. Zahlungen für den Wohnbedarf entfallen ganz. Doch damit nicht genug: „Die meisten Länder werten mit den neuen Gesetzen das Pflegegeld als Einkommen der pflegenden Angehörigen. Das wiederum reduziert das Haushaltseinkommen dramatisch“, erklärt Mag. Norbert Krammer, Bereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz.

Werden Betroffene vom unleistbaren Zuhause in die „kostenlosen“ Heime gedrängt?

Während NÖ und Kärnten den Spielraum bei den Ausführungsgesetzen nutzen, gelten in drei Bundesländern – OÖ, Salzburg und Vorarlberg – strengere Regeln als im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes vorgegeben. Damit wird weder auf die finanzielle Bedürftigkeit noch auf die tatsächlichen Kosten der Pflege Bedacht genommen. Pflegebedürftige Menschen mit einem Mindesteinkommen werden so von der Möglichkeit, Pflege und Betreuung zu Hause in Anspruch zu nehmen, systematisch ausgeschlossen.

  • Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes wurde umgesetzt: in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Vorarlberg (ab 01.04.2021). Noch offen: Steiermark, Wien, Burgenland, Tirol.
  • Anrechnung vom Pflegegeld als Einkommen der pflegenden Angehörigen mit Verweis auf SH-GG: in Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg und Steiermark (Anrechnung geplant)
  • Keine Anrechnung im Landesgesetz: Niederösterreich und Kärnten
  • Keine Anrechnung im geplanten Landesgesetz: Wien, Burgenland, Tirol.

geldsparen

Ein Beispiel aus der Praxis
Johann Maurer (Name geändert) ist pflegebedürftig (Pflegestufe 5) und bezieht eine Mindestpension von 950 Euro im Monat. Seine Lebensgefährtin ist rund um die Uhr für ihn da. Im Sozialhilfegesetz wird zwar anerkannt, dass sie aufgrund der umfassenden Pflegetätigkeit nicht arbeiten kann, Geld bekommt sie trotzdem keines. Denn das Pflegegeld von monatlich 951 Euro wird als Einkommen der Lebensgefährtin gewertet, obwohl dieser Betrag laut Pflegegeldgesetz als Zuschuss gedacht ist, um die erhöhten Pflegeaufwendungen für Herrn Maurer abzudecken. Ohne diese Anrechnung würde dem Paar 550 Euro mehr im Monat zur Verfügung stehen.

Die psychisch und physisch so belastende Arbeit von pflegenden Angehörigen wird auf diese Weise entwertet. „Sie zahlen für ihr Engagement auch noch drauf“, kritisiert Norbert Krammer. Mit der Anrechnung des Pflegegelds als Einkommen wirkt das Ziel der Pflegereform, die betroffenen Familien zu entlasten, geradezu utopisch. „Wertschätzung für pflegende Angehörige heißt auch finanzielle Unterstützung“, zeigt sich Krammer überzeugt.

Vertretungsnetz fordert dringende Klarstellung des Bundes

Besonders tragisch: Mit solchen gesetzlichen Regelungen wird selbstbestimmtes Leben und Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigungen geradezu verhindert. „Nicht wenige Familien werden unter zusätzlichen finanziellen Druck geraten und sich einen Umzug der pflegebedürftigen Person in ein Pflegeheim überlegen“, vermutet Krammer. Dabei sieht das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich die freie Wahl des Wohnortes und damit auch das Beibehalten des bisherigen Wohnumfeldes vor. Von der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Österreich damit leider wieder ein Stück weiter entfernt.

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