Österreichs „Arzneipflanze 2021“: Mariendistel – stark für die Leber, hilfreich gegen Vergiftung, Diabetes und Krebs

Wussten Sie, dass die Mariendistel in Österreich zu medizinischen Zwecken tonnenweise angebaut wird? Was viele von uns für Unkraut halten, ist ein kostbarer Wirkstofflieferant, dessen vielfältige Naturkraft jetzt zu Recht als „Arzneipflanze des Jahres 2021“ gewürdigt wird.
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Die Herbal Medicinal Products Platform Austria (HMPPA) – bestehend aus Expert*innen der pharmazeutischen Institute der Universitäten Graz, Innsbruck und Wien – kürt jährlich nach strengen Auswahlkriterien die Arzneipflanze des Jahres in Österreich. Für 2021 fiel die Wahl auf die Mariendistel (Silybum marianum [L.] Gaertn.). Wissenschaftliche Studien belegen u.a. die leberschützenden Effekte des Wirkstoffkomplexes Silymarin (1).
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Mariendistel – Botanik und Rohstoffproduktion
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„Die im mediterranen Raum und Vorderen Orient beheimatete Mariendistel ist ein krautiger, bis über zwei Meter hoher, in Mitteleuropa meist nicht winterharter Vertreter der Korbblütler“, erläutert em. o. Univ.-Prof. Dr. Chlodwig Franz (Abt. Funktionelle Pflanzenstoffe, Vetmeduni Wien). Die Pflanze besitzt eine Pfahlwurzel und charakteristisch weiß marmorierte, dornig bewehrte Laubblätter (2). Auch die Hüllblätter der Blütenköpfe enden in Dornen. Die etwa 200 Röhrenblüten pro Blütenkorb sind purpurrot bis violett, selten weiß und bilden je eine dunkelbraun glänzende, weizenkorngrosse Frucht (Achäne) aus, die mit einem Pappus als Flugorgan zur Samenverbreitung (ähnlich dem Löwenzahn) versehen ist. Die braunen Früchte enthalten in ihrer Schale den als „Lebermittel“ bekannten Wirkstoffkomplex Silymarin.
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Als Arzneipflanze ist die Mariendistel schon seit dem Altertum bekannt. Seit dem 19. Jhd. konzentriert sich die medizinische Verwendung auf Zubereitungen der „Samen“ (Früchte) bei Leber- und Galleleiden (Madaus 1938), was schließlich zur systematischen Inkulturnahme der Mariendistel und ihrer züchterischen Bearbeitung führte. DI Rudolf Marchart, Österreichischer Verband für Arznei- und Gewürzpflanzenbau, St. Pölten: „In Österreich stellt Mariendistel eine der drei wichtigsten großflächig kultivierten Arzneipflanzen dar, die Anbaugebiete liegen in Niederösterreich – vor allem im Waldviertel, teilweise im Weinviertel. Hier befindet sich auch ein international viel beachtetes Kompetenzzentrum zur Mariendistelverarbeitung für die nachfolgende Silymaringewinnung im Umfang von 3.500 bis 4.000 Tonnen Körnerdroge als durchschnittliche Jahresproduktion.
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Wirkung auf den menschlichen Organismus
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„Die Inhaltsstoffe der Früchte der Mariendistel sind schon sehr gut untersucht (2,3)“, erläutert Univ.-Prof. Dr.Dr.h.c. Rudolf Bauer (Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, Universität Graz). Für die Wirksamkeit ist das in der Fruchtwand lokalisierte Gemisch an Flavonolignanen (‚Silymarin‘) von besonderer Bedeutung.“ Es setzt sich aus Silibinin, Isosilibinin, Silychristin und Silydianin zusammen. Ausserdem sind Flavonoide, fettes Öl und Phytosterole enthalten (2,3). Das Europäische Arzneibuch fordert für Mariendistelfrüchte einen Gehalt von mindestens 1,5 % Silymarin, berechnet als Silibinin. Für einen eingestellten gereinigten Mariendistelfrüchtetrockenextrakt wird ein Gehalt von 30 bis 65 % Silymarin gefordert. Für die Behandlung der Knollenblätterpilz-Vergiftung wird das gereinigte Hemisuccinatdinatriumsalz des Silibinins verwendet.
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Silymarin besitzt eine leberschützende Wirkung (4). Silibinin interagiert mit spezifischen Leber-Transportproteinen, wodurch Giftstoffe wie α-Amanitin und Phallaoidin nicht mehr in die Zelle eindringen können (5). Es konnten auch antioxidative und antiinflammatorische Effekte nachgewiesen werden. Silymarin kann sowohl die DNA- als auch die Lipid- und Proteinoxidation unterbinden und damit Zellschäden verhindern (6).
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Ausserdem fördert Silymarin über eine Stimulierung der Polymerase I die Zellregeneration, wodurch sich die geschädigte Leber schneller erholen kann. Über eine Hemmung der RNA Polymerase verhindert Silibinin laut in vitro Daten auch die Replikation des Hepatitis-C-Virus (7,8). Tierversuche zeigten, dass Silymarin auch den Zuckerstoffwechsel positiv beeinflusst und cholesterinsenkend wirkt (9). Somit könnte es auch für die Behandlung des metabolischen Syndroms Bedeutung haben.
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Neueste Untersuchungen ergaben, dass Silibinin den programmierten Zelltod (Apoptose) von Krebszellen induziert (10-13). Daraus könnten sich in der Zukunft auch neue Anwendungen im Bereich der Krebstherapie ergeben.
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Anwendungsbereiche

In der täglichen naturheilkundlichen Praxis findet die Mariendistel bei Leberkrankungen (14,15), insbesondere bei den Lebensstil-bedingten Fettlebererkrankungen (NAFLD) Anwendung (16). Die Prävalenz der NAFLD liegt in der Normalbevölkerung bei 14 bis 27 %. „Daneben werden Patienten mit chronischer viraler Hepatitis – Hepatitis B und C – und Chemotherapie-induzierter Hepatitis (17) behandelt“, so Dr. med. Annette Jänsch, Fachärztin für Innere Medizin Naturheilkunde (Immanuel Krankenhaus Berlin-Wannsee). Einige Studien zeigen auch eine schnellere Abheilung einer akuten Hepatitis A unter Mariendisteltherapie (18).

Bei der nichtalkoholischen Fettleber (NAFL) verbessert Mariendistel signifikant die Transaminasenaktivität und die Aktivität der Gamma-GT. Neben der Verbesserung der Laborparameter sind die Patienten weniger müde, leistungsfähiger und weisen eine bessere Schlafqualität auf (16).

In Studien ist die Wirksamkeit standardisierter Mariendistel-Extrakte bei Leberschäden gut dokumentiert. „Daher kann diese Arzneipflanze bei NAFL (16), Chemotherapie-bedingter Hepatotoxizität (17), chronischer Hepatitis (19) und bei Amatoxin-bedingter Pilzvergiftung (5,20) als ideales Therapeutikum empfohlen werden“, resümiert Dr. Jänsch.

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Foto: HMPPA/Manfred Richter
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Interdisziplinäres Kompetenzzentrum HMPPA
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Die HMPPA ist ein einzigartiges Netzwerk, das seit seiner Gründung Ende 2006 mit höchster Kompetenz daran arbeitet, Naturstoffe und pflanzliche Arzneistoffe zu entwickeln. „Diese Erkenntnisse sollen gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft zum Wohle der Patienten nach modernsten wissenschaftlichen Standards umgesetzt werden“, betont Univ.-Prof. Dr. Hermann Stuppner, Präsident der HMPPA, Institut für Pharmazie/Pharmakognosie, Universität Innsbruck. Die erklärten Tätigkeitsfelder der HMPPA sind die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung sowie deren Umsetzung in der pharmazeutischen Industrie sowie die Aus- und Weiterbildung im Bereich pflanzlicher Arzneimittel.
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Literatur:

(1)          Vargas-Mendoza et al.: Hepatoprotective effect of silymarin. World J Hepatol 2014;27;6(3):144-149.

(2)          Blaschek W. (Hrsg.) (2016): Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka. Ein Handbuch für die Praxis. 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart.

(3)          Abenavoli L, Izzo AA et al.: Milk thistle (Silybum marianum): A concise overview on its chemistry, pharmacological, and nutraceutical uses in liver diseases. Phytother Res. 2018;32(11):2202-2213.

(4)          Vargas-Mendoza et al.: Hepatoprotective effect of silymarin. World J Hepatol 2014;27; 6(3):144-149.

(5)          Münter et al.: Characterization of a transporting system in rat hepatocytes. Studies with competitive and non-competitive inhibitors of phalloidin transport. Biochim Biophys Acta 1986;860: 91-98.

(6)          Serce et al.: Assessment of the Antioxidant Activity of Silybum marianum Seed Extract and Its Protective Effect against DNA Oxidation, Protein Damage and Lipid Peroxidation. Food Technol. Biotechnol. 2016;54(4): 455-461.

(7)          Ahmed-Belkacem et al.: Silibinin and related compounds are direct inhibitors of hepatitis C virus RNA-dependent RNA polymerase. Gastroenterology. 2010;138:1112-1122.

(8)          Ripoli M, Angelico R et al.: Phytoliposome-Based Silibinin Delivery System as a Promising Strategy to Prevent Hepatitis C Virus Infection. J Biomed Nanotechnol. 2016;12(4):770-780.

(9)          Kheiripour N, Karimi J, Khodadadi I et al.: Silymarin prevents lipid accumulation in the liver of rats with type 2 diabetes via sirtuin1 and SREBP-1c. J Basic Clin Physiol Pharmacol. 2018;29(3):301-308.

(10)        Binienda A, Ziolkowska S, Pluciennik E: The Anticancer Properties of Silibinin: Its Molecular Mechanism and Therapeutic Effect in Breast Cancer. Anticancer Agents Med Chem. 2020;20(15):1787-1796.

(11)        Yu Y, Li LF et al.: Silibinin induced apoptosis of human epidermal cancer A431 cells by promoting mitochondrial NOS. Free Radic Res. 2019;53(7):714-726.

(12)        Si L, Liu W et al.: Silibinin-induced apoptosis of breast cancer cells involves mitochondrial impairment. Arch Biochem Biophys. 2019;671:42-51.

(13)        Jahanafrooz Z, Motamed N et al.: Silibinin to improve cancer therapeutic, as an apoptotic inducer, autophagy modulator, cell cycle inhibitor, and microRNAs regulator. Life Sci. 2018;213:236-247.

(14)        Wellington K, Jarvis B: Silymarin;a review of its clinical properties in the management of hepatic disorders. Bio Drug 2001;15:465-489.

(15)        Iten F et al.: Silymarin in der Behandlung von Lebererkrankungen. Phytotherapie 2003;3:18-24.

(16)        Butorova LI et al.: Potential for the use of Legalon in non-alcoholic fatty liver disease. Eksp and Klin Gastroenterol 2010;3:85-91.

(17)        Ladas EJ et al.: A randomized, controlled, double-blind, pilot study of milk thistle for the treatment of hepatotoxicity in childhood acute lymphoblastic leukemia (ALL).Cancer 2010;116:506-513.

(18)        El- Kamary SS et al.: A randomized controlled trial to assess the safety and efficacy of silymarin on symptoms, signs and biomarkers of acute hepatitis. Phytomedicine 2009;16:391-400.

(19)        Kalantari H et al.: Effects of silybum marianum on patients with chronic hepatitis.J Res Med Sci 2011;16:287-290.

(20)        Mengs U et al.: Legalon® SIL: the antidote of choice in patients with acute hepatotoxicity from amatoxin poisoning. Curr Pharm Biotechnol

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