Neue Vorschläge aus Bayern: Kommt jetzt Bewegung in Deutschlands Pflegereform?

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Bayerns neuer Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek hat jetzt in München die Eckpunkte für eine zukunftsfeste Pflegereform vorgelegt:

„Die Pflege ist unabhängig von der Corona-Pandemie die große gesellschaftliche Herausforderung der kommenden Jahre. Wir brauchen sowohl mehr gut qualifiziertes Personal als auch Versorgungsformen, die besser auf die Menschen zugeschnitten sind“, so der Minister. Das Ganze müsse zudem finanzierbar sein. Eine wirksame Reform müsse daher an verschiedenen Stellen gleichzeitig ansetzen.

Die Eckpunkte des bayrischen Reformplans:

I. Pflegebedürftige unterstützen

Die Pflegeversicherung muss als substanzieller Beitrag zur Absicherung des finanziellen Risikos spürbarer werden, das eine Pflegebedürftigkeit mit sich bringen kann. „Die Menschen wollen bei Pflegebedürftigkeit nicht zum Sozialfall werden oder ihren Angehörigen zur Last fallen“, so der Minister. Künftige Generationen dürfen nicht übermäßig belastet werden. Holetschek fordert deshalb ein Drei-Säulen-Modell mit pflegerischer Vollkostenversicherung:

  • Es soll künftig drei Budgets geben, die in der Höhe gestaffelt nach Pflegegrad entweder für qualitätsgesicherte Leistungen (z. B. ambulante, stationäre, teilstationäre Versorgung), für geregelte Leistungen (z. B. Angebote zur Unterstützung im Alltag) oder für unreglementierte Leistungen (informelle Pflege, z. B. Unterstützung durch An- und Zugehörige) in Anspruch genommen werden können. Damit würden die Leistungen flexibler und einfacher handhabbar.
  • Die Kosten der Behandlungspflege (z. B. ärztlich verordnete Tätigkeiten, Medikamentengabe, Verbandswechsel, Blutdruckkontrolle) soll unabhängig von der Versorgungsform die Pflegeversicherung in voller Höhe übernehmen. Holetschek dazu: „Damit werden die Pflegebedürftigen entlastet, Bürokratie agebaut und die pflegerische Versorgung gestärkt“. Gleichzeitig werde diese Leistung so dem Teilleistungsprinzip der Pflegeversicherung und dem Wettbewerbsprinzip der Krankenversicherung entzogen.
  • Bei langen Pflegeverläufen (Pflegebedürftigkeit von Kindern, demenzielle Erkrankungen, nach Unfällen) soll die Pflegeversicherung die Kosten der Pflege und Betreuung nach einer bestimmten Zeit vollständig übernehmen.
  • Die Kosten der Ausbildung in der Langzeitpflege sollen künftig allein von der Pflegeversicherung, übernommen werden. Diese refinanziert sich wiederum über einen Steuerzuschuss. Holetschek: „Bisher zahlen die Pflegebedürftigen für die Ausbildung. So können wir sie zusätzlich entlasten und die Kosten generationengerecht verteilen.“

II. Pflegepersonal fördern

Der Minister betonte: „Die Zukunft einer guten Pflege entscheidet sich in der Frage, ob es gelingt, ausreichend gut qualifiziertes Personal zu gewinnen. Die steigenden Ausbildungszahlen belegen, dass viele Menschen den Pflegeberuf als attraktive Chance wahrnehmen.“

  • Auf Initiative Bayerns wurden bereits die Grundlagen geschaffen, Tarifvergütungen in den Pflegesätzen verlässlich zu refinanzieren. Es bedarf nun endlich attraktiver und für alle verbindlicher tariflicher Vergütungsstrukturen.
  • Da die Tätigkeit in der Pflege zwangsläufig mit Nacht- und Wochenenddiensten verbunden ist, gleichzeitig aber dem Allgemeinwohl dient, sollen Zuschläge für Überstunden, Wochenendarbeit und Nachtarbeit künftig stärker steuerlich begünstigt werden.
  • Um den Pflegeberuf als sektorenübergreifenden Gesundheitsfachberuf zu positionieren und den Beschäftigten attraktive Aufgabengebiete zu öffnen, soll ihnen im Arbeitsalltag ein Aufgabenspektrum eröffnet werden, das den erworbenen Kompetenzen gerecht wird. Hierzu gehört auch die Möglichkeit der selbständigen Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten (z. B. im Rahmen der Schmerztherapie, der Behandlung von Menschen mit Demenz oder der Diabetesbehandlung).
  • Grundständig beruflich ausgebildete Pflegefachpersonen werden auch künftig das Rückgrat der pflegerischen Versorgung sein. Die Zunahme hochkomplexer Pflegesituationen erfordert aber einen steigenden Anteil hochschulisch ausgebildeter Pflegefachpersonen. Es sollen daher (wie z.B. in Österreich, Anm.d.Red.) primärqualifizierende Pflegestudiengänge aufgebaut werden. Im Pflegeberufegesetz soll zudem ein gesetzlicher Anspruch auf Ausbildungsvergütung für die Absolvent*innen dieser Studiengänge geschaffen werden.

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III. Hürden überwinden – Versorgung weiter entwickeln – Lasten gerecht verteilen

„Beim dritten Baustein meines Reformplans geht es um die Versorgung vor Ort“, erläuterte der bayerische Pflegeminister. „Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, auch bei Pflegebedürftigkeit in ihrem gewohnten sozialen Umfeld und Teil des gesellschaftlichen Lebens bleiben zu können. Hierzu sollen die Versorgungsstrukturen vor Ort gestärkt werden.“

  • Die maßgeblichen Entscheidungen über die erforderliche Versorgung können nur gemeinsam von den Kommunen, den Pflegekassen und den Leistungserbringern getroffen werden. Die Entscheidungskompetenzen der örtlichen Ebene müssen daher gestärkt werden. Bei drohender pflegerischer Unterversorgung müssen die Kommunen steuernd eingreifen können.
  • Um dem Wunsch der Menschen, in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben, Rechnung zu tragen, sollen die ambulante Versorgung und die Kurzzeitpflege weiter gestärkt werden.
  • Fehlanreize für die Erbringer pflegerischer Leistungen sollen beseitigt werden. Im Mittelpunkt sollen die Pflegebedürftigen und ihre Bedürfnisse stehen, nicht Abrechnungsmöglichkeiten. Hierzu sollen die pflegerischen Leistungen in Budgets unter dem Dach der Pflegeversicherung zusammengeführt werden.

Holetschek betonte: „Es muss uns klar sein, dass die Ausgaben für Pflege aufgrund des demographischen Wandels in den nächsten Jahren deutlich steigen werden. Diese Entwicklung dürfen wir nicht allein den Pflegebedürftigen über die Eigenanteile oder künftigen Generationen über Sozialversicherungsbeiträge aufbürden! Deshalb brauchen wir einen Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt, der dem gesamtgesellschaftlichen Anspruch dieser Zukunftsaufgabe gerecht wird.“

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