Intensiv- und Notfallmedizin: Ethische Empfehlungen zur Priorisierung und Triage bei COVID-19 aktualisiert

Angesichts der starken Zunahme von schweren COVID-19 Verläufen in den Spitälern stehen Notfall- und Intensivmediziner*innen sowie Intensivpflegefachkräfte derzeit vor schwierigen Entscheidungen: Wie sollen die begrenzt vorhandenen Ressourcen so verteilt werden, dass möglichst viele Patient*innen einen Nutzen haben?

Nachdem sich nicht zuletzt durch die Schutzimpfung neue Aspekte in der Diskussion ergeben, haben Experten aus sieben Fachgesellschaften die im Frühjahr 2020 veröffentlichte „Leitlinie zur Priorisierung und Triage bei akuter Ressourcenknappheit“ aktualisiert.

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im Bild (v.l.n.r.): Professoren Marckmann, Janssens und Schildmann

Fotos: Ives Krier, Mike Auerbach, privat

 

Die wichtigsten Punkte betreffen die Gleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Patient*innen in der Gesundheitsversorgung sowie die Beachtung des Gleichheitsgebotes bei Erhöhung der Ressourcen zugunsten der Versorgung von COVID-19-Patient*innen.

Fehlende Impfung ist kein Grund für Benachteiligung

In der öffentlichen Diskussion wurde in den letzten Wochen wiederholt vorgeschlagen, den Impfstatus als Entscheidungskriterium für die Priorisierung bei knappen Mitteln anzuwenden. Die Frustration über den Verzicht mancher Menschen auf eine wirksame Schutzimpfung sei zwar nicht zuletzt angesichts der massiven Belastungen für die im Gesundheitssystem Tätigen nachvollziehbar, so Prof. Uwe Janssens (DIVI). Allerdings haben die Fachgesellschaften in der aktualisierten Leitlinie klargestellt, dass eine fehlende Impfung kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen darstellen kann. „Die Hilfspflichten im Gesundheitswesen bestehen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen unabhängig vom Auslöser bzw. dem vorangehenden Verhalten des bedürftigen Patienten“, fasst Janssens zusammen.

Der Medizinethiker und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin, Prof. Georg Marckmann, ergänzt, dass Leistungsansprüche in unserem solidarischen Gesundheitssystem aus guten ethischen Gründen nicht von Kriterien wie „Selbstverschulden“ oder „Eigenverantwortung“ abhängig gemacht werden. Erstens sei im Einzelfall in der Regel nicht hinreichend sicher nachzuweisen, dass die Erkrankung ursächlich auf ein gesundheitsschädigendes Verhalten des Patienten zurückzuführen ist. Zweitens beruhe das Verhalten häufig nicht auf einer freien, selbstbestimmten und damit selbst zu verantwortenden Entscheidung. Drittens fehlen allgemein akzeptierte Standards, für welche selbst verursachten und frei gewählten gesundheitsgefährdenden Handlungen der Einzelne in welchem Ausmaß Verantwortung tragen soll. Dies gilt nicht nur für Übergewicht, Rauchen oder Risikosportarten, sondern auch für die Entscheidung zum Verzicht auf eine SARS-CoV-2-Impfung. Deshalb ist eine Priorisierung knapper akutmedizinischer Ressourcen nach dem Impfstatus nicht akzeptabel.

Gleichbehandlung von anderen Patienten sichern

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Die zweite wesentliche Änderung der Leitlinie zielt auf die klinisch-ethischen Grundlagen der Ressourcenverteilung angesichts des gestiegenen Bedarfs für COVID-19-Patient+*innen. Zeichnet sich eine Ressourcenknappheit ab, sollten Krankenhäuser den Regelbetrieb einschränken, um damit Kapazitäten für die zunehmende Anzahl Schwerkranker mit COVID-19 breitstellen zu können. Hierzu sollten zunächst solche Behandlungen aufgeschoben werden, bei denen durch die zeitliche Verzögerung keine Verschlechterung der Prognose, keine irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder gar der vorzeitige Tod zu erwarten sind.

Für den Fall, dass darüber hinaus eine weitere Ausweitung von Behandlungskapazitäten für COVID-19-Patienten erforderlich ist, muss bedacht werden, dass Patient*innen mit anderen Erkrankungen gegenüber COVID-19-Patient*innen nicht benachteiligt werden, betont der Arzt und Medizinethiker, Prof. Schildmann, Mitautor der Leitlinie. Die Gleichbehandlung aller zu versorgenden Patient*innen ist auch im Falle knapper Ressourcen zu gewährleisten. Negative gesundheitliche Auswirkungen durch die Einschränkungen sind zu minimieren. Die Patient*innen und ihre Angehörigen sind über die Gründe etwaiger Begrenzungen in der Versorgung und die damit möglicherweise verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen transparent zu informieren.

> zum Dokument

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Beteiligt an der Leitlinie sind:
1. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
2. Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA)
3. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)
4. Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN)
5. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
6. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und
7. die Akademie für Ethik in der Medizin (AEM)

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