Die COVID-19-Pandemie hat seit Beginn weltweit rund 6 Millionen Menschenleben gefordert. In derselben Zeit sind rund 3 Millionen Menschen an Tuberkulose gestorben.
Eigentlich hatte es laut Weltgesundheitsorganisation WHO gute Fortschritte im globalen Kampf gegen Tuberkulose (TB) gegeben, doch durch die Corona-Pandemie wurden diese zunichte gemacht und um Jahre zurückgeworfen. Seit Ausbruch der Pandemie werden zwar weltweit bedeutend weniger Tuberkulosefälle diagnostiziert – aber nicht, weil es nun tatsächlich weniger an Tuberkulose Erkrankte gäbe. Die Menschen suchen nur seltener einen Arzt* auf – aufgrund von Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen oder der Sorge, sich in Gesundheitseinrichtungen mit COVID-19 anzustecken. Das wird nicht ohne Folgen bleiben, so die Experten der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie, ÖGP, anlässlich des Welttuberkulosetages am 24. März. Denn wenn an Tuberkulose Erkrankte nichts von ihrer Krankheit wissen, bleiben sie unbehandelt.
Dies hat Konsequenzen für ihre Lebenserwartung, denn die Heilungschancen stehen nur bei rechtzeitiger und kontinuierlicher Therapie sehr gut. Darüber hinaus werden Familienmitglieder und andere enge Kontakte ebenfalls angesteckt. Die Infektionsketten werden immer länger und die Gefahr, dass sich multiresistente Formen der Tuberkulose ausbreiten, gegen die immer weniger Medikamente wirksam sind, wird größer. Eine bedrohliche Entwicklung, da Tuberkulose als „Killer“ unter den Infektionskrankheiten gilt. So liegt der weltweite Therapieerfolg bei einer multiresistenten Tuberkulose bei nur rund 50%.
Besorgniserregende Zahlen weltweit
„Es ist einfach besorgniserregend, dass durch die Pandemie bedeutend weniger TB-Patienten identifiziert werden können als davor“, so OA Dr. Helmut Salzer, MPH, FECMM, Leiter des Arbeitskreises Infektiologie & Tuberkulose der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie, ÖGP. 2019 sind weltweit von den geschätzten 10 Millionen TB-Neuinfektionen 7,1 Millionen diagnostiziert worden. 2020, also im Jahr 1 der Corona-Pandemie, wurden nur mehr 5,8 Millionen neu diagnostiziert. „Das sind um 18% weniger und das bedeutet, dass zusätzlich circa 1,3 Millionen ohne es zu wissen, an Tuberkulose erkrankt sind und die Erreger weitergeben,“ so der Leiter der Tuberkulosestation am Kepler Universitätsklinikum in Linz.
Für 2021 erwartet die WHO, dass sich die Situation weiter verschlimmert. Ein weltweiter dramatischer Anstieg auch der TB-Todeszahlen sei zu erwarten, so Salzer. „2019 gab es weltweit 1,2 Millionen Tuberkulose-Tote, 2021 stieg diese Zahl schon auf 1,3 Millionen an.“
Die Corona-Pandemie hat nämlich auch dazu geführt, dass bereits diagnostizierte Tuberkulose-Patienten ihre Behandlungs- und Versorgungstermine oftmals nicht wahrnehmen. Außerdem werden vielerorts wichtige Ressourcen wie Fachkräfte und Gelder zur Eindämmung von COVID-19 gebraucht und diese fehlen dann bei der Tuberkulose-Bekämpfung. Ein Problem, das vor allem strukturschwache Länder trifft. Eine gefährliche Kombination, die zu einem weltweiten Ansteigen von Tuberkulose und vor allem von multiresistenter Tuberkulose (MDR) führt. Salzer: „Die Behandlung von Patienten mit MDR ist durch die Pandemie weltweit bereits um rund 15% zurückgegangen.“
Die Situation in Österreich
Eine ähnliche Abnahme an TB-Diagnosen sieht man auch in Österreich. Wurden vor der Pandemie 500 bis 600 Neudiagnosen pro Jahr gestellt, waren es 2020 nur 388 TB-Fälle, die in das epidemiologische Meldesystem EMS eingemeldet wurden (=4,4/1000.000 Einwohner).
Tuberkulose-Spezialist Salzer: „Wir konnten das auch im Krankenhaus beobachten. Seit Beginn der Pandemie werden weniger, dafür vermehrt schwere TB-Fälle in den Krankenhäusern registriert. Vor allem während COVID-19-Wellen im Frühjahr und Herbst kamen deutlich weniger TB-Patienten ins Krankenhaus als im Vergleichszeitraum in den Jahren zuvor.“
Dies ist aus zwei Gründen beunruhigend: Zum einem, da diese Patienten länger infektiös in ihren Familien, unter Freunden oder mit ihren Arbeitskollegen zusammen sind und somit die Infektionsketten wachsen. Zum anderen, weil die Erkrankung ihr zerstörerisches Werk über einen größeren Zeitraum fortsetzen kann und der Therapieerfolg im Falle einer schwereren Erkrankung einfach schlechter ist. „Wir sehen dann schwer erkrankte Patienten mit einem sehr ausgeprägten Befall der Lunge, z.B. mit mehreren und größeren Kavernen, den für Tuberkulose typischen Lungengewebsschädigungen, was darauf hindeutet, dass die Erkrankung schon lange besteht.“
Rasche und exakte Diagnostik trotz Pandemie wichtig
Es gilt also, die Infektionskette möglichst rasch zu unterbrechen. Salzer: „Neben möglichst frühzeitiger Diagnose und rascher, leitliniengerechter Behandlung müssen vor allem auch infektionsgefährdete Personen im engen Patientenumfeld identifiziert, untersucht, aufgeklärt und bei Bedarf behandelt werden.“
Das österreichische Gesundheitssystem verfügt über genügend strukturelle und finanzielle Ressourcen, um Tuberkulose-Patienten auch in Zeiten der Pandemie ausreichend und umfassend zu diagnostizieren und versorgen. Auch Vertriebene aus der Ukraine, die in Österreich bleiben, werden im Zuge des Aufnahmeverfahrens auf Tuberkulose hin untersucht und gegebenenfalls entsprechend untergebracht und behandelt.
Anlässlich des Welttuberkulosetages weist Salzer daraufhin, dass es für eine erfolgreiche Tuberkulosekontrolle aber auch entscheidend sei, dass Menschen bei klassischen Symptomen, wie länger bestehendem Husten, Nachtschweiß, Fieber und Gewichtsverlust, sofort einen Lungenfacharzt aufsuchen, denn dies können Hinweise auf eine bestehende Tuberkulose sein.
Hintergrund
Die Erreger, die Tuberkulose-Bakterien, werden durch Tröpfchen in der Atemluft (Husten, Niesen) übertragen. Meist manifestiert sich die Erkrankung in der Lunge (Lungentuberkulose), doch fast alle Organe können betroffen sein (Organtuberkulose). Der Verlauf kann schwer sein und tödlich enden. Diese von Bakterien verursachte Erkrankung ist mit global 10 Millionen Infektionen und Jahr für Jahr rund 1,3 Millionen Todesfällen eine der tödlichsten Infektionskrankheiten. Trotz verfügbarer Therapie sterben weltweit fast 4.000 Menschen pro Tag daran. Ob der menschliche Körper die TB-Infektion abwehren kann oder daran erkrankt, ist von Faktoren wie Ernährungszustand und Immunstatus abhängig. Tuberkulosebakterien können sich aber auch im Körper abkapseln. Sie sind dann inaktiv, breiten sich nicht weiter aus, können aber jahrelang in diesem Zustand überleben; der Träger ist beschwerdefrei, man spricht von einer latenten TB Infektion. Betroffene zeigen keinerlei Beschwerden. Rund ein Drittel der Weltbevölkerung ist Träger einer beschwerdefreien, sogenannten latenten Tuberkulose. Erst bei einer Schwächung des Immunsystems kann es, oft erst nach Jahren, zu einer Aktivierung der Erkrankung TB kommen; man spricht dann von aktiver TB Infektion.
Tuberkulose kann auch ausbrechen, ohne dass Betroffene es merken, denn die Beschwerden sind häufig schleichend und nicht eindeutig: Über Wochen hindurch Husten ohne Auswurf, Gewichtsabnahme (daher der alte Name „Schwindsucht“), Abgeschlagenheit, erhöhte Temperatur und Nachtschweiß sind klassische TB-Symptome.
Gefährliche Resistenzen – multiresistente Tuberkulose
Tuberkulose ist eine heute prinzipiell heilbare Infektionskrankheit. Bei unzureichender Therapie oder Therapiefehlern kann es zur Entwicklung resistenter Tuberkulosebakterien kommen, die dann nur sehr schwer oder schlimmstenfalls nicht mehr therapierbar sind.
24. März ist Welttuberkulosetag
Vor über 130 Jahren, am 24. März 1882, präsentierte Robert Koch vor der Physiologischen Gesellschaft in Berlin seine Entdeckung des Tuberkulose-Erregers, Mycobacterium tuberculosis. Dieser Tag wird traditionell als Welttuberkulosetag begangen, um auf die Bedeutung dieser Entdeckung hinzuweisen und auch daran zu erinnern, dass die Erkrankung trotz großer medizinischer Fortschritte noch immer weltweit Tag für Tag rund 4.000 Menschenleben fordert.
Grafik: Uni Würzburg
>zum SWR-Videobeitrag „Tuberkulose – die vergessene Gefahr“, 2021