Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert: Palliativteams in jedes Pflegeheim – anstatt unerwünschtes Sterben im Krankenhaus

Die meisten Menschen aus dem Pflegeheim wollen nicht im Krankenhaus sterben, werden aber trotzdem häufig ins Krankenhaus eingewiesen. Das wäre oftmals vermeidbar, berichtet der jetzt veröffentlichte AOK „Pflege-Reports“.

Dazu eine klare Ansage desVorstandes der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch Bild): „Individuelle Versorgungspläne sind kein Ersatz für eine umfassende Hospiz- und Palliativbegleitung in den 12.000 Pflegeheimen. Weil zusätzliches Personal und praktische Unterstützung fehlen, werden viele der Bewohner am Ende des Lebens zwischen Heim und Klinik hin- und hergeschoben. Dieser Verschiebebahnhof trifft einen Großteil der sterbenden Pflegebedürftigen in den Einrichtungen“.

„Zwei-Klassen-Sterben ist verantwortlich für den Verschiebebahnhof zwischen Pflegeheim und Krankenhaus“ (Eugen Brysch, 5. Juli 2020)

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach müsse endlich das Leiden dieser Menschen zu seiner Sache machen und das Zwei-Klassen-Sterben beenden, fordert Brysch nachdrücklich. Mit ehrenamtlichen Hospizdiensten, ambulanten Palliativteams oder Hausärzten sei diese Aufgabe offensichtlich nicht zu stemmen. Brysch: „Jede Pflegeeinrichtung braucht ihr eigenes hauptamtliches Hospizteam!“ Sterbende in Pflegeheimen brauchen den gleichen Anspruch auf umfassende Begleitung wie Sterbende in Hospizen. „Es ist zutiefst ungerecht, dass die Sozialkassen für die jährlich knapp 34.000 Hospiz-Patienten monatlich 13.000 Euro zur Verfügung stellen, für die 300.000 sterbenden Pflegeheimbewohner im Jahr jedoch nur 1.800 Euro monatlich“, zeigt Brysch einen erschreckenden Missstand auf.

Dem AOK-Pflegereport 2022 zufolge werden 40 Prozent der Krankenhausaufenthalte in den letzten zwölf Wochen vor dem Tod als vermeidbar eingestuft.

Zu den vermeidbaren Krankenhausfällen zählen dem Report zufolge unter anderem Einweisungen aufgrund von Herzinsuffizienz, Dehydration oder Harnwegsinfektionen. Diese Krankheiten ließen sich unter guten Bedingungen auch im Pflegeheim behandeln. Pflegende beobachten laut einer Befragung, dass Bewohner*innen am Lebensende häufig in eine Klinik eingewiesen werden, obwohl die Pflegenden das nicht für die beste Lösung halten. Der Krankenhaus-Aufenthalt sei eine enorme psychische Belastung, es drohten auch akute Delirs, Infektionen oder Stürze.

Hände alt-jung

Die Palliativ- und Hospizversorgung in der Langzeitpflege muss nach Ansicht der Krankenkasse AOK dringend verbessert werden. In vielen Heimen fehle noch immer eine Begleitkultur in der letzten Lebensphase der Bewohner, sagte die Vrsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, bei der Vorstellung des Pflegereports 2022 in Berlin. „Wir brauchen strukturelle und qualitative Veränderungen, vor allem einen sektorenübergreifenden Austausch der unterschiedlichen Professionen und Hospizdienste.“

Doch Arbeitsverdichtung in den Einrichtungen und der Personalmangel stünden dem im Weg, erklärte Reimann. Deswegen sei es zentral, dass Hospiz- und Palliativpersonal in die Versorgung in den Langzeitpflegeeinrichtungen systematisch integriert werde. „In den Jahren 2018 und 2019 wurden rund 56 Prozent aller Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner innerhalb der zwölf Wochen vor ihrem Lebensende mindestens einmal in ein Krankenhaus verlegt“, so Reimann. Das sei eine im internationalen Vergleich hohe Verlegungsrate.

Verlegungen in ein Krankenhaus bergen für die oft multimorbiden oder auch dementen Patientinnen und Patienten erhebliche Risiken: „Psychische Belastungen, kognitive Verschlechterungen, Infektionen sowie der weitere Verlust von Selbstständigkeit sind hier nur Beispiele“, sagte Antje Schwinger, Forschungsbereichsleiterin Pflege beim Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) und Mitherausgeberin des Pflege-Reports 2022: „Inwiefern die Krankenhauseinweisungen generell nicht dem Willen der Betroffenen entsprechen, kann über Routinedaten nicht erfasst werden.“

Was sagen Pflegende dazu?

Wichtige Hinweise, wie sich die Heimversorgung am Lebensende darstellt, gibt eine Umfrage, an der rund 550 Pflegefach- und Assistenzpersonen teilnahmen. „Die Diskrepanz von Versorgungswunsch der Pflegebedürftigen und Wirklichkeit wird hier deutlich“, betonte Schwinger. So erlebt jeder Fünfte monatlich oder häufiger, dass Bewohner am Lebensende in ein Krankenhaus eingewiesen werden, obwohl das aus der Sicht der Befragten nicht im Interesse der Versterbenden ist. Zudem gab die Mehrheit der Befragten an, dass sich auf Druck der Angehörigen das Behandlungsteam für belastende bzw. lebensverlängernde Maßnahmen entschied, obwohl die Patientenverfügung ein anderes Vorgehen nahegelegt hätte.

„Die als ‚Patientenverfügung‘ verbreiteten Standardformulare geben oft nicht wieder, was die betreffende Person tatsächlich zu dem Thema denkt und wünscht“. (Prof. Jürgen in der Schmitten, UK Essen)

Das „Advance Care Planning“ (Behandlung im Voraus planen) sei zwar bereits ein bewährtes Instrument, um die letzte Lebensphase individuell vorausplanen zu können, und seit 2015 gesetzlich verankert. Doch es gebe in der Umsetzung noch immer erhebliche Schwachstellen. “Deshalb brauchen wir eine Evaluation zu Umsetzungsbarrieren und Wirkungen dieser Leistungen“, forderte Reimann. Insgesamt müsse bei der Versorgung am Lebensende genauer hingeschaut werden.

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