Mangelernährung: Die „stille Gefahr“ im Krankenhausalltag

Die weltweite „Malnutrition Awareness Week“ macht auf das enorme Problem der Mangelernährung aufmerksam. Im europäischen Raum sind rund 20 bis 50% aller stationär aufgenommenen Patient*innen mangelernährt. Dies bedeutet nicht nur längere Krankenhausaufenthalte, sondern auch schlechtere Prognosen für die Genesung der Betroffenen.
Individualisiertes Ernährungsmanagement KSP AArau 2019
Vorbildlich: Das individualisierte-Ernährungsmanagement am Kantonspital Aarau (CH)
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Mangelernährung bei Patient*innen ist leider keine Seltenheit. Mehr als ein Drittel aller stationär Aufgenommenen beispielsweise im Elisabethinen-Krankenhaus in Klagenfurt (Kärnten) sei als mangelernährt einzustufen, sagt die do. Ernährungsmedizinerin Dr. Renate Kruschitz. Um Patient*innen und auch ihre Angehörigen für das Thema Mangelernährung und die Gegenmaßnahmen zu sensibilisieren, klärt das Krankenhaus im Rahmen der „Woche des Bewusstseins für Mangelernährung“ mit Infoständen intensiv über die Verpflegung und Ernährungsversorgung inKlinikbereich auf.
 ernährungspyramide

Zu wenig Kalorien und Nährstoffe – wer gilt als mangelernährt?

Eine Mangelernährung liegt dann vor, wenn eine Person ihren Bedarf an Energie, Proteinen und anderen Nährstoffen über die Nahrung nicht ausreichend decken kann. Damit ist das Gleichgewicht zwischen Nährstoffzufuhr und Nährstoffbedarf gestört, was zum unkontrollierten Abbau von Körpersubstanz führen kann. Unter den Patient*innen mit Mangelernährung sind sowohl Menschen, die aufgrund ihres schlechten Ernährungszustandes krank geworden sind, als auch solche, die durch eine schwere Krankheit diese erst diagnostiziert bekommen.

Weltweite jährliche Datensammlung

Einmal jährlich – diesmal am 10. November – werden die gesammelten anonymisierten Patientendaten weltweit exakt erhoben. Am „Nutrition Day“ wird die Ernährungssituation der Menschen in Spitälern und Pflegeheimen in eine internationale Datenbank eingespeist. „Die Ergebnisse ermöglichen einerseits einen Vergleich der beteiligten Krankenhäuser, andererseits wird das Bewusstsein über Stärken und Schwächen einzelner Stationen als Organisationseinheit geschaffen“, teilt der Leiter des Ernährungsteams am EKH Klagenfurt, Prim. Dr. Michael Zink, mit.

Nicht erkannte Mangelernährung

Eine nicht diagnostizierte Mangelernährung hat leidvolle und teure Folgen: „…unter anderem eine schlechtere Wundheilung, höhere Infektanfälligkeit, mehr Komplikationen bei operativen Eingriffen und ungünstige Langzeitprognosen“, verdeutlicht Ernährungsmedizinerin Dr. Renate Kruschitz. Der Internistin zufolge habe „eine Mangelernährung erheblichen negativen Einfluss auf die Verweildauer der Patient*innen in einem Krankenhaus und auf die Sterblichkeitsrate.“ Aus diesem Grund ist die Vermeidung, frühzeitige Erkennung und Behandlung der Mangelernährung ein wesentlicher Schwerpunkt in der Arbeit des Ernährungsteams am EKH, dessen Ziel es ist, die ernährungstherapeutische Versorgung der Betroffenen zu verbessern.

Screening bei stat. Aufnahme zeigt potenzielle Gefahr früh auf

Mangelernährung bleibt oft unentdeckt und daher auch häufig ohne eine entsprechende Therapie. Um Patient*innen mit einem Mangelernährungsrisiko möglichst frühzeitig zu erkennen, kommt am EKH Klagenfurt ein standardisiertes Screening zum Einsatz. Dabei handelt es sich um einen einfachen und schnellen Prozess, um Personen mit einem Risiko für eine Mangelernährung oder mit bereits vorhandener Mangelernährung, zu identifizieren und festzustellen, ob weitere Maßnahmen z.B. die Durchführung eines detaillierten Ernährungsassessments über den diätologischen Dienst des Hauses erforderlich sind.

„Das standardisierte Screening-Verfahren zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme und im weiteren Behandlungsverlauf identifiziert die potenzielle Gefahr“, berichtet Dr. Kruschitz. Zudem hilft es den Mitarbeitenden, Menschen mit einem Risiko für bzw. bereits manifester Mangelernährung zu erkennen. „Des Weiteren ist es auch notwendig, dass mögliche Auslöser erkannt und beseitigt werden können. Eine Ernährungstherapie, welche individuell auf die Bedürfnisse der Patient*innen mit Mangelernährung abgestimmt ist, kann nach erfolgter Diagnose eingeleitet werden“, so der Leiter des Ernährungsteams Dr. Michael Zink.

Das multiprofessionell zusammengesetzte Ernährungsteam am EKH gibt es seit 15 Jahren. Es besteht aus einem Arzt, einer Ernährungsfachkraft und einer Pflegekraft und kann bei Bedarf und in Abhängigkeit von der Einrichtung eng mit weiteren Fachkräften kooperieren.
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In der anschliessenden Ernährungstherapie für Risikopatient*innen arbeiten Diätologie, Pflegekräfte, Ärzte, Krankenhausküche und das Ernährungsteam eng zusammen. Therapiemöglichkeiten bestehen über den Einsatz von speziellen Kostformen, Verwendung von hochkalorische Trinknahrungen, Modulen zur Energie- und Eiweißanreicherung, bis hin zur Erstellung von speziellen Ernährungsplänen für Ernährung über den Magen-Darm-Trakt, rsp. Blutweg.
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Die Gründe für eine Mangelernährung sind vielfältig und können sowohl auf eine Unterernährung (= Mangel an Eiweiß), oder auch einen Nährstoffmangel (= Mangel von einzelnen Mikronährstoffen) hindeuten. Eine Mangelernährung schwächt zwar den Körper, jedoch ist sie häufig nicht sichtbar, weswegen sie auch als „stiller Killer“ bezeichnet wird. Mangelernährung führt unter anderem zu einem Anstieg der Mutter-Kind-Sterblichkeit, zu körperlichen Beeinträchtigungen sowie zur Schwächung des Immunsystems und der intellektuellen Fähigkeiten.

UK Leipzig: Sieben Stationen sind mit dabei

 Seit 2006 nimmt u.v.a. auch das Universitätsklinikum Leipzig (UKL) jährlich an dieser internationalen Erhebung teil. Für Lars Selig, Leiter des Ernährungsteams am UKL, ist es ebenfalls ein großes Anliegen, auf das überaus wichtige Problem der patientenbezogenen Mangelernährung hinzuweisen. Weltweit sei die Zahl unterversorgter Patient*innen weiterhin sehr hoch, dies zeige der „nutritionDay“ Jahr für Jahr.

Mehr als 64 Staaten nehmen an dieser weltweiten Erhebung teil. Die Daten von mehr als 240000 Personen sind seit 2006 erfasst worden, darunter etliche auch aus Leipzig. In 36 Sprachen sind die Fragebögen vorhanden.
Ziel des weltweiten „nutritionDay“ ist es, das Wissen und das Bewusstsein für Mangelernährung in Gesundheitseinrichtungen zu stärken.

„Für dieses Jahr sind sieben UKL-Stationen zur Teilnahme am ’nutritionDay‘ angemeldet – onkologische, chirurgische und internistische Stationen“, berichtet Ernährungsexperte Selig. Neben allgemeinen Fragen zum Krankenhausaufenthalt wird auch speziell zu Gewichtsverlauf, Medikamenteneinnahme und Essverhalten mit den Patient:innen abgefragt: Ist der Appetit eingeschränkt? Wenn ja, warum? Schmeckt das Essen? Wenn nein, warum?

Zudem wird die Situation vor Ort auf Station erfasst: Wieviele Pflegekräfte, Ärzt:innen und andere Berufsgruppen arbeiten im untersuchten Bereich? Gibt es eine strukturierte Ernährungstherapie, und wie ist diese gestaltet? Diese und viele weitere Fragen gestalten den „nutritionDay“. Nach 30 Tagen folgt eine Evaluation. Dann wird geschaut, ob die vor einem Monat erfassten Patient:innen das Klinikum verlassen haben oder ob sie eventuell wieder zurück auf Station sind.

Screening bei stationärer Aufnahme zeigt Auffälligkeiten unmittelbar an

Seit 2020 werden am UKL alle stationär aufgenommenen Personen mit Blick auf ihren Ernährungsstatus gescreent, um eine drohende oder bestehende Mangelernährung zu erkennen und entsprechende therapeutische Maßnahmen einzuleiten.

Doch selbst für eines der größten Teams dieser Art an deutschen Kliniken stellt dies eine tägliche Herausforderung dar. Schließlich könnten, so Selig, die in Studien dargelegten Prävalenzen zum Thema Mangelernährung – nämlich rund ein Viertel aller Patient:innen – in der Praxis auch tatsächlich jeden Tag aufs Neue bestätigt werden.

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