Corona boostert Ambulantisierung und bremst Überversorgung: Klinik-Fallzahlen 2022 weiter gesunken

Die Zahl der Krankenhaus-Fälle in Deutschland ist 2022 im Vergleich zum Jahr 2019 deutlich gesunken – sogar stärker als in den Pandemiejahren 2020 und 2021. Das zeigt eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

„Corona hatte die deutschen Kliniken auch im dritten Jahr der Pandemie fest im Griff – aber aus anderen Gründen als in den ersten Infektionswellen der Jahre 2020 und 2021“, sagt WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Die Fallzahl-Rückgänge im vergangenen Jahr seien nicht mehr dadurch bedingt, dass Kapazitäten für schwer erkrankte Corona-Patienten freigehalten wurden, sondern wesentlich durch die enormen Personalausfälle. Die größten Fallzahl-Rückgänge gegenüber dem Vergleichs-Zeitraum 2019 waren in der fünften Infektionswelle von Januar bis Mai 2022 zu verzeichnen.

Fallzahlen Vergleich 2020 bis 2022

Weiter starke Einbrüche bei ambulant-sensitiven Diagnosen

Die Aufschlüsselung der Zahlen nach Behandlungsanlässen bis Oktober 2022 zeigt: Die stärksten Einbrüche gab es erneut bei den sogenannten ambulant-sensitiven Diagnosen, die sowohl im Krankenhaus als auch von entsprechend qualifizierten niedergelassenen Ärzten adäquat behandelt werden können. So waren bei Rückenschmerzen (minus 35 Prozent) sowie Bluthochdruck (minus 35 Prozent) die größten Rückgänge gegenüber dem Vergleichsjahr 2019 zu verzeichnen, gefolgt von der chronischen Lungenerkrankung COPD (minus 28 Prozent), Diabetes (minus 21 Prozent) und Herzinsuffizienz (minus 14 Prozent).

Corona: Ambulantisierung beschleunigt – Überversorgung gebremst

„Schon in den ersten beiden Jahren der Pandemie gab es Rückgänge in vergleichbarer Größenordnung. Corona wirkt sich hier offensichtlich beschleunigend im Sinne der in Deutschland dringend gebotenen stärkeren Ambulantisierung aus. Bei einzelnen Diagnosen dürfte angesichts der großen und anhaltenden Einbrüche auch der Abbau von Überversorgung eine Rolle spielen.“

Fallzahlen nach Behandlungsanlass

Im Gegensatz zu den beiden Vorjahren haben sich die OP-Zahlen bei den planbaren Hüftgelenksimplantationen trotz der Omikron-Wellen normalisiert (minus 2 Prozent). Erneut starke Einbrüche gab es dagegen bei den Mandeloperationen (minus 35 Prozent). „Eine Ursache könnte sein, dass die Hygieneregeln während der Pandemie das Auftreten von Mandelentzündungen verringert haben. Doch die Rückgänge könnten auch auf einen Abbau von Überversorgung hindeuten“, so Klauber. „Studien und Analysen zeigen nämlich, dass diese Eingriffe in der Vergangenheit häufig ohne leitliniengerechte Indikation durchgeführt wurden.“

Rückgang bei Darmkrebs-OPs noch größer als in den beiden Vorjahren

Bei den Brustkrebs-OPs gab es einen Rückgang um 5 Prozent gegenüber 2019. „Mehr Anlass zur Sorge gibt allerdings der deutlich stärkere Einbruch bei den Darmkrebs-Operationen“, betont Jürgen Klauber. Diese gingen gegenüber der Zeit vor der Pandemie um 16 Prozent zurück – und damit noch stärker als im ersten (minus 10 Prozent) und zweiten Pandemiejahr (minus 12 Prozent). „Das könnte mit dem reduzierten Umfang der Darmspiegelungen zu tun haben, den wir bereits in früheren Auswertungen des WIdO festgestellt haben“, erklärt Jürgen Klauber.

Auffällig ist auch der anhaltende Rückgang der Fallzahlen bei den Herzinfarkten und Schlaganfällen, der in den WIdO-Daten bis Oktober 2022 zu sehen ist: Die Herzinfarkt-Behandlungen sind gegenüber 2019 um 13 Prozent zurückgegangen, die Schlaganfall-Behandlungen um 11 Prozent. Damit gab es bei diesen Notfällen sogar noch stärkere Rückgänge als im ersten und zweiten Pandemie-Jahr. „Wir können uns das nicht hundertprozentig erklären. Die Daten deuten darauf hin, dass die Rückgänge bei den leichteren Infarkten und Schlaganfällen höher sind. Offenbar sind insbesondere Menschen mit milderen Symptomen weniger im Krankenhaus behandelt worden“, so Klauber.

Anteil der schweren Covid-19-Erkrankungen deutlich gesunken

Das WIdO hat in seiner Auswertung auch die Entwicklungen bei den stationär behandelten Patientinnen und Patienten betrachtet, die wegen Covid-19 im Krankenhaus waren. Der Vergleich der bisherigen Pandemiewellen zeigt, dass der Anteil der schweren Erkrankungen in den beiden Omikron-Wellen des Jahres 2022 deutlich gesunken ist. So sank der Anteil der beatmeten Patientinnen und Patienten in der sechsten Pandemiewelle von Juni bis September 2022 auf 8 Prozent. Zum Vergleich: In der vierten Welle Ende 2021 waren es noch 22 Prozent gewesen.

Charakteristika Covid-19-PAndemiewellen

Sterblichkeit bei beatmeten Covid-19-Patienten unverändert hoch

Auch die Sterblichkeit lag in den beiden Omikron-Wellen mit 17 beziehungsweise 12 Prozent deutlich niedriger als noch in der vierten Pandemiewelle von Oktober bis Dezember 2021 mit 23 Prozent. Allerdings bleibt die Sterblichkeit bei den beatmeten Patientinnen und Patienten unverändert hoch: Sie lag in der sechsten Pandemiewelle bei 49 Prozent. Von den beatmeten Patienten sind 60 Prozent Männer. Auffallend ist die kontinuierlich abnehmende Beatmungsdauer: Lag diese in der ersten Pandemiewelle noch bei durchschnittlich 18 Tagen, so waren es in der sechsten Pandemiewelle Mitte 2022 nur noch 10 Tage. „Die Daten spiegeln wider, dass die Omikron-Variante des Coronavirus glücklicherweise seltener zu schweren Krankheitsverläufen führt als die Vorgänger-Varianten“, erläutert Jürgen Klauber die Ergebnisse.

 

Die Auswertung des WIdO zu den Krankenhaus-Fallzahlen basiert auf den Abrechnungsdaten der AOK-Versicherten, die etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung abbilden. Basis für die Covid-19-Analysen waren die Daten von Patientinnen und Patienten, die wegen Covid-19 – also mit bestätigter Covid-19-Diagnose und für diese Erkrankung relevanter Hauptdiagnose – im Krankenhaus waren. Ausgewertet wurden die Daten von rund 220.000 Patientinnen und Patienten, die vom 1. Februar 2020 bis zum 30. September 2022 in den deutschen Krankenhäusern aufgenommen worden waren.

 

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