Wie bereits berichtet, hat sich die Zahl der Beschäftigten in Deutschlands ambulanten Pflegediensten binnen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Dennoch herrscht zunehmender Personalmangel. Und so bleiben die häuslich pflegenden Angehörigen mit mehr als 80 Prozent weiterhin der „grösste Pflegedienst der Nation“ – für dessen Unterstützung noch enormer politischer Handlungsbedarf besteht.
Aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden zufolge stieg die Zahl der Beschäftigten bis zum Jahresende 2021 auf 442.900 Personen (+ 134 % gegenüber 2001). Auch die Zahl der Beschäftigten in Pflegeheimen nahm binnen 20 Jahren auf 814.000 Personen zu (+71 %).
Die wichtigsten Berufe im ambulanten Pflegebereich wie auch in Pflegeheimen sind die Altenpflege mit rund einem Viertel und die Gesundheits- und Krankenpflege mit rund 17 % der Beschäftigten. Ein Viertel aller Mitarbeitenden stammt aus anderen Berufen oder verfügt über keinerlei Berufsabschluss
Pflege wird immer mehr zu einem Markt privatisiert
Die fortschreitende Privatisierung der Pflege zeigt sich in der Zahl der ambulanten Pflegedienste: Sie ist binnen 20 Jahren um nahezu die Hälfte auf zuletzt 15.400 gestiegen. Gut zwei Drittel davon werden von privaten Trägern betrieben, hingegen sind die Anteile von Diensten in der Hand freigemeinnütziger Träger (zuletzt 30,8 %) und öffentlicher Träger (1,3 %) kontinuierlich gesunken.
Konstant hohe Teilzeitquote
Die Teilzeitquote bei ambulanten Pflegediensten beträgt laut Destatis ausserordentlich hohe 68 %, in Pflegeheimen rund 63 %. Im Vergleich zu anderen abhängig Beschäftigten über alle Wirtschaftszweige hinweg arbeiteten im Jahr 2021 nur 30 % in Teilzeit.
Fünf von sechs Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut
Während die Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt zunimmt, sinkt der Anteil derer, die vollstationär in Pflegeheimen versorgt werden: Von den bundesweit knapp 4,96 Millionen Menschen, die Ende 2021 pflegebedürftig waren, wurde nur rund ein Sechstel (0,79 Millionen Menschen) vollstationär gepflegt; fünf von sechs Pflegebedürftigen wurden zu Hause versorgt. Davon wurden 1,05 Millionen auch durch ambulante Pflegedienste versorgt. 2,55 Millionen Menschen erhielten Pflegegeld und wurden überwiegend durch Angehörige gepflegt. Ebenfalls zu Hause versorgt wurden weitere 560.000 Pflegebedürftige im Pflegegrad 1, welche kein Pflegegeld beziehen.
Mit steigendem Pflegegrad wächst der Anteil der Pflegebedürftigen, die stationär versorgt werden. Doch selbst unter denjenigen, die den höchsten Pflegegrad 5 hatten – also schwerste Beeinträchtigungen und besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweisen – wurden noch mehr als die Hälfte zu Hause versorgt.
Quelle: Destatis, 11.05.2023
Kurzanalyse und Ausblick
Was sind die Gründe dafür, dass trotz des starken personellen Wachstums ein zunehmender Fachkräftemangel in der Pflege entsteht? Und warum wird die weitere Ausbildung bzw. Rekrutierung von beruflich Pflegenden immer schwieriger und aufwändiger? Einige (von vielen) mögliche Antworten in Kürze:
- Die Ausbildung neuer Pflegefach- und -hilfskräfte ist bereits jetzt dadurch eingeschränkt, dass es vielerorts an Pflegepädagog*innen mangelt. Diesem sich verschärfenden Mangel muss mit aller Kraft (auch über höhere Entlohnung) gegengesteuert werden.
- Zu viele Pflegeeinrichtungen und -dienste fragen massiv weiteres Personal am Markt nach – doch viel zu wenige von ihnen bilden aus Kostengründen selbst Fachpersonal aus. Der Arbeitsmarkt Pflege ist daher praktisch leergefegt.
- Die Anwerbung qualifizierter Pflegefachkräfte aus Drittstaaten (Mexiko, Vietnam, Philippinen, Indien, Kosovo,…) erweist sich aus sprachlichen wie auch kulturellen Gründen als weitaus schwieriger und langwieriger als erhofft und ist – im internationalen Wettbewerb mit anderen rekrutierenden Staaten – auch zahlenmässig nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
- Die Allokation der professionell Pflegenden – also deren Verteilung zwischen Spitälern, Pflegeheimen und ambulanten Diensten – wird immer ungünstiger und bindet die knappen personellen Ressourcen an falschen Stellen. Eine von Bund und Ländern gemeinsam konsequent umgesetzte >> Krankenhausreform – mit forcierter Ambulantisierung vieler Leistungen und Abbau von bereits heute überzähligen Akutbetten – könnte enorme Pflegekapazitäten freimachen (siehe z.B. aktueller >>AOK-Krankenhausreport).
- Die durch die Rodung des Krankenhaus-Wildwuchses freigespielten Pflegefachkräfte werden bereits dringend in anderen – zukunftsträchtigen – lokale Settings benötigt, sodass sie ihren neuen Arbeitsplatz weiterhin „vor der Haustüre“ haben können: Tausende Schulgesundheitspfleger*innen („School Nurses“) werden immer dringlicher für unsere Jugendgesundheit benötigt, ebenso aber auch zehntausende Gemeindepfleger*innen („Community Nurses“) mit entsprechender Berufserfahrung für die Beratung der Bevölkerung in Pflegestützpunkten oder für die multiprofessionelle Zusammenarbeit in – den Krankenhäusern vorgelagerten – medizinischen Primärversorgungszentren (MVZ, PVZ).
- Der weiteren „Verberuflichung“ der Pflege sind ganz offensichtlich personelle Grenzen gesetzt, sie hinkt schon heute immer weiter hinter dem tatsächlichen Bedarf her. Daher wird die häusliche „informelle“ Angehörigenpflege angesichts der Alterung der Bevölkerung daher – durch professionell Pflegende beraten, fachlich angeleitet und unterstützt – noch wichtiger werden als bisher.
- Der medizinische Fortschritt und moderne Therapien ermöglichen es auch schwerst behinderten Mitmenschen, ein immer höheres Alter zu erleben – dies erfordert daher auch zunehmenden Pflegebedarf.
- usw. usw.
Fazit: Die Politik und alle Akteure im Gesundheits- und Sozialbereich werden – gemeinsam in einer Art „Masterplan“ koordiniert – mehrere Stellschrauben justieren müssen. Insbesondere wird eine grundlegende Strukturreform an Haupt und Gliedern immer dringlicher, um einen Kollaps des bestehenden, überholten Systems zu vermeiden. Dies kommt einer Herkules-Aufgabe gleich – denn allzu viele haben es sich im bestehenden System bequem eingerichtet und leisten daher offenen oder versteckten Widerstand gegen Veränderungen …
Erich M. Hofer