30 Jahre Pflegegeld in Österreich – Pflegeexpertise erst spät eingebunden

Am 1. Juli 1993 wurde Ö-sterreich-weit das Pflegegeld erstmals an Pflegebedürftige ausbezahlt. Die Einführung des Bundes-Pflegegeldes war ein zähes Verhandeln und ein gemeinsamer Kraftakt und ist eine der bedeutendsten Errungenschaften der Sozialpolitik. Dennoch fehlten zwei wichtige Punkte: Eine Wertsicherung des Pflegegeldes und die Einbindung der Expertise der professionellen Pflege in die Einstufungsverfahren zur Pflegebedürftigkeit: Beides wurde erst viele Jahre später positiv korrigiert.

Bereits im Jahr 1987 war eine Petition mit 65.000 Unterschriften in den Nationalrat eingebracht worden. Doch erst im Jahr 1990 unter Sozialminister Josef Hesoun (SPÖ) wurde die Erarbeitung eines Konzepts gestartet. Zwei Großdemonstrationen im Jahr 1991 und 1992 erzeugten den entsprechenden Druck auf die Politik.

Zwei Jahre lang wurde intensiv mit Behindertenorganisationen, Seniorenverbänden, den Sozialversicherungsträgern, den Bundesländern und dem Finanzministerium verhandelt, bis endlich eine Grundlage für eine bundeseinheitliche Pflegegeldregelung geschaffen war. Das Bundespflegegeldgesetz wurde Anfang 1993 vom Parlament beschlossen und trat mit 01. Juli 1993 in Kraft. Ein sozialpolitischer Meilenstein war gesetzt.

Geldleistung ermöglicht Betroffenen freie Wahl der Pflegeleistungen

Sollte das Bundespflegegeld als Geld- oder als Sachleistung – oder eine Mischform aus beiden – ausgestaltet werden? Diese Kernfrage war ideologisch höchst umstritten – doch konnte nach langwierigen Diskussionen ein Konsens darüber erreicht werden, dass das Pflegegeld in Form einer Geldleistung – in 7 Pflegegeldstufen – ausbezahlt wird und ein Rechtsanspruch darauf besteht. „Es kam zu einem Paradigmenwechsel. Die Menschen sollen selbst entscheiden können, welche Leistungen sie von wem bekommen“, erinnert sich der damalige Präsident des österreichischen Behindertenrates, Prof. Dr. Klaus Voget.

Späte Korrektur – Pflegeexpertise endlich eingebunden

Probleme gab es allerdings von Beginn weg bei den – ausschliesslich durch ärztliche „Sachverständige“ durchgeführten – Begutachtungen zur Einstufung der individuellen Pflegebedürftigkeit , weil die Gutachter oft nicht ausreichend geschult und wenig empathisch waren. Dieser Missstand wurde erst nach zahllosen Berufungsverfahren 30 Jahre später endlich behoben: Mit der Änderung der Einstufungsverordnung zum BPGG dürfen seit 05. Juli dieses Jahres auch Pflegefachkräfte die Einstufung von Pflegebedürftigen vornehmen.

Wertverlust von 35 Prozent zu Lasten der Pflegebedürftigen

Mangels einer „vergessenen“ gesetzlichen Wertanpassungsklausel erfuhr das Bundespflegegeld im Lauf von 27 Jahren einen Wertverlust von mehr als einem Drittel. Jährlich valorisiert wird das Pflegegeld nämlich erst seit 2020. Dieser erlittene Wertverlust – einem steigenden Selbstbehalt vergleichbar – wurde den Pflegebedürftigen jedoch niemals durch Ausgleichszahlungen vergütet.

Verbesserungspotenzal sehen Expert*innen aber auch bei der Anpassung des Pflegegeldes an die Bedarfe von Menschen mit intellektuellen Behinderungen und psychischen Erkrankungen.

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