Wenn die Kinderfachärzt*innen nicht mehr zuständig sind: Was passiert, wenn junge Menschen mit schweren Erkrankungen der Kindheit entwachsen?
Der Landesverband Hospiz NÖ und der Verein MOKI NÖ – Mobile Kinderkrankenpflege machen auf die gesundheitsökonomische Relevanz hinsichtlich Transition aufmerksam – vor allem bei Palliativpatientinnen und Palliativpatienten, denn es geht hier um weit mehr als eine administrative Übergabe.
Der Übergang, sprich die Transition vom Jugendlichen zum Erwachsenen, stellt hinsichtlich der Gesundheit bereits für gesunde Menschen eine sensible Phase dar. Betrifft es junge Menschen mit einer schweren und lebenslimitierenden Erkrankung, kommen eine Reihe von Herausforderungen hinzu, die das gesamte Familiensystem betreffen.
Foto: (c) patrickheagney
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Mit den Jahren entwickelten sich die Möglichkeiten der Behandlungsmaßnahmen rasant weiter und viele der betreuten Kinder und Jugendlichen werden erfreulicherweise immer älter. Formalrechtlich endet das Jugendalter mit dem 18. Geburtstag, im Hospiz- und Palliativbereich wird eine Altersgrenze von 27 Jahren herangezogen. Ab diesem Zeitpunkt ändert sich die Zuständigkeit: Junge Erwachsene werden nun im österreichischen Gesundheitssystem von Einrichtungen und Diensten für Erwachsene betreut. Doch so einfach ist es in der Praxis allerdings nicht – denn in der medizinischen und pflegerischen Versorgung wird u.a. erwartet, dass Patientinnen und Patienten ihre Entscheidungen allein treffen und selbstverantwortlich sowie selbstfürsorglich agieren.
Dem gegenüber steht ein stark familienzentrierter Zugang aus dem pädiatrischen Gesundheitsbereich, bei dem die Integration der gesamten Familie in Behandlungsregime und Entscheidungen im Fokus steht. Immer wieder ist zu beobachten, dass diese erlebte Divergenz bei den Familien zu Unsicherheiten und mitunter zu einem Abbruch medizinischer und gesundheitlicher Behandlungen führen. Dies ist insbesondere deshalb kritisch, da damit erhöhte Komplikationsraten, Morbidität und Mortalität einhergehen und die Lebensqualität der gesamten Familie vermindert wird.
„Jugendliche mit schweren Erkrankungen haben oft komplexe gesundheitliche Bedürfnisse, die meist eine lebenslange, kontinuierliche und spezialisierte Versorgung erfordern. Eine gut geplante Begleitung in der Transition vom Jugendlichen zum Erwachsenen dauert Jahre – sie beginnt je nach Entwicklungsstand ab der Pubertät mit ungefähr 12 Jahren. Die gezielte Begleitung der Jugendlichen und Familien durch medizinische, pflegerische und therapeutische Professionistinnen und Professionisten aus dem Bereich der Pädiatrie und in weiterer Folge aus dem Erwachsenenbereich ist entscheidend, um eine nahtlose Betreuung sicherzustellen“, erklärt Petra Kozisnik, Geschäftsführerin des Landesverband Hospiz NÖ.
In Phasen von Übergängen jeglicher Art sind Kontinuität und Vertrauen besonders wichtige Elemente, damit diese positiv gelingen können. Auch wissenschaftliche Befunde zeigen, dass besonders in Übergangsphasen gesundheitliche Probleme entstehen. Für eine gelingende Transition spielen die Besonderheiten und vor allem die Bereitschaft der Jugendlichen eine wichtige Rolle.
Derzeit leben rund 170.000 14-20-jährige mit einer chronischen Erkrankung in Österreich – wie etwa Diabetes Typ 1, Cystischer Fibrose, Juveniler idiopathischer Arthritis, entzündlichen Darmerkrankungen, angeborenen Herzerkrankungen, Hämophilie, diverse genetische Syndrome, etc. Viele Betroffene wünschen sich eine aktive Einbeziehung in der Gestaltung des Übergangs vom Bereich der pädiatrischen Versorgung in jenen für Erwachsene und einen individuell gewählten Zeitpunkt für den Übergang.
Psychosoziale Aspekte
Renate Hlauschek, Geschäftsführende Vorsitzende des Vereins MOKI NÖ und der Kinder- und Jugend Palliativ-Teams (KI-JU-PALL), weiß: „Die Transition kann emotional herausfordernd sein, da Jugendliche mit lebenslimitierenden Erkrankungen oft über Jahre hinweg enge Beziehungen zu ihren pädiatrischen Gesundheitsdienstleistern aufgebaut haben.“ Darüber hinaus ist der Übergang in das Erwachsenenalter eine anspruchsvolle Phase, einschließlich Identitätsfindung, Selbstakzeptanz und hinzu kommt der Umgang mit der begrenzten Lebenszeit. Oberste Priorität hat daher eine sorgfältige Koordination und Kommunikation zwischen den verschiedenen multiprofessionellen Teams im Gesundheitsbereich.
Familienorientierter Ansatz
Nicht nur für Jugendliche selbst ist der Übergang zum Erwachsenen eine sensible Phase, die mit zahlreichen Veränderungen einhergeht, sondern auch für Angehörige – insbesondere, wenn schwere Erkrankungen bestehen. Unter anderem sind Eltern und Obsorgeberechtigte mit einem Übergang von der Rolle der primären Pflege- und Bezugsperson hin zu einer unterstützenden, möglicherweise nur noch eingeschränkt beratenden Person, konfrontiert.
„Dieser Übergang von der elterlichen Fürsorge zur Förderung einer weitestgehenden Selbständigkeit des heranwachsenden Jugendlichen erfordert Raum, Zeit, Geduld und vor allem viel Unterstützung“, erklärt Petra Kozisnik. Patientinnen und Patienten sollen mit der Zeit ihre eigene Erkrankung kennen und darüber kommunizieren können. „Es geht darum, dass Jugendliche in der Lage sind, Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten eigenständig zu führen, über ihre Therapien und Medikamente Bescheid wissen und Entscheidungen treffen – das stärkt ihre Autonomie. Dabei ist es wesentlich, sie schon früh über die Unterschiede in der Versorgung zwischen pädiatrischen und erwachsenenorientierten Einrichtungen zu informieren“, sagt Renate Hlauschek.
Doch nicht alle jungen Erwachsenen mit lebenslimitierenden Erkrankungen sind, in der Lage ein selbständiges Leben zu führen. Wenn ein Verbleib zu Hause nicht möglich ist, stellt sich vor allem die Frage nach adäquaten Einrichtungen. So wird es beispielsweise als unangemessen empfunden, einen 16-jährigen mit einem hohen Querschnitt nach einem Unfall in ein Pflegeheim für ältere Menschen zu verlegen. Leider ist dies in der Realität keine Seltenheit. „Es sind sensibilisierte Strukturen und Angebote notwendig, um die bestmögliche Unterstützung und Kontinuität in der Pflege für Betroffene sicherzustellen“, so Renate Hlauschek.
Transitionsstandards
Für eine gelungene Transition insbesondere im Bereich der palliativen Versorgung von Kindern und Jugendlichen sind standardisierte Prozesse und deren Dokumentation unumgänglich. So hat etwa die Gesellschaft für Transitionsmedizin in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften eine evidenzbasierte Leitlinie publiziert, in der aufgezeigt wird: „Dort wo genügend Erfahrung sowohl bei den Pädiatern wie auch bei den Erwachsenenmedizinern vorhanden und die Schnittstellen eng verzahnt sind, funktioniert die Transition in der Regel reibungsloser. Wesentlich schwieriger stellt sich die Situation in Fällen dar, wo das Know-how im Erwachsenenbereich fehlt, weil es sich beispielsweise um seltene Erkrankungen handelt“, so Petra Kozisnik.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es um stetige Weiterentwicklung, Bewusstseinsbildung und Vernetzung geht, um die bestmögliche Lebensqualität für Betroffene zu gewährleisten. Petra Kozisnik und Renate Hlauschek betonen in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit, Zuständigkeiten und Ressourcen für die Gestaltung der Übergangsprozesse bereit zu stellen.
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Über den Landesverband Hospiz NÖ:
Der Landesverband Hospiz NÖ wurde 2001 als gemeinnütziger Verein mit Sitz in Mödling gegründet. Als Dachorganisation ist der Landesverband Hospiz NÖ mit allen Hospiz- und Palliative Care Angeboten und Initiativen in Niederösterreich eng verbunden und fungiert als Botschafter für einen guten und würdevollen Umgang mit dem Leben und dem Sterben. Kernkompetenzen sind die kontinuierliche Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der flächendeckenden Hospiz- und Palliativversorgung in Niederösterreich. Wesentlich ist es, sicherzustellen, dass alle Menschen – unabhängig von sozioökonomischem Hintergrund – Zugang zu qualitativ hochwertiger Pflege und Betreuung bekommen. Sterben betrifft uns alle. Sprechen wir darüber. (> www.hospiz-noe.at )
Über MOKI NÖ:
Die Mobile Kinderkrankenpflege Niederösterreich (MOKI NÖ) besteht seit 1999 als gemeinnütziger Verein. MOKI NÖ unterstützt, stärkt und entlastet die Familien, ihr Kind zu Hause zu pflegen. Wir helfen den Betroffenen, die Erkrankung anzunehmen und erleichtern es ihnen zuhause damit zu leben. Dabei ist MOKI NÖ neben diversen Förderungen in einigen Bereichen auf Spenden angewiesen. (> www.noe.moki.at )