Gastbeitrag: „Dankbarkeit ist der edelste Weg zu mehr Zufriedenheit“

„Christine, würdest du dich wieder am Innehalten beteiligen?“, fragte mich unser Seelsorger Christian Sint im November letzten Jahres. Ich empfinde es als große Ehre, eine dieser besonderen Viertelstunden gestalten zu dürfen und sagte sofort zu.

Im Advent versammeln sich Patient*innen und Mitarbeitende jeden Arbeitstag für eine Viertelstunde in der Kapelle des Hospizhauses. Jedes Treffen wird von Mitarbeiter*innen individuell gestaltet. So erleben wir auf ganz spezielle Weise gemeinsam die „stille Zeit“ des Jahres.

Werte leben – nicht nur im Advent …

Ganz besonders freute ich mich, als ich erfuhr, dass es diesmal um Haltungen und Werte ging. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass positive Werte und Haltungen sehr viel Vorteilhaftes für jeden selbst und ebenso im Miteinander bewirken können. Insofern wäre es gut, sich nicht nur im Advent auf gute Gedanken und Einstellungen zu besinnen, sondern dies jeden Tag zu tun.

Vom großen Wert der Dankbarkeit

Im von mir gestalteten „Innehalten“ durfte ich meinen persönlichen Zugang zum Wert der „Dankbarkeit“ mit meinen Kolleg*innen und Patient*innen teilen. Damit konnte ich mich auf eine Haltung beziehen, von deren beglückender Wirkung ich zutiefst überzeugt bin und die ich immer wieder aufs Neue am eigenen Leib erfahren darf.

„Immer wieder den Blick darauf zu richten, wofür ich jetzt dankbar bin, hilft in und durch schwere Zeiten.“

Auch in der Wissenschaft wird eine dankbare Haltung als wirkungsintensive Lebenseinstellung bezeichnet. Der positive Einfluss auf das Gehirn, die Gesundheit und die Lebenszufriedenheit wurde in zahlreichen Studien belegt. Demnach sind dankbare Menschen optimistischer, glücklicher, einfühlsamer, fitter und belastbarer als andere. Dementsprechend förderlich wirkt sich dies auch auf Partnerschaften, Freundschaften und Beziehungen jeglicher Art aus.

Perfektes Mittel gegen Frust und Ärger

Dankbarkeit ist der edelste Weg zu mehr Zufriedenheit. Sie ist ein perfektes Mittel gegen Frust, Neid und Ärger. Aus Gewohnheit neigen wir Menschen dazu, kaum wertzuschätzen, was wir haben. Wir nehmen es als selbstverständlich hin und bemerken oft – bei uns wie bei anderen – eher Probleme und Mängel. Dabei könnten wir unseren Blickwinkel ändern und den Fokus auf die positiven Dinge lenken. Der Nobelpreisträger Eric Kandel erklärt die Verbindung zwischen „mind“ (Geist) und „brain“ (Gehirn). Alles, was wir denken, fühlen und in Beziehungen gestalten, findet sich in körperlichen Strukturen wieder.

„Einer der faszinierendsten Aspekte der Hirnfunktion ist die Umwandlung von Erlebniseindrücken in biologische Signale“, meint auch der Neurowissenschaftler Joachim Bauer in seinem spannenden Buch „Das Gedächtnis des Körpers“. Somit können Gefühle nicht nur seelische, sondern auch weitreichende positive, aber auch negative körperliche Auswirkungen haben. Im Wissen um die Kraft des positiven Denkens ist es daher nützlich, die Sinne für das Gute zu schärfen, es anzuerkennen und wertzuschätzen.

Es geht nicht um schönfärben oder verdrängen

Keinesfalls möchte ich damit andeuten, dass folgenschwere Lebenserfahrungen, Kummer und Leid verleugnet oder schöngefärbt werden sollen. Sie sind Realität und gehören zum Leben. Trauer, Kummer, Leid und Verzweiflung lassen sich oft nicht verhindern und haben ihren Platz. Es ist völlig normal und sogar heilsam, um einen geliebten Menschen zu trauern, der verstorben oder schwer krank ist. Hier ist Trauern, so Chris Paul, die Lösung, nicht das Problem.

Das Gute verkosten, um das Schwere auszuhalten

Ich meine hier die kleineren oder manchmal auch größeren Ärgerlichkeiten des Alltags. Unliebsame Gedanken und Stress drängen sich allzu leicht in den Vordergrund. Hier liegt es an uns, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Denn wir können das Zusammenspiel zwischen „mind“ und „brain“ zu unseren Gunsten nutzen. Stellen wir uns die Nervenzellnetzwerke in unserem Gehirn („brain“) wie eine Spur im Schnee vor. Die ersten Fußstapfen oder Skispuren erfordern oft viel Kraft und hinterlassen tiefe Eindrücke. Beim zweiten Mal ist es schon leichter und je öfter wir diesen vielleicht neuen Weg der Dankbarkeit gehen und unseren Blick und unsere Gefühle auf das richten, was jetzt gerade gut ist („mind“), desto tiefer und breiter wird diese Spur und desto schwieriger wird es uns fallen, aus dieser bereits entstandenen tiefen „Spurrinne“ wieder herauszufallen. Das bedeutet: Je mehr wir gelernt und geübt haben, das Positive in den Vordergrund zu stellen und dafür dankbar zu sein, desto stärker wird unsere Resilienz.

Gut gestreichelt lebt sich’s leichter

Mit einer positiven Lebenseinstellung und guten Beziehungen sind wir in der Lage, die schönen Seiten des Lebens intensiver zu genießen. Und wir sind besser gerüstet, auch herausfordernde, schwierige Situationen zu überstehen. Eine besondere Lehrmeisterin für eine positive Lebenseinstellung war für mich Frau H. Sie war schwer an Multipler Sklerose erkrankt und war bereits seit Wochen ans Bett gefesselt. Ich war noch nicht lange im Pflegeberuf und wunderte mich über ihre anhaltend gute Laune. Darauf antwortete sie mir lächelnd: „Solange ich noch irgendwie denken kann, glaub ich an das Gute, denn es streichelt meine Seele. Es ändert nichts an der Sache, aber gut gestreichelt lebt sich’s leichter.“ Inzwischen habe ich sehr viele Patient*innen mit einer positiven Lebenseinstellung kennenlernen dürfen. Sie alle sind für mich ein großes Vorbild und ich bin ihnen von Herzen dankbar!

Auch das vorweihnachtliche „Innehalten“ und damit die Beschäftigung mit positiven Werten und Haltungen ist ein gutes Training. Es fördert das Miteinander und schärft die Aufmerksamkeit auf das Gute im Leben. Derartige „Trainingseinheiten“ mit Patient*innen, Angehörigen und Mitarbeitenden werden in der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft angeboten und gemeinsam praktiziert. Sie tun uns allen gut. Vielen Dank!

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Zur Autorin:

Christine Haas-Schranzhofer (Bild) ist Pflegedirektorin Tiroler Hospiz-Gemeinschaft: Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Danke!

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