Erfolgsmodell: Ambulante psychiatrische Versorgung in den eigenen vier Wänden

Die Integrierte Versorgung Salzburg – eine landesweite ambulante psychiatrische Betreuung – erfolgt durch mobile multiprofessionelle Teams.

Die aufsuchenden Teams werden von der Uniklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (Uniklinikum Campus CDK) sowie der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Kardinal Schwarzenberg Klinikum (Schwarzach) gestellt.

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Primarius Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Aichhorn (Uniklinikum Campus CDK)

Foto: SALK

Prof. Wolfgang Aichhorn (Bild), Leiter der Psychiatrie des Uniklinikums Salzburg: „Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen, zum Teil chronifizierten Erkrankungen, die unsere Klinik nach einem stationären Aufenthalt in deutlich gebessertem Zustand verlassen, benötigen eine spezifische Nachsorge, die leider oft nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Genau hier setzt das Modell der Integrierten Versorgung Salzburg an. Diese Nachsorge wird direkt zu den Betroffenen nach Hause in die Versorgungsregionen Nord (Stadt Salzburg, Flachgau, Tennengau) und Süd (Pongau, Pinzgau, Lungau) gebracht. Darauf sind wir sehr stolz, dass dieses Modell im gesamten Bundesland funktioniert und keine Region ausgeschlossen ist“

In Zusammenarbeit mit dem Land Salzburg, der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und niedergelassenen Fachärzten konnte im April 2018 mit der Integrierten Versorgung gestartet werden. Die Mitglieder der mobilen Teams kommen aus Medizin, Pflege, Psychologie und Sozialarbeit und decken zusammen das gesamte Behandlungsspektrum ab. Insgesamt konnten bereits 450 Patient*innen betreut werden, aktuell sind es 270. „Ihnen wird die Reintegration in das Alltagsleben erleichtert und ihr persönliches Befinden verbessert sich deutlich“, berichtet Prof. Aichhorn.

Die neue Studie im renommierten International Journal of Mental Health Systems bestätigt den Trend, dass die Dauer von stationären Aufenthalten massiv verringert werden kann.

Eine Untersuchung im Jahre 2020 ergab bereits, dass durch dieses zukunftsweisende Modell die Dauer von stationären Aufenthalten um 80 Prozent verringert werden konnte. Besonders erfreulich war auch, dass die Zahl der Akutaufnahmen und Unterbringungen – die stets mit Stress für Erkrankte und Klinikpersonal verbunden sind – um 70 Prozent reduziert wurden. Prof. Aichhorn weiter: „Eine neue Studie, die wir kürzlich im renommierten „International Journal of Mental Health Systems“ publiziert haben, bestätigt den Trend. Die Patienten erfuhren eine Stabilisierung ihres Zustandes, 50 Prozent mussten auch nach 3 Jahren nicht wieder stationär aufgenommen werden, die übrigen waren deutlich kürzer in stationärer Behandlung und konnten meist geplant aufgenommen werden.“

Deutlich weniger und kürzere Klinikaufenthalte

Der aufsuchende Ansatz der Integrierten Versorgung (englisch FACT: Flexible assertive communitiy treatment) ist ein Erfolgsmodell und dient bereits als Vorlage für andere Bereiche wie die Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Gerontopsychiatrie oder Suchtkrankheiten. „Wir bauen derzeit ein weiteres Team der Integrierten Versorgung für gerontopsychiatrische Patienten auf. Diese oft multimorbiden, an Demenz erkrankten Menschen können so in ihrer gewohnten Umgebung behandelt werden. Da wir mit den stationären Betten praktisch mit einer Auslastung von 100 Prozent laufen, sind Integrierte Versorgungsmodelle Goldes wert. Der Druck auf stationäre Aufnahmen kann damit essentiell reduziert werden,“ schildert Professor Aichhorn die aktuelle Versorgungssituation.

Höhere individuelle Lebensqualität zu den halben Kosten

„Das Gesundheitssystem und wir sind gut beraten, diese Modelle auszubauen. Ein weiterer Aspekt neben der Verbesserung der Lebenszufriedenheit der Betroffenen und der Entlastung des stationären Bereichs ist die Tatsache, dass zwar auch die Teams der Integrierten Versorgung Kosten verursachen, jedoch bei weitem nicht so hohe wie stationäre Aufenthalte. Wir konnten zeigen, dass sich die Kosten für den Einzelpatienten um 50 Prozent reduziert haben.“

Kommentar:

Das oben berichtete Modell der möglichst frühzeitigen Re-Patriierung von erfolgreich stationär (kurz-)behabdekteb psychiatrischen Patient*innen zurück in deren häusliches Umfeld und deren multiprofessionelle ambulante Nachbetreuung in Salzburg ist keineswegs neu – sondern bereits seit rund 45 Jahren in Deutschland sowie in Wien vielhundertfach erprobt und erfolgreich umgesetzt.

Zur Erinnerung:

* Angeregt durch erste Impulse aus Italien in den frühen 1970-erjahren, startete der deutsche Psychiater und Klinik-Chef in Gütersloh, Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner (1933 – 2022, Bild li.) ein umfangreiches Re-Patriierungs- und Nachsorge-Programm für hunderte seiner psychiatrischen Patient*innen. Der Pionier der deutschen Psychiatrie-Reform war u.a. auch Autor des höchst erfolgreichen Psychiatrie-Standardwerks „Irren ist menschlich“ und Gründer des Psychiatrie Verlages.

* Inspiriert von diesem geradezu revolutionären Ansatz Prof. Dörners in Deutschland, startete ab 1979 nahezu zeitgleich auch in Wien ein entsprechender Umbruch – ausgelöst vorerst „im Alleingang“ durch den psychiatrischen Oberpfleger Prof. Erwin Böhm (83, re.): Er repatriierte die ersten psychiatrischen Patienten zurück in deren vertrautes häusliches Umfeld und kümmerte sich auch um deren fachliche Nachbetreuung.

Ein Fachkrankenpfleger setzt starken Impuls zur „Wiener Psychiatrie-Reform“

* Die erfolgreiche Initiative Böhms wurde in den Folgejahren vom Psychiater Prof. Dr. Stephan Rudas (1944 – 2010) aufgegriffen und führte unter der Schirmherrschaft von Wiens Gesundheits-Stadtrat Prof. Dr.med. Alois Stacher (1925 – 2013) zur „Wiener Psychiatrie-Reform“ und zur Gründung des „Psychosozialen Dienstes (>PSD)“ im Jahr 1980. Seither werden psychiatrische Patient*innen im Bundesland Wien nach möglichst kurzer stationärer Behandlung entlassen und in deren Zuhause multiprofessionell und flächendeckend ambulant betreut.

Die erfolgreiche ambulante psychiatrische Nachbetreuung im Land Salzburg erscheint – trotz fehlender Verweise auf deren geistige „Urväter“ – dennoch sehr begrüßens- und berichtenswert, weil dieses Erfolgsmodell leider in vielen anderen Ländern und Regionen noch keine Selbstverständlichkeit ist.

Erich M. Hofer

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